Es gibt einige, die vergleichen Andreas Bovenschulte schon mit Henning Scherf, den legendären früheren Bremer Bürgermeister, der zum Schluss den Spitznamen „Oma-Knutscher“ erhielt – liebevoll gemeint. Denn Scherf war jemand, der wie kein zweiter deutscher Politiker auf die Menschen zugehen konnte, der ihre Sprache sprach, stark, unabhängig und zugewandt wirkte und damit überaus populär wurde. Scherfs Amtszeit endete 2005, und heute sitzt Bovenschulte auf seinem Stuhl. Der 57-jährige Sozialdemokrat übt das Bürgermeisteramt seit vier Jahren aus und befindet sich derzeit im Wahlkampf.

Eine neue Bürgerschaft wird von den 463.000 Wahlberechtigten in Bremen und Bremerhaven am 14. Mai gewählt. In der SPD zeigt man sich zuversichtlich, derzeit gilt Bovenschulte wie einst Scherf als Lokomotive für den Wahlkampf. Landete die SPD bei der Wahl 2019 erstmals in der Nachkriegsgeschichte Bremens nicht mehr auf Platz eins und wurde von der CDU überholt, so sind jetzt die Aussichten nicht schlecht, dass die Wahl auf den letzten Metern von der Popularität des Bürgermeisters geprägt sein könnte.

Ist Bovenschulte wie Scherf? Beide sind hochgewachsen, beide sind im linken Flügel der SPD gestartet, um später dieses typische Pragmatiker-Gen zu zeigen, das erfahrenen Kommunalpolitikern und Verwaltungsexperten eigen ist. Bovenschulte ist in Hildesheim geboren und im SPD-Bezirk Hannover politisch geprägt worden. Er wurde 2014 zunächst Bürgermeister der Gemeinde Weyhe bei Bremen – und erhielt bei der Wahl auch die Unterstützung der dortigen CDU. Also ganz wie Scherf, der zwischen 1995 und seinem Amtszeitende auch eine Große Koalition in Bremen führte – die bisher letzte dieser Art, die dann vor 15 Jahren endete?
Wer Bovenschulte im Wahlkampf erlebt, stellt das Bestreben nach gezielter Bürgernähe fest. So sitzt er beim SPD-Fest auf dem Spielplatz in der Philipp-Scheidemann-Straße inmitten einer Kindergruppe, hat seine Gitarre dabei und singt „Auf der Mauer, auf der Lauer, sitzt `ne kleine Wanze“. So richtig herzlich erscheint das alles noch nicht, aber das Bemühen um Authentizität ist erkennbar. Seine Gitarre hat Bovenschulte, der die Musik neben der Politik zu seiner zweiten großen Leidenschaft zählt, im Wahlkampf häufiger dabei. Sie verleiht ihm eine gewisse Lockerheit.

Vielleicht wird diese Wahl am Ende dann doch keine Bovenschulte-Wahl, trotz seiner hohen Popularität, die die seiner beiden Vorgänger Jens Böhrnsen (Bürgermeister 2005 bis 2015) und Carsten Sieling (Bürgermeister 2015 bis 2019) wohl übertrifft. Zwei Dinge könnten dagegen sprechen. Erstens fällt die derzeit regierende Koalition aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht durch übergroße Harmonie und Geschlossenheit auf. Viele Beobachter reden vielmehr von gegenseitigem Misstrauen und Stillstand. Bovenschultes SPD versucht – vergleichbar mit der Niedersachsen-SPD um Stephan Weil im Landtagswahlkampf 2022 – die Wirtschaftspolitik und die Solidarität in den Mittelpunkt der Kampagne zu stellen. Ein Leitspruch auf den Plakaten lautet „Gemeinschaft geht nur zusammen“.
Die Grünen um ihre Spitzenkandidatin, die Umwelt- und Verkehrssenatorin Maike Schaefer, haben nun einen doppelten Nachteil. Erstens gilt Schaefer in ihrer Art zuweilen als schroff, wenig kommunikativ und polarisierend. Das erstreckt sich auf vermeintliche Kleinigkeiten wie die Regeln für das Parken in zweiter Reihe, die gerade in Wahlkampfzeiten erhebliches Aufreger-Potenzial haben. Zweitens ist Schaefer auch in eigenen Reihen nicht unumstritten, bei der Nominierung zur Spitzenkandidatin vergangenen Dezember bekam sie gerade mal 72,1 Prozent. Eine große gemeinsame, von strategischem Ehrgeiz getriebene rot-grüne Verständigung ist unter diesen Bedingungen bisher offenbar nicht entstanden. Das spürt man im Wahlkampf, und die gegenwärtige Berliner Begleitmusik rund um den Ampel-Krach zur Ukraine-Politik, zum Heizungstausch und zu den Klimaschutzzielen verstärkt das zusätzlich.

Auf der anderen Seite ist da die CDU, die seit Bestehen des Bundeslandes Bremen in der Politik immer die zweite Geige spielen musste. 2019 trat die Partei mit dem klassischen Seiteneinsteiger an, dem Unternehmer Carsten Meyer-Heder, der in seiner Jugend Kapitalismus-Kritiker war und mit dem Versprechen antrat, das seit Jahrzehnten überschuldete Bremen mit einem radikalen Sanierungskurs zu modernisieren. Der charismatische Meyer-Heder konnte die CDU so zur stärksten Partei machen, doch ein Jamaika-Bündnis scheiterte dann an den Grünen, die sich lieber für Rot-Rot-Grün entschieden. Meyer-Heder zog sich kurz darauf zurück. Jetzt ist der derzeitige Bürgerschaftspräsident Frank Imhoff neuer Spitzenkandidat, der zwar nicht die Ausstrahlung von Meyer-Heder hat, aber im Wahlkampf sehr rege, gut gelaunt und kommunikativ auftritt – und insofern auch Elemente des Typus hat, den ein Henning Scherf verkörpert.
Imhoff zur Seite steht die 27-jährige Juristin Wiebke Winter als Nummer zwei der CDU-Landesliste, beide bilden im Wahlkampf ein Team, stehen gemeinsam auf den Plakaten. Dabei soll Imhoff die Erfahrenheit und politische Vernetzung verkörpern, Winter den Aufbruch in die Modernität. Ein rot-schwarzer Senat unter Bürgermeister Bovenschulte mit Imhoff und Winter als christdemokratische Senatoren erscheint vorstellbar, zumal es heißt, dass sich der SPD- und der CDU-Spitzenkandidat menschlich gut verstehen.

Aus niedersächsischer Sicht würde ein neuer rot-grüner Senat vermutlich gut passen zur rot-grünen Landesregierung in Hannover. Aber wären prinzipientreue Grüne in Bremen wirklich ein Motor für nötige Veränderungen, wenn es etwa um die Lösung von Autobahn-Engpässen rund um Bremen geht, um die Weservertiefung als Grundlage einer Ertüchtigung von Häfen (etwa in Brake) oder um nötige Investitionen in das Bremer Stahlwerk? Auch eine gemeinsame Bremer Regierung von SPD und CDU hätte ihre Stolpersteine, beispielsweise müsste es für eine Mitfinanzierung des Landes zugunsten von Grundlagen zur „grünen Stahlproduktion“ eine Ausnahme von der Schuldenbremse-Regel geben.

Das dürfte wohl nur möglich sein, wenn es auf der anderen Seite auch Elemente einer strikten Sparsamkeit gibt, und einen solchen Weg dürfte Bovenschulte mit einem christdemokratischen Finanzsenator womöglich besser durchsetzen können als mit einem, der den Grünen angehört. Und der wirtschaftsfreundliche Flügel der rot-grünen niedersächsischen Landesregierung, verkörpert durch Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD), hätte es mit einem rot-schwarzen Bündnis in der Hansestadt womöglich einfacher als mit einer gegenüber Investitionen skeptischen rot-grünen Regierung. In einem solchen Fall nämlich könnten „die Bremer“ ein Argument der niedersächsischen SPD werden, die Grünen in Hannover zum Einlenken in Streitfragen zu bewegen.

Im Wahlkampf werden diese Fragen nun nicht angesprochen. Die SPD ist stetig bemüht, in der Schlussphase der Auseinandersetzung den Bürgermeister immer stärker herauszustellen. Das geschieht auch unter Verwendung seines Spitznamens „Bovi“. Ein eigenes Wahlkampfmagazin mit diesem Titel wird derzeit von den Sozialdemokraten in Bremen verteilt. In der SPD ist man außerdem froh, dass die grassierende Unzufriedenheit mit der Verkehrspolitik der Stadt (den einen ist sie noch zu autolastig, den anderen geschieht die Abkehr von der Auto-Prägung zu heftig und zu kompromisslos, fast feindselig) vor allem bei der Senatorin Schaefer abgeladen wird und bisher nicht auf den großen Koalitionspartner SPD abfärbt.
Auch werden die erkennbaren Mängel in der Landespolitik, etwa der hintere Platz im deutschen Ranking der Bildungspolitik, bislang nicht auf die Führungskompetenz des Bürgermeisters bezogen. Jedenfalls noch nicht. Der CDU-Spitzenkandidat Imhoff springt derweil fröhlich beim Wahlkampf-Stand auf einem Rewe-Parkplatz von Menschengruppe zu Menschengruppe, ihm scheint diese Zeit richtig Spaß zu machen.
