
Der hitzige Protest um den Südschnellweg-Ausbau in Hannover ist auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar: Eine fast 70 Jahre alte Stadtautobahn soll auf den neuesten Stand gebracht werden. Na endlich, könnte man sagen. Erst im März konnten die Rettungskräfte dort einen verunglückten Rollerfahrer nur mit Mühe erreichen, weil die von den Autos und Lastwagen gebildete Rettungsgasse zu schmal für die Rettungsfahrzeuge war. Die Einsatzkräfte mussten die Unfallstelle aus der Gegenrichtung anfahren und das letzte Stück zu Fuß zurücklegen. Doch die Verbreiterung der Fahrbahn stößt bei vielen Bürgern sowie in Teilen der Politik auf Widerstand. Und während die bürgerlichen Ausbaugegner mit der Landesstraßenbaubehörde darüber streiten, welcher DIN-genormte Straßenquerschnitt für den Südschnellweg angemessen und rechtskonform ist, liefern sich verschiedene Klimaschutzgruppen einen teilweise handfesten Streit mit der Polizei.
Vordergründig geht es dabei um den Erhalt der Bäume in der hannoverschen Leinemasch. Immer wieder betonen die Umweltaktivisten jedoch eine viel grundsätzlichere Forderung: „Die Verkehrswende muss jetzt umgesetzt werden“, sagt etwa Helene Grenzebach vom „Bündnis gegen den Ausbau des Südschnellwegs“. Diese Beobachtung hat auch Eric Oehlmann gemacht. „Ich habe weniger den Eindruck, dass es um die Straßenbreite geht. Die Breite ist nur ein Symbol. Tatsächlich geht es den meisten Protestierenden darum, dass sie das Auto da nicht haben wollen“, sagte der Präsident der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr (NLBStV) vergangenen Freitag im Wirtschaftsausschuss des Landtages.

Bereits am Sonntag hatten Umweltaktivisten einige Bäume in dem Bereich besetzt, der eigentlich in einem breiten Konsens zur Rodung freigegeben worden war. Dort soll nämlich der neue Tunnel unter der Hildesheimer Straße entstehen, der die marode Südschnellweg-Brücke ersetzen wird. Unter den bürgerlichen Ausbau-Gegnern ist der Tunnelbau unstrittig, weil er die Lebensqualität der Anwohner erheblich verbessern wird. „Jeder Baum, der fällt, ist einer zu viel“, argumentierten jedoch die Baumbesetzer und warteten auf das Eintreffen der „Klettercops“, die sie dann aber doch nur mithilfe einer Hebebühne aus dem Astwerk herausholten. Am Montag warfen dieselben Aktivisten dann Wirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD) vor, dass er sein Wort gebrochen habe. Die Rodungen hätten auch in einem Teilbereich stattgefunden, der ausdrücklich verschont werden sollte.
„Wir klären unsererseits auch noch einmal, was genau vorgefallen ist. Für mich ist und bleibt weiterhin Verlässlichkeit die Grundlage für alles, was noch vor uns liegt“, twitterte Lies. Die Umweltaktivisten reagierten auf die Diskrepanz mit einer spontanen Mahnwache. Zu ernsthaften Auseinandersetzungen kam es trotz zahlreicher Sticheleien gegen die Polizei nicht. „Im Grundsatz ist das ein friedlicher Einsatz gewesen. Wir sind sehr zufrieden“, lautete das Fazit der hannoverschen Polizeisprecherin Britta Schwarz. Auch NLBStV-Präsident Oehlmann zeigte sich über den planmäßigen Start der Rodungsarbeiten erleichtert. Stephan Bothe, innenpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, warf der Landesregierung dagegen ein „feiges Wegducken“ vor den „Klima-Hysterikern“ vor. „Anstatt mit Extremisten in lächerlicher Weise um jeden einzelnen Baum zu verhandeln, müssen dem Klima-Mob endlich einmal unmissverständlich die Grenzen aufgezeigt werden“, polterte Bothe in einer Pressmitteilung und forderte die Räumung des Aktivisten-Lagers „Tümpeltown“.
Lies hatte das Protestcamp am Montagvormittag besucht, um erneut für eine Kompromisslösung zu werben. „Wir müssen sehen, wie wir aus dieser schwierigen Situation gemeinsam rauskommen“, lautet die Strategie des Verkehrsministers. Bei den Klimaaktivisten brodelt es jedoch. Ein Mann landete am Montag auch in Polizeigewahrsam, weil er die Forstarbeiter aktiv bei den Rodungsarbeiten störte. „Die Leinemasch zu verteidigen ist kein Verbrechen, sondern der Versuch für eine klimagerechte Mobilitätswende zu kämpfen, die uns unsere Zukunft sichern kann“, kommentierte die Gruppe „Ende Gelände Hannover“ die Festnahme. Unterstützt wird der Protest unter anderem auch von Klimaaktivisten der Gruppe „Leinemasch bleibt“ und „Extinction Rebellion Hannover“, der Hamburger Initiative „Wilder Wald bleibt“ und dem Bündnis „Wald statt Asphalt“, das sich auf Waldbesetzungen spezialisiert hat. Bisher hatten sich diese Gruppierungen auch geweigert, an dem von Olaf Lies einberufenen Runden Tisch mit zu verhandeln.
Beim ersten Treffen im November waren rund 50 Befürworter und Gegner des Südschnellwegs zusammengekommen – darunter auch zahlreiche Bürger, Kommunal- und Landespolitiker, Behörden sowie die Unternehmerverbände, der ADAC. Noch vor Weihnachten wird sich eine Delegation des Runden Tisches mit Vertretern des Bundesverkehrsministeriums in Berlin treffen. „Nur der Bund kann uns Spielräume bei den Planungen eröffnen“, betont Oehlmann. Denkbar wäre es zum Beispiel, dass die beiden geplanten Standstreifen durch vereinzelte Haltebuchten ersetzt werden. Laut der Straßenbaubehörde würde das allerdings auch nur einen Flächenerhalt von 0,4 bis 0,5 Hektar bedeuten. Das entspräche gerade mal einem halben Fußballfeld. Dass sich die Umweltaktivisten damit zufrieden geben werden, gilt als unwahrscheinlich.