Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch – aber sie kommt zu spät. Die Zahlen sprechen da eine klare Sprache. „Wir haben heute 1,3 Milliarden Verbrenner im Weltmarkt. Selbst wenn alle E-Mobilitätsstrategien aller Hersteller so eintreten, wie sie sollen, brauchen wir noch einige Jahre Kraftstoffe“, sagt Porsche-Vizepräsident Olaf Bollmann, der beim wertvollsten Automobilkonzern Europas den Bereich Beschaffung leitet. Bei einer weltweiten Autoproduktion von rund 93,5 Millionen Fahrzeugen pro Jahr reichen bereits Mathe-Grundkenntnisse, um Bollmanns Prognose nachzuvollziehen.

Wie aber kommen wir trotzdem schnellstmöglich raus aus den fossilen Brennstoffen? Für den Porsche-Manager ist die Antwort darauf ganz einfach: Synthetische Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, als Brückentechnologie sind die Lösung. „Mit E-Fuels können wir die gesamte Flotte dazu nutzen, die Klimaziele zu erreichen. Der Clou dabei ist: Man kann E-Fuels überall verwenden und überall sofort einsetzen – und das alles in bestehender Infrastruktur“, berichtete Bollmann beim Automobilkongress von Niedersachsen-Metall und dem Autozulieferer ZF Friedrichshafen in Hannover (ehemals Wabco). Zum Beweis dafür hat der Sportwagenhersteller sein ältestes Serienmodell mit E-Fuels getestet. „Der Porsche 356 ist ohne Probleme mit dem Brennstoff gelaufen. Es geht“, lautet Bollmanns eindeutiges Fazit. Obwohl sein Konzern weiterhin auf Elektromobilität als Hauptantrieb setzt, räumt der Auto-Manager den synthetischen Kraftstoffen ein großes Klimaschutzpotenzial ein: „Man darf es nur nicht zerreden. Das ist aber das, was ich leider in vielen Diskussionen wahrnehme.“

„Mit E-Fuels können wir die gesamte Flotte dazu nutzen, die Klimaziele zu erreichen“, sagt Porsche-Vizepräsident Olaf Bollmann. | Foto: Scheffen/NM

Mit dem „Taycan“ hat Porsche bereits seit 2019 einen Elektrosportwagen in Serienproduktion, in diesem Jahr soll mit dem „Macan“ auch noch ein Elektro-SUV folgen. Für 2030 hat Konzernchef Oliver Blume das Ziel ausgegeben, dass mehr als 80 Prozent aller Porsche-Neufahrzeuge vollelektrisch sein müssen. „Wir geben Vollgas bei der Elektromobilität und wir machen die E-Fuels als Ergänzung“, erläuterte Bollmann zur Konzernstrategie. Was für Porsche Sinn macht, sei auch im größeren Maßstab der richtige Weg. Für ihn ist die Debatte um Elektroantriebe oder E-Fuels deswegen auch kein Entweder-Oder. „Wenn wir es mit dem Klimaschutz wirklich ernst meinen, dann müssen wir beides machen“, betonte der Porsche-Manager.

Die Argumente der E-Fuels-Gegner sind Bollmann wohlbekannt. „Natürlich macht es hier in Deutschland vom Wirkungsgrad viel mehr Sinn, das Stromnetz und E-Mobilität zu nutzen. Aber Deutschland und Westeuropa sind nicht die Welt“, entgegnete er. Porsche selbst betreibt deswegen auch eine E-Fuels-Testanlage an der Südspitze Chiles, wo es Wind, Sonne und Wasser zuhauf gibt. Wo die synthetischen Kraftstoffe hergestellt werden, spiele für das Erreichen der Klimaziele keine Rolle. Auch den Einwand, dass ein Hochskalieren der E-Fuels-Produktion zu lange dauere, wies Bollmann zurück. Dass es mit der synthetischen Kraftstoffherstellung nicht vorangeht, liegt aus seiner Wahrnehmung daran, dass die Regulatorik der Welt sich erst langsam für E-Fuels öffnet. „Es gibt keine klaren Rahmenbedingungen, es gibt keine Anreize für Investitionen“, bemängelte der Porsche-Manager. Während in der Schweiz ab 2025 gesetzlich geregelt ist, dass E-Fuels auf CO2-Flottengrenzwerte angerechnet werden können, wird in der EU immer noch darüber gestritten. Bollmann forderte daher nicht nur mehr Tempo, sondern auch mehr Technologieoffenheit: „2045 wird man in Deutschland noch 30 Milliarden Liter Kraftstoffe brauchen – und wenn man E-Fuels schlechtredet, werden die fossil sein.“

„Der Verbrennungsmotor wird noch eine lange Zeit ein wichtiger Entwicklungspfad für Automobile bleiben.“

Während Europa mit den E-Fuels hadert, stellt sich China bereits im großen Stil auf synthetische Kraftstoffe ein. China-Expertin Nicole Steiger räumte mit der Mär auf, dass der größte Automobilmarkt der Welt künftig allein auf Elektromobilität setzt. „Es wird derzeit unglaublich viel in China zum Thema synthetische Kraftstoffe getan. Hier wird dramatisch hochgefahren“, berichtete die Geschäftsführerin der auf China spezialisierten Beratungsfirma JSC Automotive und sagte vorher: „Synthetische Kraftstoffe werden ab Ende der 2020er Jahre an Bedeutung gewinnen und bis 2060 werden E-Kraftstoffe 40 Prozent der Personenwagen-Flotte in China antreiben.“ Der Anteil der Elektromobilität wird dagegen nur 25 Prozent betragen. Zum Beweis führte Steiger mehrere E-Fuels-Projekte auf, die China zum weltweit größten Hersteller für synthetische Kraftstoffe machen werden – unter anderem den Bau einer riesigen Methanol-zu-CO2-Anlage in der Provinz Henan, die 160.000 Tonnen Kohlendioxid jährlich in Kraftstoffe verwandeln kann. Zudem zitierte sie aus der jüngst entwickelten „Roadmap 1.0“ für den chinesischen Transportsektor, in der das Ministerium für Industrie und Informationstechnik (MIIT) feststellt: „Der Verbrennungsmotor wird noch eine lange Zeit ein wichtiger Entwicklungspfad für Automobile bleiben.“

Warum aber setzt ausgerechnet China in Zukunft auf E-Fuels? Laut Steiger hat das allein sicherheitspolitische Gründe, wie auch schon der chinesische Fokus auf die Elektromobilität. „Es ging nicht darum, den Champion der Automobilindustrie zu generieren, sondern es ging darum, die Abhängigkeit vom Rohöl zu verringern. Energiesicherheit bedeutet nationale Sicherheit. Das hat in China Priorität Nummer eins und alles andere ist nachgelagert“, erklärte die China-Expertin. Trotz des Anstiegs des Anteils von Elektrofahrzeugen im Straßenverkehr von zwei auf acht Prozent sei der Rohölverbrauch aber nicht gesunken. Die Abhängigkeit Chinas von ausländischem Rohöl betrage immer noch rund 73 Prozent. „Mehr als 50 Prozent der Öl-Importe kamen 2023 aus dem mittleren Osten“, berichtete Steiger. Hinzu kommt, dass der chinesische Elektroauto-Markt im Wachstum stagniert und 2040 mit einem Marktanteil von 25 Prozent voraussichtlich seinen Höhepunkt erreicht haben wird. Schon jetzt würden sich in der durch Regulierung und Subvention aufgebauten Autoindustrie die ersten Ermüdungserscheinungen zeigen. „Die Produktionsauslastung in China liegt bei 49 Prozent, der Markt konsolidiert sich“, sagte Steiger. Den deutschen Automobilherstellern gab die Expertin angesichts dieser Entwicklung folgenden Tipp: „China ist der größte Markt. Wir müssen da mitspielen, aber wir dürfen nicht naiv mitspielen.“

„Die europäische Automobilindustrie wurde politisch zum Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge gezwungen, aber die Kundschaft greift nicht zu“, analysiert Volker Schmidt. | Foto: Scheffen/NM

Die deutschen Autobauer haben indes noch ganz andere Probleme. „Die europäische Automobilindustrie wurde politisch zum Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge gezwungen, aber die Kundschaft greift nicht zu. Das ist schwierig angesichts der Milliardeninvestitionen, die unsere Unternehmen vorgenommen haben“, analysierte Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. Das plötzliche Aus der E-Auto-Förderung in Deutschland habe den ohnehin schon schwächelnden Markt in sich zusammenbrechen lassen. Das Ziel, dass bis 2030 rund 15 Millionen vollelektrische Fahrzeuge auf deutschen Straßen fahren, sei damit quasi nicht mehr zu schaffen. „Das Delta wird immer größer“, sagte Schmidt. Er rechnete vor, dass monatlich bereits 200.000 E-Autos verkauft werden müssen, um die Zielmarke der Bundesregierung zu erreichen. Im April bekamen allerdings nur rund 30.000 Elektrofahrzeuge die Erstzulassung in der Bundesrepublik. Laut einer Allensbach-Studie im Auftrag von Niedersachsen-Metall würden Zweidrittel der Niedersachsen ein pauschales Verbrenner-Verbot ablehnen. „Die Bürger hinterfragen zunehmend Aufwand und Ertrag klimapolitischer Maßnahmen in Deutschland“, sagte Schmidt und fügte hinzu: „Wir haben offenbar nicht die nötige Marktakzeptanz, um den Wechsel vom Verbrenner zum batterieelektrischen Auto hinzubekommen. Das zeigt, dass wir eine Brückentechnologie brauchen.“