29. Jan. 2024 · 
Wirtschaft

Deutschlands Autoindustrie kann China überholen – oder ganz abschmieren

Die Stimmung ist schlecht, die Prognosen fallen düster aus: Für das Autoland Niedersachsen scheint 2024 alles andere als ein Erfolgsjahr zu werden. Seit Sommer 2023 ist die Stimmung der Branche im Keller. Besonders bei den Zulieferern ist Pessimismus angesagt, das Geschäftsklima ist so eisig wie seit der Corona-Pandemie nicht mehr. Nachdem die Angst vorm Energie-Blackout verflogen ist, haben sich nun grundsätzliche Bedenken bezüglich des Wirtschaftsstandorts Deutschland breit gemacht. „Es ist klar, dass sich nicht zuletzt die Rahmenbedingungen der deutschen Zulieferer weiter verschlechtern“, sagt Tillman van de Sand von der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ).

Wer hat auf dem Elektroautomarkt am Ende die Nase vorn? Ein VW ID.3 liefert sich ein Wettrennen mit einem BYD HAN. | Quelle: BYD, Volkswagen AG, Montage: Link

Überraschend kommt da zunächst die Prognose der Beratungsfirma Berylls, die sich auf Strategieberatung im Automotive-Bereich spezialisiert hat. „In den kommenden Jahren wächst die deutsche Fahrzeugproduktion mit 2,5 Prozent jährlich deutlich stärker als das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit prognostizierten 1,4 Prozent pro Jahr. Setzen wir dieses Wachstum an, werden im Jahr 2030 in Deutschland 5,3 Millionen Fahrzeuge produziert, im vergangenen Jahr waren es 4,3 Millionen“, behauptet der Berylls-Standortexperte Stefan Schneeberger.

Bis 2030 könne das deutsche Automotive-Wachstum also bei 24 Prozent und damit deutlich über dem von China (17 Prozent) liegen. Das Problem an dieser Prognose: „Die für Deutschland gegebene Produktionszahl stellt einen Mittelwert dar, der in einem Korridor mit erheblicher Bandbreite liegt.“ Im günstigsten Fall könne die deutsche Inlandsfertigung sogar auf 6 Millionen Fahrzeuge steigen, im ungünstigen auf 3,6 Millionen abstürzen. Sollte dieses Worst-Case-Szenario eintreten, wäre dies auch mit einem Rückgang von 1,6 Prozent beim deutschen Bruttoinlandsprodukt verbunden. „Um diesem Abschwung vorzubeugen, sind alle relevanten Akteure aufgefordert, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die OEMs allein, können dies nicht bewerkstelligen“, sagt Schneeberger.

Quelle: Berylls

Fest steht laut den Berylls-Analysten leider eines: Volkswagen, Mercedes oder BMW werden in keinem Szenario ihre Inlandsproduktion wesentlich steigern. „Die deutschen Hersteller planen im Mittelwert mit keinem Wachstum der lokalen Produktion und sind zudem stark von den Entwicklungen im Premiumsegment abhängig.“ Bei den heimischen Autobauern wird höchstens ein Plus von 300.000 Fahrzeugen erwartet. Maßgeblicher Wachstumstreiber ist der Elektrofahrzeughersteller Tesla mit seinem Werk im brandenburgischen Grünheide, das ab 2030 voraussichtlich 1,2 Millionen E-Autos pro Jahr auswerfen wird. Für Schneeberg ist klar: Voraussetzung für jegliches Produktionswachstum ist eine „engagierte Industriepolitik“, die die nötigen Weichen für den Ausbau heimischer Produktionsstandorte und Neuansiedlungen stellt. „Dazu gehört ganz sicher eine Entbürokratisierung vieler Prozesse“, sagt der Berylls-Experte. Die zeitlich begrenzte Einführung eines Industriestrompreises hält er dagegen für weniger hilfreich.

Stefan Schneeberger | Foto: Berylls

Über das Wohl und Wehe des Automobilstandorts Deutschland könnte am Ende die Antwort auf folgende Frage entscheiden: Gelingt es, den Standort für chinesische Hersteller so attraktiv zu machen, dass sie ihre europäische Produktion in der Bundesrepublik ansiedeln? Laut Berylls-Prognose könne dies der deutschen Fahrzeugproduktion einen gewaltigen Schub verpassen (plus 400.000 Fahrzeuge pro Jahr). Bislang scheinen solche Hoffnungen allerdings unbegründet zu sein. Vielmehr sieht es so aus, als würden sich die chinesischen Autobauer im nahen Ausland niederlassen, um von dort den europäischen Markt mit günstigen Elektrofahrzeugen zu erobern.

Im Dezember 2023 hatte die chinesische Automarke BYD angekündigt, ihr erstes europäisches Werk im südungarischen Szeged bauen zu wollen. Nach Informationen des „Wall Street Journal“ hatte sich der weltgrößte Elektroautoproduzent zunächst für das Ford-Werk im saarländischen Saarlouis interessiert, das Mitte 2025 geschlossen wird, denn der US-Konzern will den Elektronachfolger für den Ford Focus aus Kostengründen lieber im spanischen Valencia bauen. Die Autofabrik in Saarlouis, für die es laut Medienberichten zwischenzeitlich bis zu 15 Interessenten gab, steht nun vor dem Aus. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht, die IG Metall kämpft deswegen mit Warnstreiks um eine Abfindung für die 2750 Beschäftigten, die ihren Job verlieren werden. Auch bei den Zulieferern drängt die Gewerkschaft bereits mit Warnstreiks auf tarifliche Sozialpläne.

Marktführer auf Expansionskurs: Im „Herzen von Europa“ plant der chinesische Automobilhersteller BYD eine Megafabrik mit tausenden Arbeitsplätzen. | Foto: BYD

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sieht indes wenig Grund für Aktionismus. Beim Energiedialog 2024 des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE) vergangene Woche verwies der Grünen-Politiker auf den geplanten Bau einer E-Auto-Batteriefabrik durch die schwedische Firma „Northvolt“ bei Heide (Kreis Dithmarschen). „Nothvolt hat in ganz Europa von Griechenland bis Skandinavien gesucht, wo der beste Standort ist. Und sie haben sich für die Westküste Schleswig-Holsteins entscheiden, weil dort die Dichte des erneuerbaren Stroms am stärksten ist, sonst wären sie woanders hingegangen“, sagte Habeck. Das Beispiel zeige, dass die Strategie der Bundesregierung, „durch Klimaschutzanstrengungen auch industrielle Wertschöpfung nach Deutschland zu bringen“, aufgehe. Laut dem Bundeswirtschaftsminister müssten zwar noch die Energiepreise sinken, das Strommarkt-Design angepasst und die energieintensiven Industrien entlastet werden. „Das Konzept ist aber in sich stimmig und wird jetzt erfolgreich umgesetzt werden“, versprach Habeck.

Robert Habeck spricht beim BEE Energiedialog 2024 in Berlin. | Screenshot: BEE/Link

Zum plötzlichen Stopp der E-Auto-Förderung äußerte sich Habeck dagegen nicht. „Die Elektromobilität in Deutschland befindet sich nach dem Wegfall der Kaufprämie in einer schwierigen Übergangsphase mit rückläufigen Elektroneuzulassungen im Jahr 2024“, sagt Prof. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Sein Autoinstitut hat ausgerechnet, dass ein Elektroauto in Deutschland durchschnittlich rund 52.000 Euro kostet. Laut Bratzel bleibt den deutschen E-Autobauern nichts anders übrig, als Rabatte anzubieten und geringere Margen in Kauf zu nehmen, was sich derzeit auch in Form einer regelrechten Rabattschlacht niederschlägt.

„Vorteile haben Automobilhersteller wie Tesla oder chinesische Hersteller, die dank ihrer hohen vertikalen Integration und Erfahrung bereits eine bessere Kostenposition besitzen“, sagt Bratzel. 2024 hält er aufgrund des Mangels an günstigen Elektrofahrzeugen für ein verlorenes Jahr für die deutsche Autoindustrie. „Erst im Jahr 2025 kann aufgrund einer höheren Anzahl kostengünstiger Modelle wieder mit einer stärkeren Dynamik der Elektromobilität in Deutschland gerechnet werden“, lautet seine Einschätzung.

Bei den batterieelektrischen Fahrzeugen sind die Premiummodelle in Deutschland bisher am meisten gefragt. In der Breite ist die Elektromobilität dagegen kaum angekommen. | Quelle: CAM

Ganz ähnlich sehen das auch die Unternehmen selbst. „Nicht einmal jeder zehnte deutsche Zulieferer erwartet eine Verbesserung der Geschäfte im ersten Halbjahr 2024“, berichtet die ArGeZ. Der Autozulieferer Bosch will in diesem Jahr mindestens 1500 Jobs streichen, beim Mitbewerber ZF stehen bis 2030 mindestens 12.000 Stellen auf der Kippe und auch die Autosparte von Continental schrumpft um mehr als 1000 Arbeitsplätze in Deutschland. Für Bratzel kommt der Stellenabbau nicht überraschend. „Wir sind im Moment in Deutschland mit vielen Aufholprozessen beschäftigt. Wenn wir in den nächsten zehn bis 15 Jahren wieder erfolgreicher werden wollen, müssen wir wieder vor die Welle kommen“, sagt er kürzlich dem SWR. Gute Chancen sieht er beim autonomen und automatisierten Fahren. Hier seien die deutschen Hersteller bereits vorne mit dabei.

Stefan Bratzel | Foto: CAM
Dieser Artikel erschien am 30.1.2024 in Ausgabe #17.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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