5. Mai 2019 · 
Parteien

Wahlkampf in Hannover mit dem Kanzler aus Wien

In knapp drei Wochen sind Europawahlen – und ein Schaulaufen der deutschen Spitzenkandidaten hat es gestern und vorgestern in Hannover gegeben. Erst trat hier am Sonnabend die Nummer eins der Union auf, der CSU-Politiker Manfred Weber. Er ist sogar die Leitfigur aller christdemokratischen Parteien in Europa und soll nach deren Willen nächster EU-Kommissionspräsident werden, sozusagen der „Regierungschef“ der EU. Am Sonntag folgte Katarina Barley, die Bundesjustizministerin aus Rheinland-Pfalz, die als deutsche SPD-Spitzenkandidatin in das Europaparlament einziehen will. Sie begeisterte mit ihrem sehr persönlichen Sympathie-Wahlkampf mehr als 300 SPD-Anhänger in der „Nordkurve“ am Rande des Fußballstadions. Doch das Hauptinteresse richtete sich weder auf Weber noch auf Barley, sondern auf eine dritte, noch prominentere Person: Zur Unterstützung des CSU-Politikers war an dessen Seite ein Staatsgast aus Österreich erschienen, der dortige Bundeskanzler Sebastian Kurz – ein mit 32 Jahren außergewöhnlicher, unkonventioneller Politiker. [caption id="attachment_40300" align="alignnone" width="780"] Sebastian Kurz und Manfred Weber am Sonnabend in Hannover - Foto: kw[/caption] Die Unterschiede sind schon gravierend: Während die SPD die Ankunft von Barley überall in der Stadt auf Plakaten ankündigte, wirkte die Visite des Duos Weber/Kurz fast wie eine Geheimaktion. In den Expo-Wal am Rande der Stadt, ein etwas abgelegenes Veranstaltungszentrum, hatte die Junge Union mit ihrem neuen Bundesvorsitzenden Tilman Kuban die beiden Gäste eingeladen. Angereist waren, teilweise mit Reisebussen, 700 Engagierte der Jungen Union aus dem ganzen Bundesgebiet. Kuban ist zugleich EU-Kandidat aus Hannover, und der österreichische Bundeskanzler begleitete an diesem Tag seinen Freund und Weggefährten Weber.
Der real existierende Kevin hat die Maske der SPD fallen lassen und gezeigt, wohin die Barleys und Stegners in Europa wollen.
Der Auftritt diente der Mobilisierung der Anhänger. Dazu kamen die jüngsten Äußerungen des Juso-Bundesvorsitzenden Kevin Kühnert wie bestellt. Der CDU-Landesvorsitzende Bernd Althusmann sagte zur Begrüßung im Expo-Wal, er sei Kühnert „zutiefst dankbar“: „Der real existierende Kevin hat die Maske der SPD fallen lassen und gezeigt, wohin die Barleys und Stegners in Europa wollen.“ Die Union aber wolle „keinen demokratischen Sozialismus – und diesen Kevin erst recht nicht“. Tosender Applaus ertönte daraufhin. https://twitter.com/sebastiankurz/status/1124762836994023424 Der Beifall für den nachdenklich wirkenden und zuweilen etwas langatmig vortragenden Weber war in dem Moment am lautesten, als er sagte: „Als EU-Kommissionspräsident würde ich von der Richtlinienkompetenz Gebrauch machen und die Beitrittsgespräche mit der Türkei sofort beenden.“ Der CSU-Politiker setzte sich für eine konsequente Sicherung der EU-Außengrenze ein und dafür, nicht mehr alle Flüchtlinge aufzunehmen. Klar müsse aber sein, dass das Menschenleben jedes Flüchtlings gerettet werden müsse. Ein „Marschallplan für Afrika“ müsse her auch ein eigener EU-Kommissar für Afrika, damit sich Menschen dort nicht mehr auf den Weg nach Norden begeben. Der österreichische Kanzler ergänzte: „Wir werden das Ertrinken im Mittelmeer vollständig beenden können.“ Schon jetzt würden sich weniger Flüchtlinge aufraffen – da sie wüssten, an der Grenze zurückgewiesen zu werden. Dies müsse noch konsequenter und am besten schon in den Herkunftsländern selbst geschehen. Nur noch die legal einreisenden Menschen, etwa aus Bürgerkriegsgebieten, sollten in der EU aufgenommen werden, und natürlich jene, die man aus ihrer Notsituation befreien müsse. Aber Kurz sprach sich zugleich gegen totale Abschottung der EU aus, warnte vor Nationalismus und verteidigte vehement die Kooperation in Europa. Außerdem lehnte er Ungarns anti-liberale Reformen strikt ab: „An Demokratie und Menschenrechte muss sich jeder halten, ob in Ungarn, Rumänien, Polen oder Slowakei.“ Damit macht es der österreichische Kanzler seinen Kritikern schwer, ihn als Rechtspopulisten abzustempeln. Im Expo-Wal wurde Sebastian Kurz mit stehenden Ovationen gefeiert – fast ein wenig stärker noch als der eigentlich in den Mittelpunkt gestellte Weber. Die Sätze von Kurz klingen zwar wie einstudiert, ohne Ecke und Kanten. Aber er selbst trägt das ernst und ohne jeden Pathos vor, er wirkt authentisch. Für die JU-Mitglieder ist er wie ein neuer europäischer Polit-Star. https://twitter.com/katarinabarley/status/1125010388175790082 Rund 15 Kilometer entfernt und 14 Stunden später, mitten in Hannovers Stadtzentrum, waren Weber, die Ungarn und auch Österreichs Kanzler erneut ein Thema – nämlich bei der konkurrierenden Partei, der SPD. Es war frisch, aber sonnig, die SPD hatte sich mit bunten Luftballons und Waffel-Stand auf dem Vorplatz des Restaurants „Nordkurve“ getroffen. Neben Ministerpräsident Stephan Weil und dem neuen hannoverschen OB-Kandidaten Marc Hansmann sprach zunächst der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange und attackierte – ohne seinen Namen zu nennen – die Politik von Österreichs Kanzler Kurz: Der bilde eine „Koalition mit Neofaschisten“ und bringe „Unruhe in die Konservativen“. Und dass die CSU und Manfred Weber jetzt von der Politik Viktor Orbans in Ungarn abrückten, sei auch nicht glaubwürdig: „Die Politik in Budapest wird gedeckt von der Union in Deutschland.“ SPD-Spitzenkandidatin Barley legt später noch nach: „Noch bis ins vergangene Jahr“ habe die CSU „Orban hofiert“, und das, als dieser schon die Pressefreiheit beschnitten und die Kulturschaffenden eingeschüchtert habe. Erst jetzt folge die Distanzierung, das überzeuge nicht. Dass sich in Rumänien eine sozialdemokratisch geführte Regierung auf einen ähnlichen Weg wie Orban in Ungarn begeben hat, ließen Barley und Lange indes unerwähnt. [caption id="attachment_40301" align="alignnone" width="780"] Katarina Barley und Stephan Weil in Hannover - Foto: kw[/caption] Die SPD-Spitzenkandidatin erntete den stärksten Beifall ihrer Zuhörer, als sie von ihrer eigenen Lebenssituation berichtete. Bei einem europäischen Studienaustausch-Programm Erasmus habe sie ihren späteren Mann kennengelernt – ihre Kinder seien also „Erasmus-Kinder“. Ihr Engagement für Frieden in Europa begründete Barley auch mit der Lebensgeschichte ihrer Eltern. Ihr britischer Vater, Jahrgang 1935, sei neben einem Flugplatz der Royal Air Force aufgewachsen und habe sich als Kind für die Flugzeuge begeistert. Ihre Mutter, Jahrgang 1940, habe auf der Flucht 1945 in Dresden Station gemacht, als die Stadt bombardiert wurde. „Ich habe manchmal überlegt, dass die Bomber, die mein Vater so toll fand, meine Mutter hätten töten können.“ In den Fragen, die in der SPD-Veranstaltung an Barley gerichtet wurden, kamen – ähnlich wie tags zuvor bei Weber und Kurz – viele junge Leute zu Wort. Einer von ihnen fragte auch hier nach den Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken. Barley hält einen „neuen Nord-Süd-Dialog“ für nötig – das klang ganz so wie das, was der CSU-Politiker und der österreichische Kanzler vorher auch gesagt hatten. Das Thema Kevin Kühnert hingegen wurde im offiziellen Teil der SPD-Veranstaltung mit keinem Wort erwähnt. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #083.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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