5. Feb. 2019 · 
Bildung

Vorbilder, aber auch Halunken: Niedersachsen prägten die Weimarer Nationalversammlung

Manche erklären sie für Helden, und in gewisser Weise trifft das auch für viele von ihnen zu. Heute vor 100 Jahren, am 6. Februar 1919, sind mehr als 400 gewählte Volksvertreter der Nationalversammlung in Weimar zusammengekommen – abseits der nach gewalttätigen Auseinandersetzungen als unsicher erscheinenden Reichshauptstadt Berlin. Sie tagten im Nationaltheater und formten eine Verfassung, die dann nach wenigen Monaten im Juli beschlossen wurde. Sie ist die erste demokratische Verfassung mit vielen Grundrechten, die ihre Gültigkeit für mehrere Jahre entfaltete und die junge Republik wenigstens in der Anfangszeit gut zu schützen vermochte. Unter diesen mehr als 400 Abgeordneten waren auch etliche aus den Gebieten, die heute das Land Niedersachsen bilden. Die meisten waren aus der SPD, die meisten waren Männer – und der weit überwiegende Teil gehörte zu denen, die dann später auch für die Verfassung stimmten. Die SPD, die liberale DDP und das katholische Zentrum hatten sich dafür ausgesprochen.Wer sind nun diese frühen Volksvertreter, an die heute – zur 100. Wiederkehr ihres Wirkens – erinnert werden sollte? Nur wenige sind bekannt.Da ist etwa der Sozialdemokrat Heinrich Jasper zu nennen, der später von den Nazis im Konzentrationslager Bergen-Belsen ermordet wurde. Als Rechtsanwalt war er seit 1903 in der Braunschweiger Stadtpolitik aktiv, in der Revolutionszeit zwischen 1918 und 1920 wandte er sich gegen die Pläne der kommunistischen USPD, eine Räterepublik aufzubauen. Jasper nannte das „Diktatur einer undemokratischen Minderheit“, und in der steten Auseinandersetzung mit dem USPD-Führer Josef Oerter, der später zur NSDAP wechselte, setzte sich Jasper schließlich durch – er galt über viele Jahre als starke Führungspersönlichkeit in der Stadt. Auch ein Braunschweiger Gegenspieler aus der USPD, August Merges, wurde in die Nationalversammlung gewählt.

Rauch saß wegen "Majestätsbeleidigung" in Haft

Was die Sozialdemokraten angeht, fallen einige Personen mit Niedersachsen-Bezug in der Nationalversammlung auf. Willy Steinkopf aus Ostpreußen etwa, der 1949 Leiter der Oberpostdirektion in Hannover wurde, Frieda Lührs aus Frankfurt/Main, die 1919 bei der „weiblichen Erwerbslosenfürsorge“ in Hannover aktiv wurde, der Buchdrucker Gustav-Adolf Fischer, der später Landrat von Uslar wurde oder der Schuhmacher August Brey, der seine Karriere dem Umstand verdankt, dass die SPD-Spitze 1906 in Hannover-Linden den Parteilinken Karl Liebknecht nicht durchsetzen konnte. Otto Vesper aus Osnabrück wurde 1919 Leiter des neuen Arbeitsamtes in der Stadt, der Journalist Friedrich Rauch aus Hannover konnte von der Erfahrung berichten, 1895 wegen „Majestätsbeleidigung“ eine längere Haftstrafe verbüßt zu haben. Der Zigarrenmacher Karl Deichmann aus Uslar, wie Jasper vehementer Gegner der Räterepublik, ging später in die Bremer Politik und wurde Bürgermeister. Das Dienstmädchen Marie Behncke aus Wilhelmshaven wurde später Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt und gilt als erste Parlamentarierin Nordwestdeutschlands. Auch Richard Partzsch ist zu nennen, Vater des späteren niedersächsischen Sozialministers Kurt Partzsch, der in der NS-Zeit in Gestapo-Haft kam und nach 1945 im Büro von Kurt Schumacher in Hannover tätig wurde.

DDP-Politiker aus Niedersachsen gehörten zur Nationalversammlung

Aus Oldenburg kamen die SPD-Politiker August Jordan und Paul Hug, und vor allem Hug hat große Verdienste für den Aufbau der Weimarer Republik in der Region. Nach dem Matrosenaufstand in Wilhelmshaven hätte dort auch die Stunde der Räte-Regierung schlagen können, doch der vermittelnde Hug soll als Vize-Ministerpräsident ausgleichend und mäßigend gewirkt haben. Das half auch einer anderen starken Figur in Oldenburg, dem DDP-Politiker Theodor Tantzen, der dort seit 1919 als Ministerpräsident arbeitete und alle Putschversuche von links und rechts entschieden abwehrte. 1947, nach der Gründung Niedersachsens, endete Tantzen tragisch – inzwischen wieder Oldenburger Ministerpräsident, erlitt er in seinem Dienstzimmer einen Schlaganfall und starb. Weitere DDP-Politiker aus Niedersachsen gehörten zur Nationalversammlung – Jan Fegter aus Ostfriesland, Erich Koch-Weser aus Oldenburg, der später Reichsminister für Inneres und Justiz werden sollte, und Wilhelm Heile aus Diepholz, der nach 1945 in vielen internen Verhandlungen versuchte, die neue FDP erst mit der CDU zu fusionieren, dann mit der Deutschen Partei. Beides misslang ihm, auch am Nein aus eigenen Reihen.

Versuch eines „Welfenputsches“

Unter den Zentrum-Abgeordneten im der Nationalversammlung sticht der katholische Priester Wilhelm Maxen aus Hildesheim hervor, der Redakteur in Hannover war und die christlichen Gewerkschaften in Linden gründete. Der Schlosser August Josef Hagemann aus Osnabrück sollte 1920 sein Mandat wieder verlieren, da sich parteiintern ein Großbauer gegen ihn durchsetzte. Das aber löste Proteste aus und führte dazu, dass ein Handwerksmeister sein Mandat niederlegen musste, damit Hagemann nachrücken konnte und die Arbeiter zufrieden waren. Zwei Vertreter der „Deutsch-Hannoverschen Partei“ (DHP), die mit dem Zentrum kooperierte, fallen ebenfalls auf. Heinrich Langwost aus Pattensen, Beamter der Wollwäscherei Hannover-Döhren, warb später für „die politische Selbstbestimmung Niedersachsens“. Der Kaufmann Hermann Colshorn aus dem Heidekreis geriet 1920 in Verdacht, als Vertreter der alten Kaiserzeit-Eliten beim Kapp-Putsch versuchten, die Republik zu stürzen. Angeblich hatte es damals den Versuch eines „Welfenputsches“ gegeben, mit dem DHP-Funktionäre Hannover vom preußischen Einfluss befreien wollten. Man habe, hieß es, dem damaligen Oberbürgermeister Robert Leinert (SPD) angeboten, neuer Ministerpräsident einer „Hannoverschen Republik“ zu werden. Leinert aber ließ sich darauf nicht ein, der Putsch war vorüber.

Ablehnung der neuen Verfassung

Zur Gruppe der Abgeordneten der Nationalversammlung zählen noch der hannoversche Tischler Karl Aderhold von der USPD und der Isernhagener Landwirt Wilhelm Dusche von der rechtsliberalen DVP, der Partei Gustav Stresemanns. Fast als Niedersachse könnte Alfred Hugenberg gelten, der in Hannover geboren wurde und in Kükenbruch (Ostwestfalen-Lippe) lebte, sechs Kilometer von Rinteln im Kreis Schaumburg entfernt. Er gehörte als Abgeordneter der rechtsnationalen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zur Nationalversammlung – und lehnte die neue Verfassung ab, wie er überhaupt in den Folgejahren eifrig als Verleger und Agitator am Niedergang der Demokratie arbeitete und damit Adolf Hitler den Aufstieg ebnete. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #23.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail
Alle aktuellen MeldungenAktuelle Beiträge
Halten sich viele Barbershops nicht an Recht und Gesetz? Die niedersächsische Landesregierung kann einen solchen Verdacht weder bestätigen noch entkräften.  | Foto: GettyImages/Oleksandr Hrytsiv
Mit dem Boom kam das Misstrauen: Barbershops unter Generalverdacht
5. Mai 2025 · Christian Wilhelm Link4min
Bibelarbeit: Stephan Weil im Gespräch mit Julius Geiler. | Foto: Kleinwächter
Stephan Weil versteht die Verzagtheit nicht und warnt vor falschen Propheten im Netz
3. Mai 2025 · Niklas Kleinwächter4min
Foto: Wallbaum
Treue-Check für Beamte mit AfD-Parteibuch? Behrens rät von neuem Radikalenerlass ab
5. Mai 2025 · Klaus Wallbaum3min