Die Volkswirtschaftsexperten der Nord/LB haben am Montag die neue Konjunkturprognose vorgelegt – und sie üben sich darin zunächst in Optimismus. Manche können es wohl für Zweckoptimismus halten. Nach den Worten von Vorstandsmitglied Christoph Dieng hat die zuletzt nachlassende Inflation an den Finanzmärkten bereits Phantasien über eine bevorstehende Zinssenkung beflügelt. Für die Jahresmitte rechnet die Landesbank nun damit, dass die Europäische Zentralbank tatsächlich die Zinsen senkt. Das könne dann die Investitionstätigkeit der Unternehmen beflügeln. Im Übrigen hofft die Nord/LB auch auf die Belebung des privaten Konsums. Die Ausgabenfreude der Bürger könne wachsen, wenn die Inflation weiter nachlasse und auch die Löhne auf hohem Niveau bleiben.

Natürlich gebe es hier auch ein Risiko, sagte der Chefvolkswirt Christian Lips: „Die Lohndynamik ist hoch, und wir müssen auch schauen, wie sich das auf die Preise auswirken kann.“ Ein anderer Punkt, der die Erwartung einer sinkenden Inflation zerstören könnte, ist das Umfeld: „Wir haben eine sehr fragile geopolitische und wirtschaftspolitische Lage.“ Die geopolitischen Umstände beziehen sich auf die Krisen in der Welt, die mit den Stichworten Ukraine-Krieg, US-Präsidentschaftswahlen, Nahost-Krise, Taiwan-Krise und Krise am Roten Meer beschrieben werden können. Die wirtschaftspolitischen Umstände beziehen sich auf die Leitlinien der Ampel-Regierung, den Streit über Kürzungen und drängende Probleme wie Energiekosten und Bürokratielasten – und auf Signale aus Berlin, die bei der Wirtschaft als Verwirrung wahrgenommen werden.

Die Nord/LB-Experten sagen für die Bundesrepublik in diesem Jahr einen Anstieg des Bruttoinlandsproduktes um 0,3 Prozent voraus – für Niedersachsen sogar um 0,4 Prozent, also einen leicht besseren Wert. Die Gründe dafür erläuterte die Leiterin des Nord/LB-Bereichs für Research, Martina Noß: 2023 hätten einige Branchen sich sehr positiv entwickelt und hohe Zuwächse erlebt, das seien unter den prägenden Sektoren vor allem der Automobil- und Fahrzeugbau sowie die Nahrungs- und Futtermittelindustrie. Als drittes könne noch der Maschinenbau dazu zählen. Was den Auto-Sektor angeht, sind es in erster Linie gewerbliche Erwerber – es waren 2023 in erster Linie Firmen, die ihre Fahrzeugflotte vergrößerten oder erneuerten. Der Zuwachs in diesen Bereichen habe die Einbußen in den energieintensiven Branchen (Chemie, Papier, Stahlerzeugung) überwölbt.
Nun sieht die Nord/LB hier aber vor allem einen Nachholeffekt nach dem Ende der Corona-Krise. Wie Nord/LB-Vorstandsmitglied Dieng erläutert, sind auf mittlere Sicht die Rahmenbedingungen für den Autobau in Niedersachsen nicht rosig. In der E-Auto-Produktion seien die Chinesen dabei, den europäischen Markt mit günstigen Fahrzeugen zu überrollen. „Es werden in China derzeit neue Transportschiffe gebaut, die die Autos nach Europa bringen sollen.“ Da sei es schwer, allein auf das Luxus-Segment an Autos zu setzen, zumal man die Absicht habe, von 2026 an nur noch E-Autos zu verkaufen. Zwar bleibe als Vorteil der deutschen Autohersteller, beständig wertvolle Produkte zu liefern. Ob das im Wettbewerb ausschlaggebend sei, werde man sehen.

Dieng hofft auch auf Reformen in der Politik: Planungen und Genehmigungen etwa für Infrastrukturprojekte müssten beschleunigt werden, es müssten gezielt mehr ausländische Fachkräfte angeworben werden – und es müsse bessere Zuverdienstmöglichkeiten für Rentner geben. Nur so könne eine neue Dynamik entstehen. Nun zeichnet die Nord/LB-Prognose über weite Teile ein düsteres Bild. So erlebe etwa im Wohnungsbau jedes vierte Unternehmen eine Stornierung von Aufträgen. Ob die Talsohle des Konjunkturtiefs schon erreicht sei und es jetzt aufwärts gehe, könne man noch nicht aus den Zahlen ablesen, sagte Lips. Es herrsche Stagnation. Eine Belastung für das Investitionsklima komme auch aus der „restriktiven Fiskalpolitik“, also aus den Förder- und Zuschusskürzungen und möglichen Abgabenerhöhungen, die eine Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse sein können.
Ob er für eine Änderung der Grundgesetz-Regeln zur staatlichen Kreditaufnahme eintrete, wollte Lips nicht definitiv sagen. Er meinte aber, die bisherige Vorgabe zur erlaubten Neuverschuldung (für den Bund 0,35 Prozent des BIP, für die Länder 0,0 Prozent) sei „vom Himmel gefallen“, also willkürlich festgelegt worden. Er sei skeptisch, ob man eine Lösung für den Investitionsbedarf ohne Anpassung der Schuldenbremse in der Verfassung hinbekomme. Für eine solche Reform des Grundgesetzes bräuchten die Ampel-Parteien eine Mitwirkung der CDU/CSU.
