Umweltverbände in Niedersachsen warnen die Politik davor, zugunsten der Ernährungssicherheit kurzfristig die Umweltstandards in der Landwirtschaft zu senken. Die Verbände reagieren damit auf ein Positionspapier der unionsgeführten Landesagrarministerien, das in der vergangenen Woche vorgestellt wurde. Niedersachsens Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) hatte dazu am Donnerstag bei der Vorstellung der sogenannten „Burg Warberger Erklärung“ gesagt, es dürfe angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auch für den Agrarsektor „keine Denkverbote“ geben: „Die gesamte Agrarpolitik muss auf den Prüfstand. Es gilt, sofort im Sinne der Landwirtschaft und der Ernährungssicherung zu handeln.“ Mit dieser Ankündigung hat sie nun die Spitzen von Naturschutzbund (Nabu) und Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) aufgeschreckt.
Der Nabu-Landesvorsitzende Holger Buschmann sagt: „Die Äußerungen der Ministerin kommen einer Aufkündigung des ,Niedersächsischen Weges‘ gleich.“ Er fordert, dass ökologische Aspekte nicht unter den Tisch fallen dürften. Kurzfristige Produktionssteigerungen auf Kosten der Umwelt bezeichnet er als „gefährlichen Weg in die Sackgasse“. „Wir müssen dringend weiter an der Ökologisierung festhalten, da ansonsten ein Kollaps der Ökosysteme droht und in deren Folge bei gleichzeitig massiv steigenden Energiepreisen und einer Verknappung der Düngemittel auch unsere Versorgung künftig infrage gestellt ist“, sagt Buschmann.

Amtskollege Sven Schulze aus Sachsen-Anhalt haben auf
Burg Warberg eine gemeinsame Erklärung zur Reform der Landwirtschaft abgegeben. Foto: ML
Auch Susanne Gerstner, Landesgeschäftsführerin des BUND Niedersachsen, kritisiert die Vorschläge der CDU-Minister als „kurzfristigen Aktionismus“ und fordert stattdessen „zukunftsfähige Lösungen“. Sie mahnt an, dass der mit dem europäischen Green Deal, der Zukunftskommission Landwirtschaft und dem niedersächsischen Weg eingeschlagene Kurs hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beibehalten werden müsse. Für ihren Verband formuliert sie alternative Ansätze, die die deutsche Agrarpolitik jetzt einschlagen müsste, um auf den Krieg in der Ukraine zu reagieren. So richtet sich ihr Blick zunächst auf andere Länder jenseits der EU, denn die Auswirkungen bekämen zunächst die Menschen in afrikanischen und arabischen Ländern zu spüren, erläutert Gerstner.
Um die ausfallenden Weizenexporte aus der Ukraine zu kompensieren, sollte ihrer Ansicht nach die Bundesrepublik „erheblich mehr Geld“ in das World Food Programm (FWP) investieren. Gerstner spricht sich außerdem dafür aus, die Nutztierbestände hierzulande rasch abzubauen. „Weltweit landet ein Drittel aller Feldfrüchte in den Mägen der Nutztiere, allein in Deutschland wird 60 Prozent des Getreides an Tiere verfüttert“, rechnete Gerstner vor. Zudem sollte der verpflichtende Anteil für Agrokraftstoffe (beispielsweise aus Raps) vorrübergehend reduziert werden, schlägt die BUND-Geschäftsführerin vor. Dadurch würden kurzfristig 800.000 Hektar für die Ernährungsversorgung frei. Mit diesem Vorschlag liegt Gerstner allerdings nicht weit von den CDU-Ministern entfernt, die sich ihrerseits für eine klare Priorität bei Lebensmitteln statt bei Biokraftstoffen ausgesprochen haben.

Mit der „Burg Warberger Erklärung“ haben die fünf CDU-Landesagrarminister aus Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg ihre Vorschläge für eine agrarpolitische Reaktion auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine formuliert. Darin nehmen sie zunächst auch die Lage der Schwellen- und Entwicklungsländer in den Blick, denen durch Kooperation mit der EU geholfen werden solle. Kritikwürdig sind aus Sicht der Umweltverbände allerdings die Punkte 9 und 10 der Erklärung, in der die Agrarminister zunächst noch schreiben: „Wir bekennen uns zum Ziel einer nachhaltigen, umwelt-, klima-, und tiergerechten Landwirtschaft.“ Gleichzeitig fordern sie aber auch eine „Neubewertung“ der Agrarpolitik, wie es sie gerade in allen anderen Politikfeldern auch gebe. So fordern die Minister etwa von der Europäischen Kommission, dass die Verpflichtung zu Flächenstilllegungen vorübergehend ausgesetzt werden soll.
Zudem formulieren die Landesminister ihre Erwartung an den Bund und die EU, die Agrarpolitik krisenfest aufzustellen. Dies soll beispielsweise bedeuten, dass die Selbstversorgung mit Getreide, Ölsaaten und Eiweißpflanzen jederzeit sichergestellt werden müsse. Außerdem solle die Agrarbranche ihre Lieferketten einem Stresstest unterziehen. Nach der Corona-Krise habe nun der Krieg in der Ukraine erneut gezeigt, dass die Abhängigkeit von Drittstaaten eine Achillesverse für die Ernährungswirtschaft sei. Insgesamt fordern die Minister also eine Stärkung der heimischen Produktion und einen klaren Vorrang für die Produktion von Lebensmitteln gegenüber anderweitiger Verwendung von Agrarflächen.