
Der niedersächsische DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh ist als junger Mann vor dem Mullah-Regime im Teheran geflohen – und hat sich in Deutschland eine neue Existenz aufgebaut. Im Interview mit dem Politikjournal Rundblick beschreibt er, was die Berichte über die Massendemonstrationen im Iran und die brutale Gewalt des Regimes bei ihm auslösen.
Rundblick: Was empfinden Sie, wenn Sie die täglichen Nachrichten aus dem Iran lesen?
Payandeh: Jeden Tag habe ich mit Tränen zu kämpfen, wenn ich die Bilder der jungen Opfer und die brutale Gewalt des Regimes sehe. Sicherheitskräfte und paramilitärische Einheiten in Zivil schießen mit Gummigeschossen gezielt ins Gesicht der Menschen oder in die Genitalien der Frauen. Sie sortieren die jungen Frauen nach ihrem Aussehen. Die Opfer werden Tage oder Wochen lang geschlagen, vergewaltigt und gedemütigt. Inzwischen gibt es mehr als 20.000 Festgenommene, mehr als 600 Tote, darunter 44 Kinder, die zwischen zwei und 17 Jahre alt sind.Das Regime ist auf der Suche nach Menschen, die sie an ihre Galgen hängen können, um so ihre Rachegefühle auszuleben. Das ist niederschmetternd. Aber ich empfinde auch Hoffnung. Es gehen so viele Menschen auf die Straße, wie es sonst nie der Fall war. In den zurückliegenden 43 Jahren seit der islamischen Revolution im Iran hat es immer Demonstrationen gegeben. Doch die Gewalt der Herrscher hat das bisher immer wieder ersticken können. Das ist jetzt anders. Und daraus schöpfe ich Mut.
Rundblick: Sie selbst haben das Regime der Mullahs am eigenen Leibe erlebt. Schildern Sie uns bitte mal Ihren Lebensweg…
Payandeh: Ich bin 1960 in Abadan im Süden Irans geboren, mein Vater war in der Gewerkschaft aktiv. Als 1979 der Schah gestürzt wurde, gehörte ich in der Schule zu denen, die für die Revolution gestritten haben. Mein Vater warnte mich damals und riet, ich solle mich doch zurückhalten. Aber das war auchein Generationskonflikt und ich hörte leider nicht auf ihn. Heute weiß ich: Mein Vater hatte recht, denn in der Regierungszeit des Schahs – wie auch schon zuvor – hatte es eine Modernisierung gegeben, es wurden Schulen und Krankenhäuser gebaut, es gab eine Alphabetisierungskampagne. Doch uns jungen Leuten kam das 1979 nicht in die Köpfe. Die Mullahs instrumentalisierten unsere Unzufriedenheit für ihre Zwecke, sie wurden dabei unterstützt von der Sowjetunion, die dabei ihre eigenen geostrategischen Interessen im Blick hatte.

Rundblick: Sie haben dann ziemlich schnell gemerkt, wie das Khomeini-Regime die Freiheit eingeschränkt hat…
Payandeh: Ja. Das war eben keine 68er Bewegung, die damals gegen die Regierung des Schahs lief – es war und ist der Versuch der Mullahs, ein mittelalterliches System zu errichten. Ich wohnte damals in Abadan, einer Stadt, in der die Mullahs wenig Einfluss hatten. 1978 hatte es hier einen Anschlag auf das Kino „Rex“ mit 422 Toten gegeben, und behauptet wurde damals, der Schah habe das veranlasst. Dabei ist klar, dass Khomeini und seine Leute dahinter steckten. Sie nahmen damals den Tod vieler Menschen in Kauf, da es dem Zweck diente, die islamische Revolution anzufachen. Als die Mullahs die Macht im Iran übernommen hatten, waren ihnen die Menschen in Abadan zuwider, wir sollten vertrieben werden. Meine Familie und ich mussten fliehen – und das Regime ging später durch die Häuser und forschte nach den Menschen, die dort gelebt hatten, um sie später an ihren neuen Aufenthaltsorten zu verfolgen. Von 1980 bis 1985 waren wir quasi im eigenen Land auf der Flucht. Wie brutal das Regime vorging, spürte ich, als der Sohn eines Cousins meines Vaters, der Sprecher einer oppositionellen Gruppe, gefoltert und erschossen wurde. Wir mussten dann sein Grab ausheben und ihn beerdigen.
Rundblick: Wie konnten Sie aus dem Iran fliehen?
Payandeh: Ein Nachbar fertigte einen illegalen Pass an – und ich gelangte so zunächst in die Türkei, dann nach Sofia und Ost-Berlin. Eigentlich war Dänemark mein Ziel gewesen, weil es dort gute Integrationsangebote gab. In die Bundesrepublik wollte ich eigentlich nicht, denn über sie war bekannt, dass Asylbewerber bis zur Anerkennung als politisch Geflüchtete nichts machen durften. Wir durften damals nicht einmal Deutsch lernen oder uns im Land frei bewegen. Ich wollte möglichst schnell die neue Sprache lernen und studieren. Am Ende war ich dann doch in der Bundesrepublik – und baute hier trotz aller Schwierigkeitenmein neues Leben auf. Ich habe inzwischen in Niedersachsen mein neues Zuhause gefunden.
Rundblick: Müssen Sie an all das denken, wenn Sie heute die Berichte über die Ereignisse im Iran sehen?
Payandeh: Ja, es bewegt mich sehr. Ich sehe, wie sehr ich damals richtig lag. Das Regime in Teheran ist verbrecherisch und korrupt. Die meisten Machthabernicht einmal religiös, aber mächtig. DieseMächtigen nutzen die Religion als Vorwand für die Unterdrückung der Menschen. Seit dieser Woche haben Vollstreckungen der Todesurteile begonnen. Das erste Opfer heißt Mohsen Shakeri und wurde für eine Straßensperre hingerichtet. Der Staatsanwalt, der für einen 23-jährigenDemonstranten das Todesurteil beantragt hat, lebt selbst in Saus und Braus und ohne Rücksicht auf irgendwelche Verhaltensnormen wie Kopftücher. Dieser Mann führt ohne ein schlechtes Gewissen weiterhin sein tolles Leben in westlicher Manier. Das ist einfach krank.Als es um das Atomabkommen mit dem Iran ging, hat es mich schon aufgeregt, wie viele in Deutschland sich weggeduckt haben oder meinten, man müsse ja um des Friedens willen mit dem Regime in Teheran kooperieren. 43 Jahre lang ist der Terror dieses Regimes gegen die eigene Bevölkerung von den Europäern absichtlich übersehen worden, viele fanden die Geschäftsbeziehungen wichtiger. Formeln wie „Wandel durch Handel“ oder „kritischer Dialog“ sollten nur verschleiern, dass wir nichts wirklich für die Menschen getan haben.
Rundblick: Sie fordern einen Wandel der Außenpolitik?
Payandeh: Unsere Politik gegenüber Russland ist gescheitert. Es darf nicht das gleiche mit dem Iran passieren. Die jungen Menschen, die auf die Straße gehen, haben keine Waffen. Sie verabreden sich über das Internet, sie filmen die Gewalttaten der „Revolutionsgarden“ und anderer Sicherheitskräfte. Diese jungen Menschen teilen unsere westeuropäischen Werte – und wir haben sie bisher im Stich gelassen. Ich bin froh über die jüngsten Äußerungen von Annalena Baerbock und Frank-Walter Steinmeier zum Thema Iran. Wenn der Westen schweigt und nicht hinschaut, sterben die Menschen im Iran. Wenn wir den Protest öffentlich machen und unterstützen, besteht die Chance, dass das Regime demaskiert wird.
Rundblick: Was können wir tun?
Payandeh: Die Menschen im Iran rufen zur Hilfe: werdet unsere Stimme! Europa sollte an vorderster Front die iranische Revolution unterstützen, für die erste Frauenrevolution weltweit. Europa und Deutschland müssen die Kampagne #stopExecutionsInIran aktiv unterstützen.Wenn beispielsweise der Ministerpräsident, die Vize-Ministerpräsidentin und der CDU-Fraktionsvorsitzende Patenschaften für die jungen Leute übernehmen, die im Iran inhaftiert sind, dann könnte das sehr hilfreich sein. Patenschaften hieße, bei den Botschaften für die Opfer des Regimes vorstellig zu werden, zu protestieren und Freilassungen zu verlangen. Internationalen Druck mag das Regime nicht. Ich frage mich auch, warum die „Revolutionsgarden“ immer noch nicht auf der Terrorliste stehen und warum ihre Konten bei uns nicht gesperrt werden. Wie viele Gründe brauchen wir noch, um endlich zu sehen, dass wir diese Verbrecher nicht länger ignorieren können?
Rundblick: Einige setzen auf Dialog und meinen, man könne das Regime zum Einlenken bringen. Andere fürchten, ein Sturz des Regimes könne das Machtgleichgewicht gefährden, zumal Iran im Einflussgebiet der Russen liegt.
Payandeh: Vom Wandel des Regimes spricht man nur in Europa. Im Iran glaubt keiner mehr daran. Und ob die Russen gegenwärtig so stark sind, dem Regime beizustehen, darf bezweifelt werden. Die Chinesen profitieren von den westlichen Sanktionen gegen den Iran, weil sie dahin ihre Waren zu überhöhten Preisen verramschen können – und billiges Öl erhalten. Das ist ein Bündnis, das nur zweckgerichtet ist. Das iranische Regime ist sehr geschwächt und innen- wie außenpolitisch isoliert. Es wird immer einsamer um die Mullahs. Noch nie war der Zeitpunkt für einen Regimewechsel, für einen demokratischen Wandel und für eine Renaissance unserer europäischen Grundwerte in einer Region wie im Mittleren Osten so günstig wie jetzt. Der Westen muss sich entscheiden, auf welcher Seite er stehen will.
Rundblick: Wie groß ist die internationale Bedeutung der Freiheitsbewegung im Iran?
Payandeh: Sie ist beträchtlich. Das Vorbild Iran wird in die Welt getragen. In Afghanistan protestieren die Frauen gegen die Taliban-Herrscher mit den Parolen aus dem Iran. Der Leitspruch „Frau, Leben, Freiheit“ wurde auch in China laut, als es dort jüngst zu Protesten gegen die strengen Corona-Auflagen gekommen war. Die Vorfälle zeigen, wie nötig eine Neubestimmung der deutschen Außenpolitik ist. Die deutsche Entspannungspolitik Deutschlands während des kalten Kriegs taugt nicht für dieLänder wie Iran, Russland und Nordkorea. Diese Länder sind nicht berechenbar – das ist der Unterschied zur Sowjetunion, der man einst mit der Entspannungspolitik begegnet ist. Im Iran werden Jugendliche und Minderjährige, die protestieren, zum Tode verurteilt. Sie bleiben dann so lange in der Zelle, bis sie volljährig sind, also 18 Jahre alt. Dann werden sie gehängt. Das ist barbarisch, was dort geschieht.