24. Jan. 2024 · 
Bildung

Telekom-Aufsichtsrätin: Schüler brauchen Durchhaltevermögen und Leistungswillen

Die Bildungsmisere produziert nicht nur bedauerliche Einzelschicksale, sondern stellt inzwischen sogar eine echte Bedrohung für die Zukunftsfähigkeit der Industrienation Deutschland dar. Klare Worte für diese bedrückende Wahrheit fand am Mittwoch Stefanie Kreusel vom Aufsichtsrat der Deutschen Telekom. „Das, was wir lehren und wie wir lernen, macht den Unterschied zwischen Fortschritt und Stagnation aus. Auf dem Spiel steht unser aller Wohlstand und der Wirtschaftsstandort Deutschland“, sagte die Konzernbeauftragte für digitale Bildung und Schule beim ersten Bildungsgipfel der Unternehmerverbände Niedersachsen (UVN), der im „Karriere-Campus Hannover“, dem Seminar- und Tagungszentrum von „Swiss Life“, ausgerichtet wurde.

Telekom-Aufsichtsrätin Stefanie Kreusel spricht beim UVN-Bildungsgipfel in Hannover. | Foto: Kleinwächter

In ihrem Impulsvortrag formulierte Kreusel die Erwartungen, die Unternehmen heute an die Bildungseinrichtungen setzen: Was müssen die Schüler lernen, damit sie auf dem Arbeitsmarkt von morgen bestehen können? Zunächst seien das die harten Fakten, an denen man auch künftig nicht vorbeikomme: „Wissen bleibt ein wichtiges Fundament, das man nicht ergooglen kann. Die Grundkenntnisse etwa in Mathematik, Informatik oder Physik müssen einfach sitzen.“ Insbesondere bei der Mathematik und der Lesefähigkeit müsse dringend nachgesteuert werden, sagte sie. Dafür forderte Kreusel Investitionen und Konzepte.

Doch darüber hinaus gehe es auf dem Arbeitsmarkt immer stärker auch um die weichen Faktoren, die „Softskills“ oder Schlüsselkompetenzen. Über den üblichen Kanon hinaus hob die Telekom-Repräsentantin die klassischen Tugenden hervor, die manche für „spießig“, „steif“, „gestrig“ oder „uncool“ halten mögen: Disziplin, Durchhaltevermögen und Leistungswille. „Wir müssen die nächste Generation fördern und fordern, und nicht in Watte packen“, sagte Kreusel. Wenn man die kleinsten Selbstverständlichkeiten maßlos belohne, dürfe man nicht erwarten, dass die Schüler so etwas wie Resilienz entwickelten. „Die Tendenz, Fünfe gerade sein zu lassen, können wir uns schlicht nicht leisten“, mahnte sie und erinnerte an die fünf Prozent eines jeden Jahrgangs, die komplett ohne Abschluss die Schule verließen und damit denkbar schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.

Ein Problem sei dabei auch, dass die individuelle Freiheit quasi-religiös überhöht werde. Stattdessen solle beigebracht werden, sich selbst zurückzunehmen, wenn es der Gemeinheit dient. Kreusel kritisierte auch eine Überbetonung des Wortes „Life“, wenn die „Work-Life-Balance“ thematisiert werde, und mahnte mit Blick auf eine Social-Media-Blase, dass die Ökonomie nicht mit „Likes“ am Laufen gehalten werde. Positiv gewendet müsse kritisches Denken ebenso gefördert werden wie die Fähigkeit, mit Unsicherheiten umzugehen. Die jungen Menschen sollten Flagge zeigen für das große Ganze und eine Leidenschaft für lebenslanges Lernen entwickeln.

Den stärksten Kontrast zur Telekom-Aufsichtsrätin Kreusel erzeugte beim UVN-Bildungsgipfel Stefan Ruppaner, Schulleiter der Alemannenschule in Wutöschingen (Kreis Waldshut in Baden-Württemberg). Ruppaner postulierte, dass Unterricht der Anfang allen Übels sei, und begeisterte die Teilnehmer der Veranstaltung mit Eindrücken aus seiner ganz besonders liberalen Bildungseinrichtung. Klassen sucht man dort vergebens, ebenso Schulbücher oder eben Unterrichtsstunden. Die Schüler beschäftigen sich in gemischten Lerngruppen und haben alle einen sogenannten Lernbegleiter, also eine Lehrkraft, die sich einmal pro Woche für 15 Minuten mit dem Kind intensiv beschäftigt. Dabei brauche es dann eine exklusive Zuwendung, eine persönliche Beziehung und der Lernbegleiter müsse merken, wenn es dem Kind schlecht geht, erläuterte Ruppaner.

Schulleiter Stefan Ruppaner geht bei der Bildung neue Wege und macht damit offenbar alles richtig. | Foto: Kleinwächter

Die Lerninhalte beschaffen sich die Schüler über ihre Tablets, an ihren eigenen Arbeitsplätzen oder in sogenannten Lernateliers, auf Marktplätzen oder in Inputräumen, in denen sie in Einheiten, die nicht länger sind als 25 Minuten, von einem Lehrer unterrichtet werden. Insgesamt erinnern die Bilder, die Ruppaner mitgebracht hat, sehr an die modernen Arbeitswelten mit Co-Working-Spaces. Die Kinder sollen dazu erzogen werden, selber Verantwortung für ihren Lernerfolg zu übernehmen. Kann das funktionieren? Ruppaner ist davon überzeugt, und die Zahlen scheinen es zu belegen: Im Vergleich zu klassischen Schulen schlägt die Alemannenschule Wutöschingen im Baden-Württemberg-Vergleich durchweg besser ab.

Ist Wutöschingen ein Vorbild für Niedersachsen? Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) hat dem Vortrag von Stefan Ruppaner jedenfalls gespannt gelauscht. Zuvor hatte sie den Anwesenden von ihrem Anliegen der schulischen Freiräume berichtet. Die Schulen stünden vor der Aufgabe, Schüler auf Herausforderungen vorzubereiten, von denen man heute noch gar nicht wisse, wie sie aussehen werden. Der Vorstellung, dass man deshalb nun vor großen Problemen und wenig Hoffnung stünde, wolle sie aber widersprechen: „Unsere Schulen sind sehr kreativ und innovativ.“ Das Erlernen von Grundkompetenzen sei die Grundlage schulischen Daseins, so Hamburg. Den Zukunftsschulen gelinge es aber, sich trotzdem aus dem Korsett der Bildungsbürokratie zu lösen.

Dieser Artikel erschien am 25.1.2024 in Ausgabe #014.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail