TagesKolumne: Gesellschaftsvertrag mit Grinsepflicht
Es gibt Fotos, die sagen mehr als tausend Worte. Und es gibt Facebook-Posts, die sagen mehr über die Verfasser als über ihren Inhalt. Der SPD-Ortsverein Eschede hat aus einem Schnappschuss von einer Podiumsdiskussion der Celleschen Zeitung mit den Direktkandidaten vor Ort eine politisch-philosophische Weltanschauungsanalyse gemacht: Links die Guten (SPD, Grüne, Linkspartei) – rechts die Bösen (FDP, CDU, AfD). „Zur Linken Seite haben wir 3 tolle Menschen, die die Zeit auf dem Podium genießen, miteinander Reden und dabei einfach Spaß und Lebensfreude haben („Der Mensch ist von Natur aus Gut“ – Jean-Jacques Rousseau)“, heißt es in dem Posting. Weiter steht da: „Zur Rechten (Extremen) Ecke haben wir 3 finster dreinschauende Einzelkämpfer die zwar wie Medienprofis aussehen, aber halt auch langweilig, lustlos und lebens-müde und gelangweilt wirken. („Der Mensch ist von Natur aus Schlecht“ – Thomas Hobbes)“

Die Idee, politische Weltbilder anhand von Gesichtsausdrücken zu erklären, hat ihren Reiz. Wer lächelt, ist links, wer ernst schaut, ist rechts – die Lehre vom politischen Spektrum muss neu geschrieben werden! Die SPD Eschede geht in ihrem wissenschaftlichen Eifer aber noch einen Schritt weiter: Sie warnt in ihrem Posting vor Einsamkeit, weil diese Depressionen hervorrufen könne. Aber nicht etwa, weil soziale Isolation ein echtes Problem ist – nein, weil die politischen Gegner auf dem Bild nicht miteinander flachsen oder gruppenkuscheln. Das ist Küchenpsychologie aus der Mikrowelle der politischen Polemik – schnell erhitzt, ohne Nährwert und geschmacklos.
Natürlich blieb der Aufschrei nicht aus. Unter anderem meldeten sich die FDP-Bundestagsabgeordneten Anja Schulz und Gero Hocker entsetzt zu Wort: Die SPD in Eschede diffamiere Andersdenkende, instrumentalisiere psychische Erkrankungen und zeige ein problematisches Demokratieverständnis. Drei Vorwürfe, die nicht von der Hand zu weisen sind. Demokratie lebt vom Austausch, nicht von der Selbstbestätigung in der eigenen Filterblase. „Demokratie ist ein lebendiger Prozess, der davon lebt, Menschen zu begeistern und mitzunehmen“, schreibt der SPD-Ortsverein selbst. Mit der Herabsetzung der politischen Mitbewerber passt das überhaupt nicht zusammen.
Man könnte nun erwarten, dass sich der SPD-Ortsverein einsichtig zeigt und den Beitrag löscht oder sich sogar entschuldigt – stattdessen folgte eine trotzig-defensive Reaktion. In einem Kommentar richtete sich der Ortsverein direkt an die FDP und mahnte: „Seht ihr, wie der Diskurs vergiftet wird durch dieses ‚blaue Wunder‘?“ Dabei forderte die SPD Eschede die Liberalen auf, sich klar von der AfD zu distanzieren: „Zeigt klare Haltung, lasst euch nicht zum Mittäter machen. Das ziemt sich für Liberale nicht. Bedenkt das bitte in Zukunft.“ Ich glaube nicht, dass diese Zeilen mit besonders viel Lebensfreude geschrieben wurden – vermutlich saß da jemand mit ausdruckslosem Blick, eingefallenen Schultern und einer Miene, die selbst Thomas Hobbes als zu pessimistisch empfunden hätte.

Während der SPD-Ortsverein Eschede die politische Analyse revolutioniert und Mimik als neuen Wahlanzeiger entdeckt, kämpft man anderswo mit weniger philosophischen, aber durchaus praktischen Problemen. Das sind die Themen der heutigen Ausgabe:
◼ Cannabis-Modellprojekt stockt: Hannover und Frankfurt wollen den legalen Cannabis-Verkauf wissenschaftlich begleiten, doch die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung kommt mit der Bearbeitung der Anträge nicht hinterher. Vor Sommer wird es wohl nichts mit legalem Gras.
◼ Lehrer fürs Land: In vielen Regionen fehlen Lehrkräfte. Der Philologenverband startet deshalb eine eigene Kampagne, um Pädagogen aus der Stadt aufs Land zu locken. Das Kultusministerium überlegt noch, ob es sich anschließt.
◼ Überlastung anerkannt: Ein pensionierter Grundschulleiter hat erfolgreich auf Entschädigung geklagt. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg bestätigte, dass er jahrelang zu viel gearbeitet hat. Das Urteil könnte für viele Lehrer ein Präzedenzfall werden – und für das Land teuer.
In diesem Sinne, liebe Leserinnen und Leser, ziehen Sie doch mal Ihre eigenen Schlüsse aus den Gesichtsausdrücken Ihrer Mitmenschen. Aber vergessen Sie nicht: Politik macht man mit Argumenten – nicht mit Grimassen.
Ihr Christian Wilhelm Link
Dieser Artikel erschien am 12.02.2025 in der Ausgabe #028.
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