20. Juni 2025 · 
TagesKolumneKultur

TagesKolumne: Es war einmal in Vechta

Person, Kamera, Alligator, Vechta, Regenrückhaltebecken – vor einer Woche hätte man diese Wortfolge glatt noch für den bislang schwierigsten Demenz-Test für US-Präsident Donald Trump halten können. Heute wissen wir: Es handelt sich um die Bestandteile einer ebenso niedersächsischen wie absurden Episode im Spannungsfeld zwischen Reptilienkunde und kommunaler Gefahrenabwehr (der Rundblick berichtete).

Und mehr noch: Aus dem Vorfall in Vechta hat sich, fast unbemerkt, eine moderne Version von „Der Hirtenjunge und der Wolf“ entwickelt. Auch hier ein junger Mann, der Alarm schlägt. Auch hier eine Gemeinde, die reagiert. Und auch hier: kein Tier weit und breit. Nur dass der Hirtenjunge diesmal aus Goldenstedt kommt und sein Wolf ein Alligator ist.

Die Interpretation aus Vechta gibt der alten Fabel zudem einen neuen Spin: Für die Moral von der Geschicht’ sorgt nicht das tatsächliche Auftauchen des Wolfs, sondern das Auftauchen der IT-Forensiker von "CSI: Vechta" zum Dienstbeginn am Montagmorgen, die das Fake-Video des Jungen zerlegen und seinen Bluff aufdecken. „Ehre genommen“ würde man heute sagen. Oder in etwas märchenhafterer Sprache ausgedrückt:  Wer einmal prankt, dem glaubt man nicht – auch wenn er dann die Wahrheit spricht.

Fabelhaftes Vechta: Niedersachsen hat eine ganz neue Märchenstadt. | Foto: Link/mit KI generiert

Der Fall zeigt aber auch etwas Positives: Offenbar wollen nicht alle jungen Leute nur noch Influencer, Podcaster oder Escape-Room-Designer werden. Auch traditionelle Berufsbilder sind noch gefragt – zum Beispiel Lügenbaron. Ein Job, der heute so schwer ist wie nie. Hätte man dem alten Münchhausen – der übrigens ebenfalls ein Niedersachse war – schon mit Geodaten konfrontieren können, dann wäre seine Kanonenkugelreise vermutlich bei Google Earth als unbelegte Route abgelehnt worden.

Der Hirtenjunge hätte heute ebenfalls schlechte Karten: Ein kurzes Teams-Meeting mit dem Wolfsmonitoring – und sein Alarm würde umgehend als pubertäre Panikmache entlarvt, weil nachweislich kein mit Sender ausgestatteter Problemwolf in seiner Nähe war.

Und der gestiefelte Kater, der erfolgreichste Aufschneider der Märchenwelt? Der hätte das Video zwar auch nicht besser gefälscht, aber es cleverer verkauft. Nebenbei hätte er wahrscheinlich noch ein Schloss organisiert und wäre am Ende vermutlich Bürgermeister geworden. In Vechta allerdings regiert bereits ein Kater. Kristian Kater. Meistens ohne Stiefel – dafür aber mit kühlem Kopf und genug Absperrband für Alligator-Sichtungen.

Im Rundblick werfen wir heute einen genaueren Blick auf die echten Problemtiere der Landespolitik:

◼ Die AfD bleibt ein Verdachtsfall für den niedersächsischen Verfassungsschutz. Innenministerin Behrens wirft der Partei ethnisch aufgeladene Narrative und systematische Desinformation vor. Die AfD kontert mit Gegenangriffen – ein Schlagabtausch, der nun wohl vor Gericht weitergeht.

◼ FDP-Präsidiumsmitglied Susanne Seehofer will ihre Partei aus dem Umfragetief befreien: weniger Proporz, mehr Aufstiegschancen, mehr Klartext. Im Podcast mit Niklas Kleinwächter rechnet sie mit dem „Bindestrichliberalismus“ ab – und wünscht sich eine FDP, die wieder als das gilt, was sie sein will: eine Partei für die Mitte.

◼ Plattformen wie „Scheindoc“ oder „AU Schein“ bieten Krankschreibungen gegen Geld und werfen damit viele Fragen auf. Arbeitgeber und Krankenkassen sprechen von Kontrollverlust, Juristen warnen vor Missbrauch – und davor, dass das eAU-System zum Einfallstor für fragwürdige Atteste werden könnte.

Mit einem herzlichen "See you later, Alligator" verabschiedet sich
Ihr Christian Wilhelm Link

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #114.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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