TagesKolumne: Der letzte Fan
Er beruhigt sofort: Dieser lange Moment, bevor das Bittersüße des Kaffees durchdringt. Das Britzeln an den Lippen von einem Schaum, der nicht durch Luftzufuhr, sondern durch eine obskure chemische Reaktion entsteht. Wenn diese Reaktion bei einer Temperatur von achtzig Grad abläuft, kriegt der Schaum die perfekte cremige Konsistenz. Ich liebe Instant-Cappuccino. Leider bekommt man ihn kaum noch. Die Läden werfen ihn nach und nach aus dem Sortiment. Deswegen habe ich mir im Internet einen größeren Vorrat bestellt: in meiner Lieblingsvariante „weniger süß“, die leider trotzdem nur Nutriscore „D“ erreicht.
Die Älteren unter Ihnen werden sich an Herrn Angelo erinnern. 1993 eroberte er mit seinem mediterranen Charme die deutschen Herzen für Instant-Cappuccino. In dem Werbespot beschuldigte ihn eine blonde Dame, mit seinem Auto auf ihrem Parkplatz zu stehen. Erstmal besänftigte er sie, indem er ein Pulver aus einem Tütchen schüttete, mit Wasser aus einem stylischen Teekessel aufgoss und hingebungsvoll unter muttersprachlichem Säuseln rührte. Dann gestand er ihr mit Schlafzimmerblick:
„Isch ´abe gar keine Auto, Signorina.“
Wenn heute Menschen beim Flirten Pulver aus Tütchen schütten, würde man etwas Schlimmeres erwarten. Damals aber war Tütencappuccino nicht nur in meiner Familie der Inbegriff italienischer Lebensart. Inzwischen hat Italien Silvio Berlusconi überstanden, dessen Gesicht zuletzt auch aussah, als sei es das Resultat obskurer chemischer Reaktionen. Giorgia Meloni ist unglaublich charmant, aber trotzdem Neofaschistin. Nein, der Zauber Italiens hat gelitten.
Parallel zur italienischen Politik haben wir Cappuccino aus Kapseln und Vollautomaten überstanden. Immer mehr Privathaushalte sind bei Siebträgermaschinen angelangt, die preislich in die Richtung eines Kleinwagens gehen und fast ebenso viel Wartungsaufwand erfordern. Der Tütencappuccino versuchte noch einmal ein Comeback mit „extra viel Löffelschaum“. Erinnert sich noch jemand an diese historische Flirtgeste: Schaum aus fremden Tassen löffeln?
Sogar Herr Angelo wurde 2020 noch einmal reaktiviert. Diesmal servierte er seine Mischung nicht in schickem italienischem Design, sondern in einem rustikalen Kaffeebecher mit seinem Namen drauf. Zu dem Zeitpunkt war längst allen klar, die irgendwo Cappuccino bestellten und für drei Euro die Tütchen-Melange bekamen: Weiter ab vom Schuss kann es nicht mehr gehen. Ich bleibe dem Tütencappuccino trotzdem treu!
Höchste Zeit, jetzt dem Rat von Martin Kind zu folgen und über etwas Wichtigeres zu reden. Meine Kollegen Klaus Wallbaum und Niklas Kleinwächter haben das getan und ihn nicht über Fußball, sondern über Politik befragt. Außerdem haben wir für Sie:
- Hannovers Regionalbischöfin Petra Bahr plädiert dafür, Räume zu entwickeln, in denen Menschen über die Corona-Zeit reden können. Was wäre besser dafür geeignet als kirchliche Immobilien, oder?
- Schon lange reden Rot-Grün darüber, die Amtszeit für Bürgermeister zu verlängern. Wir wissen, warum jetzt doch nichts passiert.
- Reden hilft auch manchmal: Ulf Thiele (CDU) konnte die Regierungsfraktionen überzeugen, die Möglichkeit eines Nachtragshaushalts offen zu lassen. Das bedeutet Hoffnung für die Meyer-Werft.
Ich hoffe, Sie reden heute über die wichtigen Dinge und vergessen die unwichtigen dabei nicht ganz!
Ihre Anne Beelte-Altwig
Dieser Artikel erschien am 08.08.2024 in der Ausgabe #133.
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