29. Apr. 2025 · 
Meldung

Übergeht Rot-Grün die Opposition? Höchstes Gericht prüft Hinweise auf Verfassungsverstoß

Kontrahenten vor Gericht: Carina Hermann (von rechts), Volker Bajus und Wiard Siebels. | Foto: Wallbaum

Der Staatsgerichtshof in Bückeburg will Mitte August über eine Klage der CDU-Landtagsfraktion urteilen, in der es um nicht weniger geht als um die angestammten „parlamentarischen Spielregeln“, wie Präsident Wilhelm Mestwerdt am Dienstag während der Verhandlung hervorhob. Auslöser ist der mit rot-grüner Mehrheit am 3. Mai 2023 im Landtag beschlossene „zweite Nachtragshaushaltsplan“. Darin waren Mehrausgaben von mehr als 776 Millionen Euro festgelegt worden – unter anderem für die Unterbringung von Flüchtlingen, für das Schulobstprogramm, für multiprofessionelle Teams in Schulen und für Beamten-Zulagen. Die CDU beschwerte sich damals schon, dass für eine intensive Beratung nicht genügend Zeit gelassen worden sei. Monate später leiteten die Christdemokraten daraus dann eine „Normenkontrollklage“ ab – also den Vorwurf, wegen unnötiger und nicht begründeter Eile seien Oppositionsrechte missachtet worden, weshalb das Nachtragshaushaltsgesetz nicht verfassungsmäßig zustande gekommen sei.

Was war genau geschehen? Der Haushaltsausschuss des Landtags hatte am 26. April 2023 letztmalig über die Vorlage beraten – bevor dann neun Tage später, am 3. Mai, der Landtag darüber endgültig entschied. Erst am 24. April nachmittags seien die neuesten Detailvorschläge von Rot-Grün vorgelegt worden. Der gleichzeitig präsentierte Entwurf für das Haushaltsbegleitgesetz habe Änderungen für acht verschiedene Fachgesetze beinhaltet, auch acht verschiedene Einzelpläne seien betroffen gewesen. CDU-Fraktionsgeschäftsführerin Carina Hermann vertrat jetzt in Bückeburg dazu die Seite der Kläger: Die Landtagsjuristen hätten damals erklärt, sie könnten wegen der Kurzfristigkeit die rot-grünen Anträge „nur summarisch prüfen“. Das Bundesverfassungsgesetz habe – etwa beim Heizungsgesetz – den objektiven Anspruch auf ausreichende Beratungszeit bei Gesetzesbeschlüssen hervorgehoben. Ohne triftigen Grund sei eine Beschleunigung der Gesetzgebung unzulässig. Das gelte vor allem auch für die Ausschussarbeit, denn dort würden neue Gesetze im wesentlichen vorbereitet. Vor dem endgültigen Beschluss im Landtagsplenum, der später folgt, seien dann kaum noch weitreichende inhaltliche Änderungen möglich. Die Chancen der Opposition, auf ein Gesetz einzuwirken, bestünden vor allem in der Ausschussarbeit – und das sei hier mit der überstürzten Vorlage für den Haushaltsausschuss nicht möglich gewesen.

Vertritt Rot-Grün: Frauke Brosius-Gersdorf. | Foto: Wallbaum

Für den Landtag, genauer die rot-grüne Mehrheit im Landtag, trat die Potsdamer Professorin Frauke Brosius-Gersdorf auf. Zwischen der Vorlage der Anträge am 24. April und der Plenarentscheidung am 3. Mai 2023 hätten neun Tage gelegen – also „genügend Freiraum“, wie sie betonte. „Die CDU-Fraktion hat in überschaubarer Zeit genügend Auffassungsgabe“, meinte die Professorin. Im Übrigen würden in der Klage Rechte von Abgeordneten angesprochen – und damit sei ein Organstreitverfahren richtig gewesen, nicht wie jetzt gewählt ein Normenkontrollverfahren. Wenn es fast nur um subjektive Rechte von Abgeordneten gehe, hätte die CDU das Organstreitverfahren wählen müssen – aber die Frist dafür sei inzwischen versäumt. Hermann widersprach: „Beide Verfahren sind möglich, es gibt keine Rangfolge – und wir haben uns für die Normenkontrolle entschieden.“ Mit „Arbeitszeiten und Lesegeschwindigkeiten“ könne man die Leistungsstärke von Abgeordneten messen und die ausreichende Beratungszeit belegen, sagte Brosius-Gersdorf. „Lesegeschwindigkeiten reichen nicht, wenn es darum geht, ob ein Gesetzesvorschlag nachvollziehbar ist oder nicht. Da braucht man Zeit für Rücksprachen und Nachforschungen“, entgegnete Hermann. Auch der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Bajus ergriff das Wort und betonte, in der Sache hätten Rot-Grün und die CDU damals ja gar nicht weit auseinander gelegen. „Daher gab es im Ausschuss auch kaum Kontroversen – und bei der Lage war keine Verlängerung der Beratung erforderlich.“ Im Übrigen habe es damals schon eine Eilbedürftigkeit gegeben – da etwa die Beamten-Zulagen vor dem Schuljahresbeginn im August in Kraft treten sollten.

Das hohe Gericht. | Foto: Wallbaum

Der Staatsgerichtshof hakte mehrfach nach – aber Mestwerdt ließ nicht erkennen, wohin das Gericht am Ende wohl tendieren wird. Eine Richterin wollte wissen, ob die CDU nicht doch noch vor der Plenarabstimmung am 3. Mai Details hätte hinterfragen und aufklären können. Der CDU-Finanzexperte Ulf Thiele und der Haushaltsausschussvorsitzende Björn Thümler verneinten das: Derartige Klärungen seien eben nur in einer Ausschusssitzung möglich, das Plenum diene nur noch dem grundsätzlichen Austausch der Positionen, nicht mehr der Detailveränderungen. Ein anderer Richter hakte nach, ob denn die Gegenfinanzierung der rot-grünen Haushaltsanträge vom 26. April 2023 tatsächlich sichergestellt gewesen sei - daran nämlich könne man Zweifel haben. Am 14. August will der Staatsgerichtshof das Urteil verkünden. Mestwerdt sprach von einem klassischen Konflikt: auf der einen Seite die Rechte des einzelnen Abgeordneten auf ausreichende Information, auf der anderen die Hoheit des Parlamentes, die eigenen Abläufe selbst – und frei von Fristen-Vorschriften – organisieren zu können. Da diese Kernfrage bisher vor Gericht nicht ausreichend geklärt sei, werde man nun wohl Neuland betreten.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #081.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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