„Strom muss günstiger werden“: Meyer will Netzentgelte und die Stromsteuer abschaffen
Beim Windkraftausbau hat Umwelt- und Energieminister Christian Meyer ein wichtiges, selbst gestecktes Zwischenziel erreicht: Erstmals hat Niedersachsen in einem Jahr mehr als 1500 Megawatt neue Leistung genehmigt. Nun will der Grünen-Politiker das nächste Großprojekt angehen: „Der Strom ist sauber, er muss aber noch günstiger werden. Wir müssen von den hohen Stromkosten runter“, sagte Meyer bei einem Treffen mit Journalisten in Hannover. Bis 2030 will der 49-Jährige die Strompreise, die sich bereits wieder dem Vor-Corona-Niveau angenähert haben, drastisch reduzieren. Er hält sogar eine nahezu halbierte Kostenbelastung für möglich. Warum diese neue Zielsetzung? „Die Klimakrise gefährdet die Wirtschaft massiv, und das hängt sehr stark mit der Energiepreisfrage zusammen“, sagte Meyer. Außerdem betonte er: „Wir kommen mit der Elektromobilität und den Wärmepumpen nicht voran, wenn wir Strom immer teurer machen.“
„Die Stromsteuer von 2 Cent ist ein Anachronismus.“
Um die Strompreise zu senken, will Meyer vor allem bei den Netzentgelten ansetzen, durch die die Kosten für Betrieb und Ausbau des Stromnetzes auf Verbraucher umgelegt werden. 2023 belief sich die Summe bundesweit auf insgesamt 18,16 Milliarden Euro. In diesem Jahr könnte der Betrag aufgrund weiter gestiegener Redispatch-Kosten noch einmal deutlich ansteigen. Als Sofortmaßnahme schlägt Meyer vor, die frei gewordenen „Intel-Milliarden“ zur Senkung der Netzentgelte zu nutzen. Damit schlägt der Holzmindener in dieselbe Kerbe wie Parteifreund und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der einen ähnlichen Vorschlag vergangene Woche bei der 150-Jahr-Feier der Wirtschaftsvereinigung Stahl geäußert hatte. Meyer geht jedoch noch einen Schritt weiter: Er will die Netzentgelte vollständig von der Stromrechnung streichen und auch die Stromsteuer abschaffen, die 1999 eingeführt wurde, als der Preis für die Kilowattstunde noch bei unter 33 Pfennigen (etwa 0,17 Euro) lag. „Die Stromsteuer von 2 Cent ist ein Anachronismus“, sagt Meyer. Der Ausbau und Betrieb der Stromnetze solle laut dem Grünen-Politiker künftig nicht mehr den Stromkunden aufgehalst werden, sondern eine Gemeinschaftsaufgabe werden. „Elektroautofahrer und Wärmepumpenbesitzer müssen den Ausbau der Stromnetze bezahlen. Das ist, als müssten Bahnkunden für den Ausbau der Schiene zahlen“, argumentiert er.
Ganz neu ist Meyers Idee nicht. Der Energieökonom Prof. Manuel Frondel vom Essener RWI-Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung hatte bereits Anfang 2024 aufgezeigt, dass die schrittweise Senkung der Netzentgelte bis hin zu deren vollständiger Abschaffung die Wärme- und Verkehrswende vorantreiben könnte. Die Strompreise könnten dadurch um mehr als 10 Cent pro Kilowattstunde sinken, was die Politik über die CO2-Bepreisung fossiler Brenn- und Kraftstoffe gegenfinanzieren könnte. „Nach der Absage an das Klimageld sollte die Ampel-Regierung die CO2-Preiseinnahmen in anderer Form zurückgeben, am besten durch eine Senkung der Stromsteuer, der Netzentgelte und der Abschaffung von Abgaben auf Strom“, schreibt Frondel in seiner Studie für die CDU-nahe Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).
Die mit mindestens 300 Milliarden Euro veranschlagten Kosten für die Weiterentwicklung des deutschen Stromnetzes will Meyer über einen „Energiewendefonds“ (EWF) finanzieren, wie ihn auch die Energiewirtschaft gefordert hat. „Ansonsten droht uns ein Explodieren der Strompreise“, warnt der Klimaschutzminister. Ein solcher EWF soll privates Kapital und staatliche Gelder zusammenführen, um die Finanzkraft der Unternehmen zu stärken, damit sie die Energiewende nicht wie bisher fast ausschließlich aus Krediten finanzieren müssen. „Als zusätzliches und ergänzendes Finanzierungsinstrument adressiert er den hohen Eigenkapitalbedarf von Energieunternehmen und bietet zugleich ein attraktives Risiko-Rendite-Profil für Investoren“, wirbt Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU), für das Modell. „Wir investieren jetzt – die langfristige Rendite ist ein klimaneutrales Stromnetz“, fasst Meyer das Prinzip zusammen.
„Wir müssen es hinkriegen, dass die Menschen von der Energiewende profitieren.“
Eine weitere Senkung der Strompreise verspricht sich der niedersächsische Energieminister durch die Flexibilisierung des Netzes. Ab 2025 sollen sogenannte „Smart Meter“ in die deutschen Haushalte und Unternehmen einziehen, wodurch der Stromverbrauch mit der Auslastung des Netzes abgeglichen werden kann. Das bedeutet: Verbraucher können insbesondere ihre großen Stromverbraucher wie Elektroautos, Wärmepumpen oder Waschmaschinen und Fabriken ihre energieintensive Produktion gezielt dann laufen lassen, wenn Strom im Überfluss vorhanden ist und zu günstigeren Preisen angeboten wird. Das ist etwa der Fall, wenn die Sonne scheint und gleichzeitig viel Wind weht. „Wir müssen es hinkriegen, dass die Menschen von der Energiewende profitieren“, gibt Meyer als Devise aus.
- Verbot für China-Technik: Dass immer mehr chinesische Windradhersteller auf den deutschen Markt drängen, sieht Meyer mit großer Sorge. Vor dem Hintergrund der Zunahme russischer und chinesischer Cyberangriffe auf die deutsche Infrastruktur dürfe keine digitale Technik aus China in hiesigen Windkraftanlagen verbaut werden. „Ich halte das für ein Sicherheitsrisiko“, sagt Meyer und warnt vor Zwangsabschaltungen durch Hacker. Der Energieminister fordert daher den Ausschluss chinesischer Unternehmen bei Ausschreibungen.
- Stromautobahnen sollen unterirdisch bleiben: Genauso wie Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) spricht sich auch Meyer für die Erdverkabelung von Übertragungsnetzen aus. Der oberirdische Leitungsbau von Stromtrassen sei zwar günstiger, führe aber zu Akzeptanzproblemen, die den Ausbau der Netze insgesamt ausbremsen würden. „Jeder schnellere Netzausbau senkt die Kosten. Wenn wir jetzt trödeln, haben wir ein Problem“, so Meyer.
- Ausbau muss schneller werden: Grundsätzlich sieht Meyer die Energiewende in Niedersachsen voll auf Kurs. „Eigentlich läuft’s“, sagt er. Der Umweltminister räumt aber ein, dass die Zahl der tatsächlich gebauten Windkraftanlagen weit hinter den Genehmigungen zurückbleibt. 272 Windräder mit 1597,1 Megawatt Bruttoleistung haben bis Mitte November bereits grünes Licht bekommen. „Dass wir nur 300 bis 400 Megawatt davon angeschlossen haben, das ist noch ein Problem“, räumt Meyer ein. Positiv hebt er jedoch hervor, dass die durchschnittliche Genehmigungsdauer in Niedersachsen bei 3,5 Monaten liegt, während sie im Bundesdurchschnitt bei 9 Monaten liegt. Außerdem verspricht sich Meyer demnächst einen weiteren großen Schub beim Windkraftausbau: „Die Flächen, die nach dem Windgesetz neu ausgewiesen wurden, die kommen erst noch.“
Dieser Artikel erschien am 20.11.2024 in der Ausgabe #205.
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