Die Pläne werden dazu führen, dass die Notaufnahmen in kleinen Kliniken schließen müssen.
In einem ersten großen Treffen haben mehrere Vertreter, die der Kommunen besonders, ihre großen Besorgnisse geäußert. Sie befürchten, Minister Spahn wolle mit diesem kompliziert formulierten Vorhaben mehrere andere Ziele durch die Hintertür erreichen. „Der einzig Gesunde im System, der Rettungsdienst, wird von Spahn zum Patienten erklärt“, rügte Prof. Hubert Meyer, Hauptgeschäftsführer des Landkreistages (NLT). „Auf kaltem Wege sollen hier Krankenhäuser geschlossen werden“, meint Hauke Jagau, Präsident der Region Hannover. Er sieht eine Kostenwelle auf sich zukommen, da viel mehr Rettungswagen und Sanitäter nötig würden. „Die Pläne werden dazu führen, dass die Notaufnahmen in kleinen Kliniken schließen müssen“, ergänzt Sozialministerin Carola Reimann. Ralf Selbach vom DRK nennt die Pläne „lebensgefährlich“, weil die Rettungsdienste mit der neuen Tarifstruktur Schwierigkeiten bekämen, geeignete Helfer zu motivieren.
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Was genau hat Spahn vor? Dazu muss zunächst das gegenwärtige System beschrieben werden: Der Rettungsdienst, also die Versorgung in Fällen, in denen jemand den Notarzt über 112 ruft, wird von den Kommunen organisiert, ist also eigener Wirkungskreis der Kreise und kreisfreien Städte. Das Land schreibt vor, dass die Krankenkassen den „wirtschaftlich notwendigen“ Rettungsdienst finanzieren müssen. Nun will der Bundesgesundheitsminister, indem er Rettungsdienst und ärztlichen Notdienst zusammenlegt, alles im Sozialgesetzbuch V des Bundes regeln. Wie Joachim Schwind vom Landkreistag erläutert, ist das nicht nur verfassungsrechtlich problematisch, da den Kommunen eine ureigene Zuständigkeit entzogen wird, sondern auch finanziell höchst folgenreich: Die „Vorhaltekosten“, also Grundstrukturen außerhalb eines konkreten Einsatzes, könnten nicht mehr den Kassen übertragen werden, dafür sollten in der Logik des Spahn-Entwurfes die Länder aufkommen. Im SGB V seien nämlich nur zwei Pauschalen (Versorgung am Unfallort und Rettungsfahrt) vorgesehen. Nach NLT-Schätzungen wird die Hälfte der Kosten des Rettungsdienstes, landesweit 302 Millionen Euro jährlich, künftig den Landesetat belasten. Begleitet werde die Debatte mit allerhand „Fake-News“, rügt Schwind. Das Bundesgesundheitsministerium pflege falsche Vorurteile gegenüber den Kommunen. Dort heiße es, viele Sanitäter würden die Menschen im Krankenhaus abliefern, auch wenn es diesen auf der Fahrt wieder besser gehe – denn nur die Ankunft in der Klinik könne abgerechnet werden. Das stimme nicht, betont Schwind. Auch die Einschätzung, Rettungsdienste würden immer nur das nächstgelegene Krankenhaus ansteuern, auch wenn dies schlecht ausgestattet sei, beruhe auf einer Fehleinschätzung. Längst sei vom „geeigneten“ Krankenhaus in der Richtlinie die Rede. Spahns Konzept wirkt auch in Richtung größerer Strukturreformen, beispielsweise mit der im Gesetzentwurf geplanten Vorgabe für die Rettungsfahrt: Wenn „noch keine eindeutige Indikation für die Aufnahme“ bestehe, solle der Krankenwagen zunächst das „Integrierte Notfallzentrum“ (INZ) ansteuern. Dort soll dann die erste Begutachtung sein – und entschieden werden, in welches Krankenhaus der Patient gebracht werden soll. Nun sind die INZ im Plan solche Kliniken, die besonders geeignet für Notaufnahmen sind. Schwind schätzt, es dürften landesweit etwa zehn Kliniken zu solchen bestimmt werden, also zehn von derzeit insgesamt 177 Krankenhäusern. Dann könne es, schätzt der NLT-Experte, zu folgender kuriosen Situation kommen: Ein Patient wird abgeholt und zum INZ gefahren, vorbei an drei anderen Krankenhäusern, bei denen nicht Halt gemacht werden darf. Im INZ wird dann aber festgestellt, dass der Patient in das erste bereits passierte Krankenhaus gebracht werden soll – also wird er wieder zurückgefahren. Das sei nicht nur wegen der längeren Wegstrecken problematisch. „Es muss im Wagen entschieden werden, obwohl nur in 18 Prozent der Krankenfahrten ein Arzt mit an Bord ist. Das heißt, viel hängt von der ersten Einschätzung der Rettungssanitäter ab“, sagt Schwind. https://soundcloud.com/user-385595761/landkreise-jens-spahns-plane-bringen-menschenleben-in-gefahr Was hat es nun mit diesen INZ auf sich? Sie sollen vom „Gemeinsamen Bundesausschuss“ festgelegt werden – und das an sich ist in den Augen der Reformgegner allein schon ein Skandal, da bisher die Länder eindeutig die Kompetenz für die Krankenhausplanung haben. In diesem Bundesausschuss sind jedoch keine Ländervertreter mit Stimmrecht am Tisch, also übernimmt der Bund laut dem Spahn-Plan die Regie – begleitet vom Wohlwollen der Krankenkassen, die das Konzept des Bundesministers befürworten. Außerdem sieht der Gesetzentwurf eine Sanktion für Fälle vor, in denen nicht zuerst das INZ aufgesucht wird, sondern ein anderes Krankenhaus – dann sollen dort für die Behandlung nur 50 Prozent der Kosten von den Kassen erstattet werden. Wozu führt das? Schwind meint, die vielleicht erhoffte Schließung kleiner und unwirtschaftlicher Kliniken werde wohl nicht die Folge sein. Es müsse vielmehr befürchtet werden, dass die Kliniken dann bestrebt sein werden, ganz viele Notfallpatienten zu sich zu ziehen, da mit der Erhöhung der Fälle die Einbußen bei der Vergütung aufgefangen werden könnten. Bei aller Kritik an ganz vielen Details des Gesetzes räumen die NLT-Vertreter immerhin ein, dass eine Reform der ärztlichen Notfallversorgung, auch eine Kombination mit dem Rettungsdienst, durchaus sinnvoll sein könne. „Aber dann muss das mit den Ländern geschehen, die zuständig sind“, meint Schwind. Was aber geschieht, wenn Spahns Entwurf, der im April das Bundeskabinett passieren soll, anschließend durch den Bundestag geht? Sozialministerin Reimann betonte, sie halte das Konzept für „zustimmungspflichtig“ im Bundesrat. Schwind entgegnet aber, der Bund könne, wenn er die Zustimmungspflicht verneine, das Vorhaben zunächst auch ohne Länderkammer beschließen und in Kraft setzen. „Dann müssen wir darauf hoffen, dass ein Land eine Verfassungsklage in Karlsruhe einreicht – oder eine Kommune eine Verfassungsbeschwerde.“ (kw)