Pro & Contra: Soll die Sommerzeit abgeschafft werden?
In der Nacht vom 24. auf den 25. März beginnt wieder die Sommerzeit. Dann werden europaweit die Uhren um eine Stunde vor gestellt. Aber braucht man diese Regelung überhaupt noch? Ein Pro und Contra von Isabel Christian und Klaus Wallbaum.
PRO: Das Europäische Parlament hat jüngst einen Antrag zur Aufhebung der Zeitumstellung abgelehnt. Dabei verursacht die Zeitumstellung heutzutage nur noch Schwierigkeiten, ohne einen Nutzen zu haben, findet Isabel Christian.
Sich eine Angewohnheit zuzulegen ist leicht. Sie wieder loszuwerden dagegen schwer und mit viel Willensstärke verbunden. Jeder, der schon mal versucht hat, dauerhaft auf die Zigarette oder die Chips vor dem Fernseher zu verzichten, kennt den inneren Kampf zwischen dem wohligen Gefühl der Gewohnheit und der kalten Rationalität. Auch die halbjährliche Zeitumstellung ist eine Angewohnheit, die mittlerweile schon zwei Generationen seit ihrer frühesten Kindheit kennen. Im Frühjahr eine Stunde weniger, im Herbst eine mehr. Anders als bei Chips und Zigaretten stellt sich kein wohliges Gefühl der Alltagsroutine ein, wenn es mal wieder soweit ist, an der Uhr zu drehen. Im Gegenteil. Die Zeitumstellung bringt Probleme mit sich. Einen Nutzen hat sie dagegen schon lange nicht mehr. Deshalb muss endlich Schluss sein mit der Umstellerei.
Umstellung, um Strom zu sparen
Die Idee zur Zeitumstellung kam Anfang des 20. Jahrhunderts auf. Elektrisches Licht wurde gerade zur Massenware, immer mehr Menschen beleuchteten ihre Wohn- und Arbeitsräume mit elektrischem Licht statt mit Kerzen. Daher war die Überlegung einiger Wissenschaftler und Naturforscher, eine Zeitumstellung könne Strom sparen, wenn die Menschen im Sommer nur früher aufstehen würden. Aufgegriffen wurde der Vorschlag in Deutschland und Österreich aber erst, als der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. Denn angesichts der Materialverschwendung auf den Schlachtfeldern bekam die Idee des Stromsparens einen neuen Reiz. Nach dem Krieg wurde die damals sehr ungeliebte Regel der Zeitumstellung in Deutschland wieder rückgängig gemacht – um im Zweiten Weltkrieg aus den gleichen Gründen wieder eingeführt zu werden. Als der Krieg zu Ende war, gab es ein kleines Hin und Her, was denn nun mit der Sommerzeit passieren solle. Schließlich entschied man sich für die Abschaffung. Rund 30 Jahre gab es keine Sommerzeit, bis 1980 das erste Mal die Uhren wieder umgestellt wurden. Frankreich begründete den Schritt mit den Folgen der Ölkrise, den anderen europäischen Staaten dagegen ging es vor allem um die Harmonisierung des europäischen Binnenmarktes.
Beleuchtung liegt auf Platz vier
Die Harmonisierung ist mittlerweile erreicht, längst stellt ganz Europa die Uhren am gleichen Tag zur gleichen Zeit um eine Stunde vor und zurück. Aber warum eigentlich? Strom sparen ist zwar wieder ein Thema, aber niemand zieht ernsthaft in Betracht, dass die Strommassen, die heute täglich gebraucht werden, durch eine zusätzliche Stunde Tageslicht an Sommerabenden reduziert werden könnten. Immerhin liegt die Beleuchtung auf der Liste der Stromfresser im Haushalt auf Platz vier hinter dem Kühlschrank und dem Warmwassererhitzer. Und das auch nur, wenn ganz normale Glühbirnen genutzt werden. Die sind seit 2012 ohnehin verboten. Mittlerweile gibt es Zahlen über den Erfolg der von der Europäischen Union ausgesprochenen Energiesparlampenpflicht. Studien zufolge hat etwa Deutschland von 2008 bis 2015 insgesamt ein Viertel seines Stromverbrauchs bei der Beleuchtung eingespart. Ganz ohne Zeitumstellung.
Stress, der nicht sein muss
Stattdessen verursacht die Zeitumstellung zweimal im Jahr Probleme. Vor allem die Auswirkungen auf Gesundheit und Psyche werden oft herangezogen, wenn es gegen die Zeitumstellung geht. Medizinische Gutachten sprechen von mehreren Wochen bis teilweise vier Monaten, die der menschliche Körper braucht, um sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen. Auch wenn es bei den meisten Menschen wohl nicht so lange dauert, so sind die ersten Tage für die innere Uhr durchaus belastend. Ein Stress, der eigentlich nicht sein muss. Dazu kommt der Stress für die Wirtschaft. Alles, was nach einem Fahrplan arbeitet, muss die Stunde mehr oder weniger einkalkulieren. Dann fahren Busse doppelt und Züge warten eine Stunde am Bahnhof. Einrichtungen mit Nachtschicht wie etwa Krankenhäuser müssen einen Sonderschichtplan aufstellen, weil die Beschäftigten sonst die gesetzlich vorgegebene Arbeitszeit nicht einhalten können. Das kostet nicht nur Aufwand, sondern auch Geld.
Umstellung europaweit aufheben
Deshalb sollte das Europäische Parlament ernsthaft die Abschaffung der Zeitumstellung prüfen, wenn das Thema wieder auf die Tagesordnung gelangt. Denn das wird es, immerhin hat sich das Parlament nicht auf die Seite der Zeitumstellung geschlagen, sondern den Antrag zur Abschaffung nur abgelehnt, weil es sich fundierteres Wissen in Form von Studien vor einer so weitreichenden Entscheidung wünscht. Bis dahin sollten sich die Parteien und Regierungen der EU-Mitgliedsländer dafür einsetzen, die Zeitumstellung europaweit aufzuheben und die Sommerzeit dauerhaft beizubehalten. Denn ob es nun im Winter eine Stunde früher hell wird oder nicht, macht beim heutigen Lichtkonsum auch keinen Unterschied mehr.
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CONTRA: Lasst es bei der Sommerzeit – sie ist doch längst Gewohnheit geworden, meint Klaus Wallbaum. Dass die Leute zunehmend genervt sind, hängt seiner Meinung nach weniger an dieser alljährlichen Umstellung der Uhren, sondern an der ungesunden Arbeitswelt, vor allem zur Winterzeit.
Im Frühjahr, Ende März, ist es immer besonders schlimm. „Uns wird eine Stunde geklaut“, heißt es dann in schöner Regelmäßigkeit von den Gegnern der Sommerzeit. In der Tat: Weil Ende März die Uhren vorgestellt werden, geht den Menschen eine Stunde verloren. Das bedeutet also, am nächsten Morgen eine Stunde früher aufstehen zu müssen. Man geht übermüdet ins Büro, verspürt zu Beginn der Mittagpause noch keinen Hunger und ist noch ganz aufgekratzt, wenn abends die Bettruhe angesagt ist. Das dauert bei vielen Leuten mehrere Tage, bis sich der Körper auf das Neue eingestellt hat – bei anderen noch viel länger. Ist die Zeitumstellung ein feiger Anschlag auf unsere Gesundheit?
Nun ist das womöglich für einige Menschen tatsächlich ein Problem. Ob aber für alle, die darüber klagen, steht auf einem anderen Blatt.
Gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit nervt
Denn womöglich liegt es weniger an der Einführung der Sommerzeit alljährlich am letzten Sonntag im März, dass viele Zeitgenossen mürrisch sind und über Stress klagen. Womöglich liegt es daran, dass man Ende März ein halbes Jahr hinter sich hat mit härteren Bedingungen oder „größeren Herausforderungen“, wie Manager es formulieren würden. Die Hypothese sei hier aufgestellt, dass die gleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die Jahreszeiten dazu beiträgt, die Menschen zu überfordern und zu nerven. Was genau ist damit gemeint? In Deutschland ist es üblich, das ganze Jahr über zu den gleichen Bedingungen zu arbeiten. Man soll im Februar die Leistung bringen, die auch im Juli verlangt wird. Das ist besonders streng für jene, die zu einem festen Zeitpunkt morgens beginnen und abends in den Feierabend gehen. Weniger betroffen sind jene, die sich ihre Zeit freier einteilen können. Für beide Gruppen gilt aber im Prinzip: Sie arbeiten ihre acht Stunden täglich im Sommer genauso wie im Winter, im Frühling wie im Herbst. Entspricht das überhaupt der menschlichen Natur?
Arbeit in der dunklen Jahreshälfte anstrengender
Im Sommer kann der Mensch Sonne tanken (sofern nicht ein verregneter Sommer die Freude daran trübt). Wenn er morgens aufsteht, ist es hell – wenn er abends von der Arbeit kommt, ist es meistens auch noch hell. Im Winter ist das Gegenteil der Fall. Man quält sich aus dem Bett, wenn es draußen dunkel ist, oft auch noch kalt, wenn die Umgebung ungastlich ist. Nach Ende des Arbeitstages kehrt man in diese Dunkelheit zurück. Kein Wunder, dass viele Menschen die Arbeit in der dunkel-kalten Jahreshälfte, von Oktober bis März, als anstrengender empfinden als von April bis September, während der hell-warmen Jahreshälfte. Man müsste einmal wissenschaftlich untersuchen, ob der Stress in der dunkel-kalten Jahreshälfte dem menschlichen Organismus stärker zusetzt als im Sommer. Wenn das so wäre – es ist wie gesagt ja nur eine Hypothese -, müsste man zwangsläufig eine Reform der Arbeitszeitordnung anpeilen: Reduzierung der Belastung im Winter, Erhöhung im Sommer.
Was ist gesünder?
Natürlich wird es dagegen einen Aufstand geben. Zum einen lassen sich viele Tätigkeiten nach diesem Grundsatz gar nicht mehr sinnvoll ausfüllen, sodass in der einen Jahreshälfte ein Mangel, in der anderen ein Überangebot an Personal bestünde. Zum anderen glauben viele Leute, sie sollten gerade im Sommer, wenn man abends noch Gartenpartys veranstalten und Open-Air-Festivals besuchen kann, lieber weniger arbeiten und umgekehrt im Winter mehr, wenn rundum sowieso nur Düsternis herrscht. Aber damit sind nur die Gewohnheiten beschrieben – wichtiger scheint die Frage zu sein, was für den menschlichen Organismus gesünder ist. Oder kurz gesagt: Macht die dunkel-kalte Jahreszeit die Menschen krank, wenn sie sich nicht genug Zeit für Entspannung und Ruhe gönnen? Liegt vielleicht die erhöhte Krankheitsrate im Winter (die „Grippewelle“) auch daran? Jüngst haben Wissenschaftler die These vertreten, dass der Grippevirus dort besonders oft anschlägt, wo die Leute weniger Vitamin D aufnehmen, also weniger Sonnenlicht abbekommen.
Feiertag im Sommer
Diese Diskussion könnte auch Rückwirkungen haben auf das, was – scheinbar – die niedersächsische Landespolitik in diesen Wochen am stärksten beschäftigt, nämlich die Diskussion über einen zusätzlichen gesetzlichen Feiertag. Es soll doch tatsächlich engagierte Bürger geben, die an die Politiker schreiben und fordern, dieser Feiertag solle auf jeden Fall im Sommer sein, damit man ihn zur noch besseren Freizeitgestaltung nutzen könne. Als ob es darum ginge.
Zeit für Muße fehlt
Warum sind denn der November, der Januar und der Februar so anstrengend für viele? Weil es in dieser Zeit so wenig Feiertage gibt, weil die Arbeitsbelastung deshalb hoch ist, weil Zeit fehlt für Muße und Besinnlichkeit, oder schlicht zum Ausschlafen. Das spräche nun für einen gesetzlichen Feiertag am 31. Oktober (Reformationstag), am Buß- und Bettag (Mitte November) oder auch für den Dreikönigstag (6. Januar), vielleicht noch für den Weltfrauentag (8. März) – auf jeden Fall aber nicht für einen Tag im Mai, Juni, Juli, August oder September.
Übrigens: Wenn man den Menschen zu Beginn der hell-warmen Jahreszeit eine Stunde stiehlt und sie ihnen zurückgibt zum Start der dunkel-kalten, also stressigen Jahreszeit, ist das womöglich auch ein Beitrag zur Förderung der Volksgesundheit. Also: Belassen wir es dabei, unserem Wohlbefinden zuliebe.