Schwierige Prognose
Das Hafengebäude Pacific One klingt exklusiver, als es in der Realität aussieht. In dem großzügig verglasten Bürogebäude am Jade-Weser-Port tagt heute das Landeskabinett. Dabei werden wohl auch die aktuellen Zahlen des Tiefwasserhafens auf dem Tisch liegen, die sich unterschiedlich interpretieren lassen. Zwar hat sich der Container-Umschlag massiv erhöht und lag im Jahr 2015 bei rund 450.000 Containern – eine Verfünffachung im Vergleich zum Vorjahr. Andererseits bleibt der Hafen damit aber immer noch weit unter seinen Möglichkeiten. Bis zu 2,7 Millionen Container könnten dort pro Jahr umgeschlagen werden.
Trotz der Steigerung kam kürzlich scharfe Kritik vom Europäischen Rechnungshof. Die EU-Kommission fördere mit Millionensummen Häfen, die niemand braucht. 400 Millionen Euro habe sie dafür „ineffizient ausgegeben“. So steht es im Bericht zum „Maritimen Transport in der EU“ des Rechnungshofes. Unter den genannten Negativ-Beispielen: Der Jade-Weser-Port. Dort habe die EU 33 Millionen Euro Zuschüsse und 325 Millionen Euro zinsverbilligte Darlehen für einen Hafen ausgegeben, der nicht einmal zu 20 Prozent ausgelastet sei. Darüber hinaus wittern die Prüfer noch Betrug. Niedersachsen und Bremen hätten die Vertragsbedingungen nachträglich geändert und den Hafen mit höhere Subventionen gefördert als in Brüssel angegeben. 600 Millionen Euro haben Niedersachsen und Bremen in den Hafen investiert.
Geisterhafen, Pleitehafen, ungenutzte Containerbrücken im Niemandsland: Der Jade-Weser-Port hat seit seinem Start im September 2012 schon viel Kritik einstecken müssen. Der Hafen sei nun mal in einer Phase beschlossen worden, in der man noch von weiterem Wachstum in der Containerschifffahrt ausging, sagt Jasper Strauß, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbandes Jade (AWV). „Man ist damals voll in den Knick hineingerauscht.“ Strauß sieht die Zukunft des Hafens dennoch optimistisch: „Es bleibt dabei: Man wird größere Schiffe bauen und kleinere nach und nach vom Markt nehmen. Das geht alles nur nicht so schnell, wie wir uns das vorstellen.“ Hinzu komme, dass Hamburg als Hafen nicht attraktiver werde. Das betreffe nicht nur die Diskussion um die Elbvertiefung, sondern auch das Thema Verkehrsinfrastruktur. „Hamburg ist ein riesiges Nadelöhr. Wenn die Ladung vom Schiff kommt, steht der Lastwagen erst einmal im Stau“, sagt Strauß.
Auch andere Experten glauben langfristig an einen Erfolg von Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen. Es fehle teilweise aber noch an der nötigen Infrastruktur. Ein immer wieder genanntes Beispiel: Der sogenannte Megahub in Lehrte. In der Diskussion um die Planung des riesigen Containerumschlagplatzes geht es derzeit unter anderem um nächtlichen Lastwagen-Lärm und den Brandschutz auf dem Gelände. Die Stellungnahme der Stadt Lehrte, in der zahlreiche Kritikpunkte aufgeführt sind, liegt jetzt beim Eisenbahnbundesamt. Im schlimmsten Fall droht ein neues Planfeststellungsverfahren. Dann könnte man sich von der Inbetriebnahme im Jahr 2019 verabschieden. Ein weiterer Tiefschlag für die Tiefwasserhafen.
Auch dem Wunsch nach einem Norddeutschen Hafenkonzept ist man noch nicht näher gekommen. Und das, obwohl unter anderem Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür wirbt. Die deutschen Häfen stünden weniger untereinander als vielmehr in einem europäischen Wettbewerb. Antwerpen, Rotterdam, Amsterdam – das sind die Namen der Häfen, die in diesem Zusammenhang immer wieder fallen. AWV-Hauptgeschäftsführer Jasper Strauß plädiert ebenso für ein Norddeutsches Hafenkonzept: „Auch die Hamburger werden irgendwann erkennen, dass sie so ein Konzept brauchen. Ansonsten streiten sich drei Bundesländer und die Niederländer sind der lachende Dritte.“
Wer einen Hafen plant, baut und betreibt, rechnet in Jahrzehnten. Und so kommt es, dass trotz des holperigen Starts des Jade-Weser-Ports schon über eine zweite Ausbaustufe nachgedacht wird. Zu einem Planfeststellungsverfahren soll es aber erst kommen, wenn der Hafen „stabiler im Markt“ ist, heißt es aus dem Wirtschaftsministerium in Hannover. Voraussetzung sei, dass sich der Umschlag auf eine Million Container pro Jahr verdoppelt. Viele Experten meinen übereinstimmend, dass diese Entwicklung nicht unrealistisch und zu erwarten ist. Für den Jade-Weser-Port gilt allerdings das folgende Sprichwort in besonderem Maße: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ (MB.)