Schlechte Stimmung im Tourismus: Betriebe kämpfen mit der Mehrwertsteuer-Erhöhung
Die Nachfrage stagniert, die Konjunktur lahmt, das Vertrauen in die Politik sinkt: Die wirtschaftliche Lage in Deutschland sieht im Sommer 2024 nicht gerade rosig aus. Aber gilt das auch für Niedersachsen? In einer kleinen Sommerreihe werfen wir einen Blick auf die wichtigsten Wirtschaftsbranchen des Landes. Heute: der Tourismus.
Die Übernachtungszahlen sind zurück auf Vor-Corona-Niveau, doch der Jubel in der norddeutschen Touristikbranche bleibt aus. „Hohe Kosten, unsichere Rahmenbedingungen und nach wie vor der Personalmangel machen der Tourismuswirtschaft zu schaffen“, fasst der IHK-Nord-Vorsitzende Bernhard Brons die Stimmungslage im Sommer 2024 zusammen. Laut der jüngsten Konjunkturumfrage schwindet die Zuversicht unter den IHK-Tourismusbetrieben in den fünf Bundesländern an Nord- und Ostsee weiter dahin.
Bei den Reiseveranstaltern und Reisebüros habe sich die Lage zwar auf ein noch zufriedenstellendes Niveau eingependelt. Bei den Hoteliers und Gastronomen ist die Laune jedoch nach dem kurzen Höhenflug im Frühjahr 2023 wieder im Keller angekommen. Zwar bewerten 77 Prozent der Betriebe im Gastgewerbe ihre aktuelle Geschäftssituation als gut oder befriedigend. Mehr als 70 Prozent der Unternehmen klagen jedoch auch über hohe Energie-, Lebensmittel- und Rohstoffpreise sowie Arbeitskosten. Als weitere Risiken nennen die Betriebe die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen (60 Prozent) und fehlende Arbeitskräfte (60 Prozent).
Für Brons ist klar: „Wir benötigen endlich wieder eine klare Wirtschaftspolitik, die Planbarkeit sowie wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen schafft.“ Ganz konkret kritisiert der Hotelunternehmer und Reeder aus Emden die Vorschläge zur Überarbeitung des Reiserechts auf europäischer Ebene. „Unter dem Deckmantel des Verbraucherschutzes soll es eine Ausweitung des Begriffs der Pauschalreise geben und weitere Risiken auf den Reiseveranstalter übertragen werden. Das ist in der Praxis nicht umsetzbar – die Betriebe können das schlicht nicht leisten“, so Brons.
Erste Betriebe schließen wegen Mehrwertsteuer-Erhöhung
Von einer eingetrübten Stimmung berichtet auch der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). „Trotz größter Anstrengungen wird es für unsere Betriebe immer schwerer, wirtschaftlich zu arbeiten“, warnt Dehoga-Präsident Guido Zöllick in seiner Halbjahresbilanz. Laut einer Verbandsumfrage sind in der ersten Jahreshälfte die Umsätze bei Hotels und Gastronomiebetrieben um 11 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zurückgegangen. Die Gewinne seien sogar um bis zu 22 Prozent gesunken.
Dramatische Folgen habe vor allem die Rückkehr zum alten Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Speisen in der Gastronomie gehabt. Zwei Drittel der „speisengeprägten Betriebe“ berichten von Ertragsrückgängen, fast ebenso viele von einem Gästerückgang und sinkenden Umsätzen. 87 Prozent der Betriebe hätten auf den erhöhten Umsatzsteuersatz mit Preisanpassungen reagiert. „Nach vier Verlustjahren ließen die massiv gestiegenen Kosten den Betrieben keine andere Wahl“, sagt Zöllick, der selbst ein Hotel im Ostseebad Warnemünde (Mecklenburg-Vorpommern) leitet. Außerdem berichten die befragten Betriebe, dass sie bereits geplante Investitionen zurückfahren (77 Prozent), das Angebot anpassen (62 Prozent) oder Öffnungszeiten reduzieren (41 Prozent).
Besonders brisant: 5,7 Prozent der befragten Unternehmer geben an, dass sie aufgrund der Mehrwertsteuererhöhung gezwungen sind, ihren Betrieb aufzugeben. Weitere 23,5 Prozent ziehen eine Betriebsaufgabe in Erwägung, heißt es. „Wenn sich nichts ändert, stehen weitere Tausende Betriebe vor dem Aus“, mahnt Zöllick.
Der Dehoga-Präsident bekräftigt daher die zentrale Branchenforderung: „Die einheitliche Besteuerung von Essen mit sieben Prozent ist für die Zukunftssicherung der öffentlichen Wohnzimmer von elementarer Bedeutung.“ Es könne nicht sein, dass Restaurants und Cafés im Wettbewerb gegenüber Lieferdiensten und Mitnahmeangeboten aus dem Lebensmitteleinzelhandel weiter benachteiligt würden. Zudem sei die Politik gefordert, um konsequent Bürokratie abzubauen und drohende Neuregelungen zu stoppen.
Dehoga-Präsident: EM war gut für Deutschland-Tourismus
Etwas enttäuscht blickt der Dehoga-Chef auf die Fußball-Europameisterschaft zurück. Abseits der Austragungsorte hätten nur die wenigsten Betriebe von dem Großevent profitiert, 88 Prozent der befragten Unternehmen melden keine positiven Effekte. Trotzdem habe sich die EM-Austragung gelohnt. „Die EM ist auf jeden Fall ein wichtiger Impulsgeber zur Stärkung des Deutschland-Tourismus gewesen“, so Zöllick.
Sven Liebert, Generalsekretär des Bundesverbands der Deutschen Tourismuswirtschaft (BTW), wertet das Turnier aus wirtschaftlicher Sicht ebenfalls als Erfolg. Die EM habe aber auch deutlich gemacht, dass die Verkehrsinfrastruktur dringend ausgebaut werden müsse. Mit einem maroden Schienen- und Straßennetz und dem ebenfalls gerade von manch ausländischem Gast monierten Nachholbedarf bei der digitalen Infrastruktur schießt sich Deutschland auf Dauer ein Eigentor. „Hier besteht dringender Handlungsbedarf“, sagt Liebert und fordert einen „Infrastrukturboost“.
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