In der Hotel- und Gastrobranche macht sich immer mehr Ratlosigkeit breit. „Es ist dramatisch, dass in vielen Betrieben die Planbarkeit nicht mehr gegeben ist, dass sie immer noch auf Sicht fahren und ihren Gästen nicht sagen können, wie’s weitergeht“, sagt Gastronom Jörg Lange und spricht bei der Generalversammlung des Dehoga-Kreisverbands Region Hannover seinen Kollegen aus der Seele. Ein halbes Jahr nach Ende der Corona-Krise hat sich die Lage in der Branche immer noch nicht stabilisiert, sondern droht sich im Strudel der Teuerungen sogar noch weiter zu verschärfen. Die geplante Rückkehr zur vollen Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants zum Jahresende könnte nach Einschätzung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) zum nächsten Kahlschlag in der Branche führen.

„In der Pandemie haben wir 36.000 Betriebe verloren, jetzt gibt es die Gefahr, dass nochmal 12.000 Unternehmen dazukommen“, sagt Lange und flüchtet sich in Galgenhumor: „So kann man dem Fachkräftemangel auch begegnen.“ Sein Appell an die Politik ist dagegen bitterernst: „Bitte, gebt uns Planungssicherheit!“, sagt der Dehoga-Kreisvorsitzende und hofft zumindest bei den Landtags- und Bundestagsabgeordneten auf Einsicht. Von den Kommunalpolitikern ist der Inhaber des Hotels Lindenkrugs in Hannover-Limmer nach dem Streit rund um die Bettensteuer für die Landeshauptstadt schwer enttäuscht. „Kennen Sie den Spruch: Einmal mit Profis arbeiten? Vertrauen kann sehr viel schneller zerstört als aufgebaut werden“, klagt Lange.
„Die Debatte um die Bettensteuer war geprägt durch Weglassen, Ignorieren und teilweise auch durch falsche Fakten“, ärgert sich Cord Kelle, Direktor des Congress-Hotels am Stadtpark und Leiter der Dehoga-Fachgruppe Hotellerie. Das Verhältnis zwischen den Hoteliers und der Stadt- sowie Regionsspitze kann man gelinde gesagt als „frostig“ beschreiben, obwohl immerhin die stellvertretende Regionspräsidentin Petra Rudszuck (SPD) die Generalversammlung besuchte. Auf die Dehoga-Forderungen zur Bettensteuer, die vor allem in mehr Mitsprache und der Einrichtung eines Tourismusbeirats bestanden, sei „sehr gekonnt nicht reagiert worden“, sagt Kelle.
Mindestens genauso schwierig ist das Verhältnis zwischen Dehoga und der Hannover Tourismus & Marketing GmbH (HMTG). Kelle wundert sich über HMTG-Chef Hans Nolte, der in einem Interview mit der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ im August dem Hotelverband die Schuld an schlechten Übernachtungszahlen zugewiesen und gesagt hatte: „Es ist nicht Aufgabe der HMTG, die Hotelbetten zu füllen.“ Einen Monat später habe sich die HMTG dann aber in einem Newsletter an die Hoteliers für den positiven Trend bei den Übernachtungszahlen gefeiert.

Einen echten Aufwärtstrend bei den Übernachtungszahlen gibt es laut Kelle in Hannover auch gar nicht. Laut einer aktuellen Auswertung des Branchendienstes STR lag die Auslastung der hannoverschen Hotels im ersten Halbjahr 2023 immer noch 6,1 Prozent unter der Vor-Corona-Wert aus 2019. Gleichzeitig seien die Ausgaben um insgesamt etwa 25 Prozent gestiegen, was insbesondere im Gastrobereich für Sparzwänge sorgt. „Wir wollen von Herzen gerne gute Gastgeber sein – und wissen nicht mehr, wie wir das machen sollen. Wer soll sich den Restaurantbesuch denn noch erlauben können und in welcher Form?“, fragt Lange.
Die Preissteigerungen würden auch die Ernährungswende zurückwerfen. „Es wird immer mehr Pizza, Pasta, Burger und Convenience-Food geben. Wir wollten uns mal damit auseinandersetzen, was wir zu uns nehmen. Im Moment scheint das in der Gesellschaft aber nicht durchsetzbar zu sein. In der Gastronomie waren wir auf einem guten Weg, für mehr regionale und saisonale Lebensmittel zu sorgen. Jetzt müssen wir fragen: Wo sparen wir als nächstes?“, berichtet der „Küchenmeister aus Leidenschaft“.
„Was nicht passieren darf, ist, dass man anfangen muss, an der Qualität zu sparen“, betont auch Christian Stöver, Chef des Restaurants „Bell‘ Arte“ am hannoverschen Sprengel-Museum und Leiter der Dehoga-Fachgruppe Gastronomie. Durch die geplante Rückkehr zum Mehrwertsteuersatz von 7 auf 19 Prozent auf Speisen geraten die Gastronomen jedoch immer tiefer in Bredouille. „Das Schnitzel für 15 Euro kann man eigentlich gar nicht mehr anbieten. Wir müssen da schon immer eine Mischkalkulation anstellen“, sagt Stöver.
Eine Mehrwertsteuererhöhung um 12 Prozentpunkte müsse daher zwangsläufig an den Kunden weitergegeben werden. „Wir haben gar keine andere Wahl, als die Preise zu erhöhen, wir kriegen diese Steigerung nicht weggedrückt.“ Schließlich gehöre die Gastronomie mit einer Umsatzrendite von nur noch 3 bis 8 Prozent ohnehin nicht zu den renditestarken Branchen. „Wir haben uns immer noch nicht von den Auswirkungen der Corona-Krise erholt, dadurch sind alle Betriebe angeschlagen, die Rücklagen sind aufgebraucht“, sagt Stöver. Viele Betriebe würden auch noch Kredite abzahlen, die sie während der Pandemie aufgenommen haben.
Die Umsätze würden sich zwar allmählich dem Niveau von 2019 annähern (minus 12,5 Prozent im ersten Quartal 2023), das liege aber allein an dem gestiegenen Preisniveau. Laut einer Dehoga-Umfrage sind die Personalkosten um 21,5 Prozent angezogen, Energie wurde um 21,1 Prozent und Lebensmittel um 17,2 Prozent teurer. „Im Großen und Ganzen haben wir Mehrkosten von bis zu 25 Prozent“, sagt Stöver. Die Gästezähl sei dagegen um 25 Prozent gesunken. Nur durch den Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent sei es bisher gelungen, nicht alle Kostensteigerungen eins zu eins an die Gäste weitergeben zu müssen.
Das Statistische Bundesamt berichtet zwar von sinkenden Erzeugerpreisen, diese Entwicklung habe sich in der Gastronomie aber noch nicht spürbar niedergeschlagen. „Wir sind am Ende der Kette, das ist ein Problem“, sagt Stöver. Zwar ist er zuversichtlich, dass sich erste Preisrückgänge im Herbst bemerkbar machen. Gleichzeitig sind aber auch weitere Kostensteigerungen wie etwa durch die Lastwagen-Maut oder CO2-Preise in Sicht. „Bei einem Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent auf Speisen wird es Betriebsschließungen geben. Und es wird den ländlichen Bereich eher treffen als den städtischen Raum, weil die Kaufkraft im ländlichen Bereich niedriger ist“, sagt Stöver. Darüber hinaus befürchtet er negative Auswirkungen auf den Tourismus-Bereich, weil das Gesamtpaket für Urlaubsreisen in Deutschland durch höhere Speisekosten unattraktiver wird.
Völlig unverständlich findet Stöver, dass die Speisen zum Mitnehmen mit ihrer Einwegverpackung auch nach dem 1. Januar 2024 nur mit 7 Prozent besteuert werden, während das Essen mit Teller und Besteck im Restaurant dann wieder bei 19 Prozent Mehrwertsteuer liegen soll. „Das passt doch überhaupt nicht zusammen“, ärgert sich der Gastronom. Zudem führe die unterschiedliche Umsatzsteuer auch zu einer Wettbewerbsverzerrung mit dem Ausland. Der Hotel- und Gaststättenverband hat nachgezählt: In 23 von 27 EU-Staaten gilt derzeit ein reduzierter Mehrwertsteuersatz, mit 19 Prozent wird die Bundesrepublik wieder zur Spitzengruppe hinter Dänemark, Lettland und Estland gehören. Stöver weist zudem darauf hin, dass der erhöhte Mehrwertsteuersatz auch bei Kindergarten- und Schulverpflegung zum Tragen kommt. Die Essenslieferanten hätten dadurch weniger Spielraum, um regionale und ökologisch erzeugte Lebensmittel einzusetzen.