Rot-Grün will exotische Zirkustiere verbieten und bringt damit einen Berufsstand in Nöte
Die jüngste Sitzung des Agrarausschusses hatte vieles von dem, was ein guter Zirkus braucht: jede Menge Publikum, wechselnde Auftritte, akrobatische Zungenübungen und argumentative Verrenkungen, einen gewissen Spannungsbogen und jede Menge Emotionen. Nur wilde Tiere fehlten im Raum. Lediglich Bilder von Bären, Giraffen und Co wurden an die Wand geworfen, und im Munde führte man sie natürlich auch immer wieder, denn schließlich waren sie der Grund, weshalb der Andrang im Landtags-Erweiterungsgebäude an diesem Tag so groß war.
Die Koalitionsfraktionen von SPD und Grünen verfolgen seit ein paar Monaten das Ziel, ihre Regierung zu einer Bundesratsinitiative zu bewegen, die unter anderem ein Verbot bestimmter exotischer Tiere im Zirkus zur Folge haben soll. Am Mittwoch fand dazu nun die Anhörung von Experten im zuständigen Agrarausschuss des Landtags statt. Dabei wurden die Fronten zwischen den Befürwortern und den Gegnern des rot-grünen Ansinnens sehr deutlich erkennbar. Aber es zeigte sich am Ende auch ein Pfad, auf dem man vielleicht zu einem Kompromiss kommen kann, der ermöglicht, dass die Show weitergeht.
TV-Tierärztin lehnt Vorstoß von Rot-Grün entschieden ab
Doch zuerst zu den Gegnern. Manege frei für: Alexandra Dörnath von der „Tierarztpraxis Klein Mexico“ in Bremen – bekannt unter anderem durch ihre eigene TV-Serie auf dem Privatsender Sat.1 und ausgestattet mit 25 Jahren Erfahrung als auf Exoten spezialisierte Tierärztin, die etwa mit dem Zirkus Belly und dem Zirkus Voyage zusammenarbeitet. Die Exotenliebhaberin ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie nichts vom Antrag der rot-grünen Koalition hält. Dass man dort nach ihrer Ansicht keine Ahnung vom Thema habe, versuchte sie anhand ungeeigneter Vokabeln des Antragstextes deutlich zu machen.
So spreche man heute nicht mehr von „artgerechter Haltung“, sondern von „tiergerechter“, führte sie aus. Zudem stört sich Dörnath offenbar an Verallgemeinerungen, die man dem Antragstext direkt oder indirekt entnehmen kann, und die aus ihrer Sicht nicht zutreffend seien: „Nicht jeder Exot ist ein Wildtier, es gibt auch exotische Haustiere“, sagte sie und meinte damit, dass auch die Hauskatze als ein in Mitteleuropa nicht heimisches Tier als Exot zu bezeichnen wäre.
Ähnlich argumentierte sie fortwährend weiter: „Nicht jeder Verstoß gegen das Tierschutzgesetz geht mit Tierquälerei einher“, denn es sei schließlich schon ein Verstoß, wenn ein Zirkus es versäumt hat, seine Ankunft dem zuständigen Veterinäramt rechtzeitig anzukündigen. „Nicht alle Giraffen sind tropisch“, sagte sie in Bezug auf die rot-grünen Bedenken gegen das kalte Klima in Norddeutschland, das exotische Tiere krank werden lasse. Dörnath verweist auf Giraffen und Elefanten in Südafrika, die dort durchaus auch mal mit Schnee in Berührung kommen könnten. „Nicht die Gehege-Größe ist ausschlaggebend für das Wohlbefinden der Tiere, sondern ihr Verhältnis zum Menschen.“
Überhaupt zeigt die Tierärztin kein Verständnis dafür, dass jemand etwas dagegen haben kann, wenn Tiere in Gefangenschaft leben, denn in Freiheit seien die Tiere ebenso gefangen – durch Hunger, Durst und Krankheiten. „Das ist der naturalistische Fehlschluss, wenn man denkt, die Natur sei das Paradies auf Erden, das ist sie mitnichten.“ Den Gipfelpunkt fand diese argumentative Umkehr in Dörnaths Schlussplädoyer. Dabei verklärte sie Zirkusse zu „Artenschutz-Botschaftern“, die Menschen die Liebe zum wilden Tier näherbringen können und sagte: „Nur das, was wir kennen, das lieben wir. Und nur das, was wir lieben, das schützen wir.“
„Der Antrag soll nicht zu einer Verbesserung für die Tiere führen, sondern zu einem Aussterben der reisenden Betriebe“
Sonni Frankello, Elefanten-Dompteur
Emotional blieben die Ausführungen aufseiten der Antragsgegner auch noch, als Sonni Frankello, der mit bürgerlichem Namen Franz Frank heißt, an die Reihe kam. Der Dompteur vom Elefantenhof Platschow in Mecklenburg-Vorpommern sprach für den Berufsverband der Tierlehrer, dem nach eigenen Angaben etwa 70 Kollegen angehören. Er selbst kümmere sich seit 20 Jahren um die Pflege pensionierter Zirkuselefanten und blicke zurück auf 92 Jahre Elefantenhaltung in seiner Familie. Für ihn komme der rot-grüne Antrag einem Berufsverbot für seine Branche gleich, sagte er und verwies darauf, dass der Zirkus doch immaterielles Kulturerbe sei.
Viele Tierhalter, die keinerlei negative Einträge im sogenannten Zirkuszentralregister hätten, in dem Veterinäre Verstöße dokumentieren, würden durch das politische Projekt bestraft, klagte er an und warf Rot-Grün mangelndes Fachwissen vor. „Der Antrag soll nicht zu einer Verbesserung für die Tiere führen, sondern zu einem Aussterben der reisenden Betriebe“, sagte Frankello und äußerte die Mutmaßung, das eigentliche Ziel sei „die Abschaffung jeder Tierhaltung und eine komplett vegane Lebensweise“.
Nach diesen zwei äußerst impulsiven Auftritten wurde es in der imaginierten Manege Zeit für ein neues Setting, freundlicheres Licht, Musik in hartem, sachlichem Dur statt weichem, gefühligem Moll. Spot an: Thomas Pietsch, Zoologe und Verhaltensbiologe von der „Vier Pfoten Stiftung für Tierschutz“. Er sprach zunächst die „definitorische Problematik“ beim Wildtierbegriff an, die auch seine Vorrednerin schon thematisiert hatte.
Pietsch stellte allerdings in den Vordergrund, dass bei den in Rede stehenden Tieren keine „züchterische Anpassung an menschliche Obhut“ festzustellen sei, keine Domestizierung wie bei der Hauskatze oder andere Anpassungen wie etwa beim Hausschwein, das mit seinen wilden Artgenossen nicht mehr allzu viel gemeinsam hat. Was Klima, Platz und Ernährung angehe, seien die Bedürfnisse der Zirkustiere denen ihrer Artgenossen in der Natur noch sehr nah, so Pietsch.
Tierschützer kritisieren jegliche Tierhaltung im Zirkus
Die Lebensbedingungen im Zirkus seien aber „systemimmanent“ schlecht: häufige Transporte, lange Verweildauer im Käfig, mitunter ungünstige Bedingungen am Gastspielort, etwa durch gepflasterten Boden oder nahegelegenen Straßen. Soziale Verbünde, wie sie bei Elefanten üblich seien, gebe es im Zirkus zudem auch nicht. Studien hätten gezeigt, dass ehemalige Zirkustiere an Hirntraumata, Organschäden, starkem Über- oder Untergewicht und anderen chronischen Erkrankungen leiden würden. Das Argument, Zirkusse leisteten einen Beitrag zum Artenschutz, wies er mit dem Argument zurück, dass sich Zirkusse an den Programmen der Zoos nicht beteiligen würden und aufgrund der unklaren genetischen Herkunft der Tiere auch nicht sollten.
Pietsch bilanzierte: Deutschland sei Schlusslicht beim Schutz der Zirkustiere und sollte dringend dem Beispiel anderer europäischer Länder folgen. Eine Verbotsliste sei ein Einstieg, ein generelles Verbot sollte dringend geprüft werden. Diese Position vertrat auch James Bruckner vom Deutschen Tierschutzbund. Die Haltung im Zirkus bedeute erhebliche Einschränkungen, sagte er und sprach von einer Zweiklassengesellschaft der Tiere, weil für Zootiere inzwischen ganz andere Standards gälten als für Zirkustiere, etwa was den Außenzugang oder die Größe der Auslaufflächen beträfe.
Warum diese Vorgaben, die für Zootiere im Säugetiergutachten von 2014 und für Zirkustiere in der entsprechenden Zirkustierleitlinie von 1996 aufgeführt werden, mitunter so weit auseinanderliegen, weiß derweil Jörg Pfeiffer von der „Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz“. Er habe 1996 selber mit daran gearbeitet, die Leitlinie auszugestalten, und aus den Unterlagen gehe hervor, dass um die jeweiligen Gehege-Größen lediglich auf dem politischen Basar gefeilscht worden sei. Eine wissenschaftliche Begründung für die eine wie die andere Quadratmeterzahl gebe es nicht. Er plädierte deshalb dafür, die Zirkustierleitlinie anzupassen oder dafür zu sorgen, dass die Regelungen aus dem genannten jüngsten Säugetiergutachten entsprechend Anwendung finden müssen.
Pfeiffer, der viele Jahre als Zootierarzt gearbeitet hat und nun kommunaler Exotenbeauftragter im Landkreis Uelzen ist, blickt recht nüchtern auf die zuvor von seinen Vorrednern vorgebrachten Argumente. Er spricht sich für eine differenzierte Betrachtung der Tierarten aus. In seinem Verband gehe man etwa davon aus, dass Elefantenkühe oder Robben durchaus tiergerecht im Zirkus gehalten werden können, sofern die Standards des Säugetiergutachtens zur Pflicht gemacht werden. Ähnlich verhalte es sich bei Löwen und Tigern. Bei Reptilien mache er sich ohnehin gar keine Sorgen, für die gelten bereits dieselben Vorgaben wie für Privathaushalte. Affen, Bären, Giraffen, Nashörner und Elefantenbullen fallen aus Sicht der Tierärztlichen Vereinigung für den Zirkus aber sicher raus. Das Exoten-Urgestein Pfeiffer wirbt daher für eine gut begründete Positiv- und Negativliste, um ein generelles Haltungsverbot zu vermeiden.
Diese abgewogene Position ist eine, der sich sogar Ralf Huppertz vom Verband deutscher Zirkusunternehmen anschließen kann. „Ich bin mit vielen Punkten einig mit Herrn Pfeiffer“, sagte er als letzter Redner am Mittwoch im Agrarausschuss. Das Säugetiergutachten zum Standard zu machen, „wäre gangbar“. Dem rot-grünen Antrag widersprechen musste er in einem entscheidenden Punkt aber doch: „Ob etwas noch zeitgemäß ist, sollte man das Publikum entscheiden lassen. Wenn sich das ändert, werden sich die Unternehmen schon anpassen.“ Wann der Vorhang für die Exoten im Zirkus also endgültig fällt, entscheide dann im Zweifel das Publikum.
Dieser Artikel erschien am 26.05.2023 in der Ausgabe #096.
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