Rot-Grün schlägt vor, wie der Bund die Industrie beim Strompreis entlasten kann
Mit einem ungewöhnlichen Appell sind am Mittwoch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) und Umweltminister Christian Meyer (Grüne) vor die Presse getreten: Sie haben einen Vorschlag entwickelt, wie die Bundesregierung die unter besonders hohen Strompreisen leidenden Industriezweige in den kommenden zehn Jahren unterstützen kann – nämlich einerseits über einen Strompreisdeckel, der bei maximal sieben Cent je Kilowattstunde liegen soll, andererseits mit einer Investitionsprämie in Höhe von 25 Prozent, die beispielsweise auch über Steuerabschreibungen geregelt werden kann.
Kostenpunkt: Bis zu 11 Milliarden Euro jährlich
Wenn man das umsetzen würde, wäre der Bundeshaushalt in den kommenden zehn Jahren mit jährlich bis zu elf Milliarden Euro zusätzlich belastet. „Manche raten dazu, wir sollten den Subventionswettlauf unterlassen und uns auf Hochtechnologie konzentrieren. Ich sehe das anders. Der Wettlauf hat begonnen, etwa in den USA. Wir können jetzt nicht stehen bleiben, wenn die anderen gestartet sind“, betonte der Ministerpräsident. Rot-Grün in Niedersachsen empfiehlt der Bundesregierung und insbesondere dem federführenden Bundeswirtschaftsministerium, entsprechende Gesetzespläne zu entwickeln und dafür die Gedanken aus Hannover aufzugreifen. „In Berlin wird daran gerade gearbeitet, die Überlegungen sind dort aber noch nicht zum Abschluss gekommen“, ergänzte Weil auf Nachfragen.
Der Niedersachsen-Vorschlag hat nun mehrere Aspekte. Die Frage, welche Firmen in den Genuss des vergünstigten Strompreises für zehn Jahre kommen dürfen, berührt das EU-Beihilferecht. Niedersachsen regt an, eine bereits vor vielen Jahren bei der EU genehmigte Liste der von der EEG-Umlage befreiten Unternehmen als Grundlage zu nehmen. Diese müsste dann um einige Branchen wie Glasindustrie oder die Batteriezellproduktion oder auch Wasserstoff-Firmen ergänzt werden.
Weil: EU-Industrieländer müssen „an einem Strang ziehen“
Weil und Lies nannten in der Pressekonferenz die Stahl-, Glas-, Keramik-, Zementindustrie und die chemische Industrie als besondere Beispiele für energieintensive Bereiche. Auf EU-Ebene müsste für die Ergänzung der alten EEG-Liste eine „Notifizierung“ geschehen. Dabei setzt die Landesregierung auf die Unterstützung der EU-Kommission und vieler EU-Staaten mit industrieller Prägung wie Österreich, Italien, Frankreich oder Polen – wohlwissend aber, dass viele EU-Staaten wenig Industrie und damit auch wenig vergleichbare Probleme haben. Laut Weil ist die Notifizierung „ein politischer Akt“, die europäischen Industrieländer müssten hier „an einem Strang ziehen“.
Mit viel Zielstrebigkeit und Energie könne das aber schnell geschehen – sodass die vorgeschlagene Lösung bereits Anfang 2024 in Kraft treten könne. „Wir haben die Probleme jetzt und brauchen jetzt eine Übergangshilfe“, betonte Lies. Eine Bedingung dafür, dass solche Hilfen „EU-beihilferechtlich einwandfrei“ sind, ist die zeitliche Eingrenzung. Die Landesregierung hat die Entwicklung des Strompreises analysiert und eine Prognose aufgestellt. Spätestens 2033 würde demnach der Strompreis wieder fallen, da dann die Dominanz der Erneuerbaren Energien sich bei der Preisgestaltung spürbar bemerkbar mache. Also brauche man die Hilfen zehn Jahre lang.
Den Strompreisdeckel auf sämtliche Industriebetriebe auszudehnen, würde laut Weil „die Verhältnisse sprengen“. Der Vorschlag müsse von Augenmaß und Differenzierung geprägt sein – und bleibe somit weit hinter den Staatshilfen zurück, die derzeit die USA zur Stützung ihrer heimischen Wirtschaft bewegen. Laut Weil ist Niedersachsen jetzt die erste rot-grüne Koalition, die hier aktiv werde. Umweltminister Christian Meyer (Grüne) verwies auch auf ähnliche Vorstellungen in Nachbarländern, so im schwarz-grün regierten Schleswig-Holstein. Nach den Worten von Lies hat sich die Landesregierung vor der Veröffentlichung ihres Modells auch mit den Sozialpartnern abgestimmt, also mit Gewerkschaften und Arbeitgebern.
Niedersachsen-Metall begrüßt Vorstoß
Der Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall, Volker Schmidt, begrüßte die Initiative: Nachdem die Industrie „gebetsmühlenartig eine Senkung des Industriestrompreises eingefordert“ habe, werde mit der Niedersachsen-Initiative nun „endlich die Debatte in der Bundesregierung in Gang gebracht“. „Der Bundeskanzler muss jetzt Farbe bekennen, ob seine Zusage im Bundestagswahlkampf, sich für einen Industriestrompreis von 4 Cent einzusetzen, mehr als nur leere Worte waren“, betonte Schmidt. Da Niedersachsen gerade den Vorsitz in der Ministerpräsidentenkonferenz inne habe, könne Weil eine Sonder-Konferenz der Länder-Regierungschefs einberufen und dort über nötige Schritte zur Sicherung des Industriestandortes beraten.
Gewerkschaften und CDU drängeln
Der DGB-Landesvorsitzende Mehrdad Payandeh erklärte, der Vorschlag der Landesregierung weise in die richtige Richtung – und nun müsse die Bundesregierung „schnell handeln“. Auch Thorsten Gröger von der IG Metall und Ralf Becker von der IG BCE erklärten Zustimmung. Der CDU-Landesvorsitzende und Oppositionsführer Sebastian Lechner sagte, das Problem des Industriestrompreises liege nicht in der Qualität der Vorschläge – sondern darin, dass die Bundesregierung noch keine nötigen Schritte zu dessen rascher Umsetzung unternommen habe. „Es muss in den nächsten Wochen etwas geschehen, nicht erst im kommenden Jahr.“
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Dieser Artikel erschien am 27.04.2023 in der Ausgabe #077.
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