Kirchenlieder im Ostergottesdienst: Klaus Wallbaum hätte es lieber klassisch, Isabel Christian lieber modern. Foto: Christian

PRO: Wenn Kirche überleben will, muss sie wieder Treffpunkt werden. Und dafür muss sie erkennbar ein Forum werden für das, was die Menschen in ihrem Alltag bewegt, meint Isabel Christian.

„Shut the Do‘, keep out the Devil. Shut the Do‘, keep the Devil in the Night. Shut the Do‘, keep out the Devil, light a Candle, everything is alright.“ Dieses Lied kenne ich noch immer auswendig, obwohl ich es vor 15 Jahren das letzte Mal gesungen habe – beim Gottesdienst zu meiner Konfirmation. Ich verbinde damit natürlich die Erinnerung an einen besonderen Tag, aber noch viel stärker ist das Gefühl, in meiner „Konfi-Zeit“ Teil einer Gemeinschaft in einer weltoffenen und lebensnahen Kirche gewesen zu sein. Dass ich die Kirche damals als so fortschrittlich empfunden habe, lag nicht unwesentlich am Pastor. Ein junger Mann, der die Gemeinde erst einige Jahre zuvor übernommen hatte, ein Faible für Rockmusik und Baseball pflegte und bei der Gestaltung des Gottesdienstes und der Gemeindearbeit gern von ausgetretenen Pfaden abwich. Er organisierte mit seiner Frau Kurse für angehende Babysitter, gründete eine Baseball-Mannschaft, ließ den Gottesdienst in der Osternacht am Lagerfeuer mit Stockbrot und Limo für alle enden und brachte uns auf der Konfirmandenfreizeit englische Kirchenpopsongs bei. Diesem Mann war klar, dass er uns Jugendlichen, die wir nicht ganz freiwillig zwei Jahre lang zum Gottesdienst gingen, etwas bieten musste, wenn er uns für die Kirche gewinnen wollte. Ich ging also mit einem Verständnis hinaus in die Welt, wonach Alltag und Kirche auch 2000 Jahre nach Christus noch gut zusammenpassten – und wurde leider immer wieder enttäuscht.

Dem jungen Mann, der gern sozialkritischen Rap hört, kann man nicht mit einseitigem „Lobet und preiset den Herrn“ kommen. Die junge Frau, die gerade unsicher ist, wohin ihr Leben sie führen soll, will Trost und Rat in Liedern und Predigt finden können.

Die meisten Kirchen – vor allem in ländlichen Gebieten – machen Kirche für alte Leute. Das ist nicht dumm, schließlich sind die Gemeindemitglieder, die sich überhaupt noch für den Gottesdienst interessieren, in der Regel Rentner. Doch es ist auch eine Art von Kapitulation. Vor dem demografischen Wandel, der den Kirchen ohnehin immer weniger Kinder zuträgt und Gemeinden schrumpfen oder ganz verschwinden lässt. Und vor der Säkularisierung der Gesellschaft und der schwindenden Bedeutung von Kirche im Leben der Menschen. In meinem Bekanntenkreis bin ich ein Exot, weil ich noch Kirchensteuer zahle. Viele sind ausgetreten, teilweise schon vor Jahren, weil sie nicht mehrere Hunderte Euro im Jahr zwangsweise an eine Organisation zahlen wollen, der sie sich nicht verbunden fühlen. Dabei muss man differenzieren: Es geht hier nicht um ihren Glauben an Gott. Aber um den Glauben daran, dass Kirche ein Teil ihres Lebens sein kann, der über den finanziellen Obolus auf der Steuererklärung hinausgeht. Hat die Kirche angesichts dieser Entwicklungen überhaupt noch Zukunft?

Ich sage Ja. Aber um zu überleben, muss die Kirche sich wieder reformieren. Sie muss ihre Rolle in der modernen Gesellschaft neu definieren und das nach außen tragen.  Das bedeutet nicht, dass die Orgel aus der Kirche fliegen und ein DJ ihren Platz einnehmen soll. Kirche ist und bleibt auch ein Ort der Tradition und dazu gehören eben auch Lieder aus dem 17. Jahrhundert und die Orgel. Aber die Übermacht der Tradition bei der Gestaltung von Gottesdiensten hat zur Folge, dass Kirche für immer mehr Menschen verstaubt und langweilig wirkt. Für viele klassische Kirchenlieder braucht man fast schon Interpretationsbüchlein, um überhaupt zu verstehen, was der Autor sagen will. Wenn man aber schon den Inhalt dessen, was man da singt nicht, versteht, wie soll man sich dann mit der Botschaft des Lieds identifizieren?


Pro & Contra: Darüber streitet die Rundblick-Redaktion

Man muss ja nicht immer einer Meinung. Die Rundblick-Redaktion haut bei Meinungsverschiedenheiten nicht auf den Tisch, sondern in die Tasten. Das Ergebnis ist immer ein Pro & Contra. Hier eine kleine Auswahl von den Themen der vergangenen Monate.


Die Kirche hat nach wie vor die Fähigkeit, Menschen zu einer Gemeinschaft zusammenzubringen, sei es dauerhaft oder nur für ein paar Stunden. Dafür müssen die Menschen sich aber auch so, wie sie sind, als Teil der Gemeinschaft fühlen können. Die Kirche muss sie in ihrer Lebenswirklichkeit abholen. Dem jungen Mann, der gern sozialkritischen Rap hört, kann man nicht mit einseitigem „Lobet und preiset den Herrn“ kommen. Die junge Frau, die gerade unsicher ist, wohin ihr Leben sie führen soll, will Trost und Rat in Liedern und Predigt finden können. Der Gottesdienst muss das werden, was vielen Menschen in ihrem Alltag fehlt: Ein Ort, an dem man zur Ruhe kommen und neue Kraft tanken kann, an dem man aber auch aus seinem Trott heraustreten und neue Ansichten und Denkanstöße gewinnen kann. Das geht am besten über eine kluge Predigt und eine Musikauswahl, die auch dem Zeitgeist entspricht, deren Texte allgemein verständlich sind und von jedem für sich selbst gedeutet werden können.

Das muss nicht zwangsläufig englische Popmusik sein. Eine meiner Meinung nach schönsten Entwicklungen der vergangenen Jahre ist das Abendgebet nach Taizé, das in immer mehr Kirchen gebetet wird. In einem der kurzen, Mantra-artigen Lieder – übrigens die Liturgie zu Gründonnerstag – singt man: „Ubi Caritas et amor, deus ibi est – Wo Güte und Liebe herrschen, da ist Gott.“ Damit ist alles gesagt.

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CONTRA: Zu den christlichen Feiertagen gehören auch die entsprechenden Traditionen und Rituale. Diese zu opfern, wäre leichtfertig – und würde Wertvolles zerstören, meint Klaus Wallbaum.

Sicher, die Zahl der Kirchenbesucher sinkt stetig. Diejenigen, die zu Weihnachten oder Ostern Gottesdienste besuchen, tun dies vielleicht mehr aus Tradition als aus Frömmigkeit. Deswegen die Nase zu rümpfen über diese Leute, wäre überheblich und fehl am Platze. Zur gelebten Kultur in diesem Land gehört eben die Kirche an den kirchlichen Feiertagen. Besonders für die, die zu den Gottesdiensten gehen, aber auch für all diejenigen, die in dieser Zeit häufiger die Kirchenglocken läuten hören – das Geschehen also aus Entfernung als Ohrenzeugen verfolgen. Das ist das Schöne zu Ostern und Weihnachten: Keiner kann sich so richtig dem tieferen Sinn dieser Anlässe entziehen. Wer mit dem Flugzeug in die Ferne rauscht, wird früher oder später auch dort spüren, was der daheim zurückgelassen hat. Weil ihm etwas fehlt.

Welchen Wert haben nun Anstrengungen der Kirche, mehr Menschen zu den Gottesdiensten zu bringen – nicht nur zu Ostern und Weihnachten, sondern möglichst regelmäßig? Die Sache ist zweischneidig. Die Predigten in den evangelischen Kirchen sind meistens mutiger, aktueller, politischer als die Rituale in der katholischen Kirche, die sehr stark vorgegeben sind und sich immer wiederholen. Eine gute Predigt kann zum Nachdenken anregen und Widerspruch erregen, also den Verstand ansprechen. Ein Gottesdienst geht aber darüber hinaus, er soll die Seele des Menschen erreichen, den Kopf und das Herz. Viel hängt also davon ab, wie leidenschaftlich und inspiriert die Menschen, die den Gottesdienst gestalten, ihre Aufgabe erfüllen. Nur wenn sie selbst vom Willen beseelt sind, mit ihren Botschaften zu den Leuten vorzudringen, können sie das auch schaffen.

Aber das Liedgut zu erneuern, populärer zu machen, wäre der falsche Weg. Es ist ja nicht so, dass der Gedanke völlig neu ist. Pop- und Rockmusik in Kirchen, das hat schon mancher Pastor versucht, weil er seinen Arbeitsplatz vom staubigen Image befreien wollte. Aber hat sich das durchgesetzt? Aus gutem Grund eher nicht. Die festliche Stimmung ist eben mit bestimmter Musik verbunden, zur Weihnachtszeit noch stärker als zur Osterzeit. Wer das „Jauchzet, frohlocket“ aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium einmal in einer Kirche gehört hat, wird es nicht vergessen – das ist kultureller Genuss in höchster Form. Auch englische Stücke wie „Hark! The Herald Angels sing“ gehören zur Weihnacht einfach dazu – auch in den Gottesdienst, gern auch mit deutschem Text versehen. Wenn diese Musik nicht erklingt, ist die Stimmung nicht perfekt.

Bleibt die Frage, wie die Kirche es schaffen kann, auf noch mehr Menschen einladender zu wirken. Das wichtigste scheint die innere Einstellung der Akteure zu sein. Wenn Pastoren, Superintendenten und Bischöfe verunsichert sind und alle möglichen Neuerungen versuchen, nur um attraktiver zu sein, vermitteln sie damit am Ende nur ihre eigene Unzufriedenheit. Das ist so wie mit den Zeitungsredaktionen, die angesichts beständig sinkender Auflage mit immer krasseren Schlagzeilen Aufmerksamkeit erheischen wollen und die klassische Nachrichtenvermittlung vernachlässigen. Auch das Klagelied so mancher Kirchenvertreter über die vielen Gottesdienstbesucher zu den Festtagen, die sich ja den Rest des Jahres dort nicht blicken lassen, verrät eine Arroganz, die abstoßend ist. Je geschäftsmäßiger, leidenschaftsloser und uninspirierter die Pastoren daherkommen, desto mehr werden auch Gottesdienstbesucher die Veranstaltung als lästiges Pflichtprogramm und nicht als Bereicherung ansehen. Womöglich könnte es auch helfen, wenn im Gottesdienst mehr die Gemeinschaft angesprochen und die Gemeinde stärker einbezogen wird. Hier hat die katholische Kirche, die viel mehr Rituale kennt, auch den Händedruck mit dem Nachbarn, der evangelischen einiges voraus. Selbst der Geruch von Weihrauch kann für die Teilnehmer des Gottesdienstes etwas Verbindendes und Beruhigendes ausdrücken.

Pop- und Rockmusik in Kirchen, das hat schon mancher Pastor versucht, weil er seinen Arbeitsplatz vom staubigen Image befreien wollte. Aber hat sich das durchgesetzt? Aus gutem Grund eher nicht.

In Ostdeutschland waren die Kirchen in den späten achtziger Jahren voll, weil viele Pastoren zu denen gehörten, die Missstände – relativ – offen angesprochen hatten. Die Kirchen wurden zu Schutzräumen all jener, die das Regime nicht mehr ertragen wollten. Das zeigt, wie sehr die Kirche in politisch schwierigen Zeiten automatisch zu einem attraktiven Ort für viele Menschen werden kann – auch ohne ein Programm der eigenen Imageverbesserung. Nun sollten wir uns solche politisch schwierigen Zeiten beileibe nicht herbeiwünschen, sondern froh sein, dass sie vorüber sind. Aber die Kirche kann daraus auch aktuell Gewissheiten ableiten. Für viele Menschen bedeutet sie womöglich doch mehr, als diese Menschen zugeben würden – nur es zeigt sich dann eben vermutlich erst dann, wenn sie selbst auf diesen Ort wieder angewiesen sind.

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