24. Jan. 2022 · 
Landwirtschaft

Nitrat-Kompromiss in Gefahr: Landwirte in Niedersachsen schlagen Alarm

Ein Landwirt fährt mit seinem Traktor Düngemittel aus. | Foto: photoprojektrm

Droht wegen der harten Haltung aus Brüssel eine überaus strenge Einschränkung der Bewirtschaftung von niedersächsischen Feldern? Im Streit um die Ausweisung der sogenannten „roten Gebiete“ auf landwirtschaftlichen Flächen droht den Anhängern einer moderaten Lösung offenbar eine Niederlage. Wie Fachmedien berichten, soll die Europäische Kommission das Konzept der Emissionsmodellierung in der Bundesdüngeverordnung abgelehnt haben. Damit könnte den EU-Mitgliedsstaaten die Möglichkeit genommen werden, eine Binnendifferenzierung bei der Gebietskulisse der besonders mit Nitrat belasteten Gebiete vorzunehmen. Experten mutmaßen, dass dadurch bis zu 50 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche bundesweit unter die Restriktionen der „roten Gebiete“ fallen könnten.

31 Prozent aller Agrarflächen in Niedersachsen betroffen

In Niedersachsen waren zunächst 31 Prozent der Agrarflächen des Landes betroffen, durch eine Verringerung sollte die Fläche auf ein Viertel verringert werden. Wie es heißt, will die neue Bundesregierung in diesem Punkt keine weitere Auseinandersetzung mit der EU suchen. Allerdings laufen die Verhandlungen noch gut vier Wochen, weshalb sich die niedersächsische Landesregierung in dieser Angelegenheit auch noch bedeckt hält. Eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums erklärte auf Rundblick-Anfrage lediglich, dass Niedersachsen diesen Prozess in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundes begleite. Mögliche Zwischenergebnisse wolle man aber nicht kommentieren, allerdings: „Niedersachsen legt weiterhin Wert auf die Feststellung, dass eine bestmögliche Verursachergerechtigkeit erreicht werden muss.“

Landesbauernverband fordert Festhalten an Kompromiss

Das niedersächsische Landvolk schlägt derweil Alarm angesichts der Berichte aus Brüssel und Berlin und warnt vor einer „Rolle rückwärts“. „Wenn Betriebe mit pauschalen Auflagen bestraft werden, obwohl sie ihre Kulturen ordnungsgemäß düngen, dann läuft gewaltig etwas schief“, erklärte Landvolk-Präsident Holger Hennies. „Bei der Abgrenzung von Flächen, auf denen Landwirte ihre Nutzpflanzen nicht optimal mit Nährstoffen versorgen dürfen, darf das Verursacherprinzip im Gewässerschutz nicht aufgegeben werden.“ Der Landesbauernverband fordert deshalb, an dem im vergangenen Jahr in Niedersachsen beschlossenen Kompromiss festzuhalten. Das heißt: die landwirtschaftlichen Daten zu berücksichtigen, sowie den Aufbau eines lückenlosen Messstellennetz zu erarbeiten, „damit nicht zu Unrecht große Teile des Landes wieder als nitratbelastete ‚rote Gebiete‘ eingestuft werden.“

Mithilfe der sogenannten roten Gebiete (beziehungsweise gelber oder grauer Gebiete, in denen die Phosphatbelastung zu hoch ist) soll gegen die Verunreinigung der Grundwasserkörper vorgegangen werden. Für jene Regionen, die in dieser Gebietskulisse ausgewiesen wurden, gelten bestimmte strengere Vorgaben – etwa eine zwanzigprozentige Unterdüngung, die aus landwirtschaftlichen Fachkreisen allerdings scharf kritisiert wird. Nach zahlreichen Protesten aus der Branche haben Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) ein mehrstufiges Modell entwickelt, mit dem die Fläche der betroffenen Gebiete in den kommenden Monaten und Jahren verringert werden soll. Der nächste Schritt der überarbeiteten Gebietsausweisung steht eigentlich demnächst an. Im Fokus steht bei dem Verfahren eine stärkere Orientierung am Verursacherprinzip, denn die ursprüngliche Herangehensweise betrachtete zunächst nur die Qualität der Grundwasserkörper – aber nicht die Aktivitäten der landwirtschaftlichen Betriebe, die darüber liegen. Zunächst wollen die beiden Ministerien, dass künftig mehr Grundwassermessstellen einbezogen werden, um ein detailliertes Bild zu erhalten. Anschließend soll über das niedersächsische Emissions-Meldesystem „Enni“ genauer unterschieden werden, welche Betriebe tatsächlich über den Bedarf düngen – denn nur dann gelangt das überschüssige Nitrat nicht in die Pflanze, sondern versickert.

EU-Kommission misstraut deutschen Bundesländern

Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein seit vielen Jahren anhaltender Konflikt zwischen der Brüsseler Kommission und der Bundesrepublik hinsichtlich der Frage, ob die EU-Nitratrichtlinie ausreichend umgesetzt wurde. Die Richtlinie datiert aus dem Jahr 1991 und sollte bis 1993 EU-weit in nationales Recht überführt werden. Deutschland zeigte bei diesem Thema allerdings stets wenig Engagement: Die erste Bundes-Düngeverordnung kam erst 1996, Änderungen auf der europäischen Ebene aus dem Jahr 2008 hat die Bundesrepublik erst 2012 nachvollzogen. Es läuft ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik, bei dem bereits 2018 der Europäische Gerichtshof die Bundesregierung aufgefordert hat, die Vorgaben der Richtlinie endlich umzusetzen. Im vergangenen Sommer hatte die Kommission erneut mitgeteilt, dass sie „erhebliche Bedenken hat, dass die Bundesländer die Düngeverordnung nicht vollständig und korrekt anwenden".

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #014.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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