Von Martin Brüning
Das von Verkehrsminister Bernd Althusmann gestern beschriebene „neue Zeitalter“ startet mit einer technischen Panne. Eigentlich soll hinter dem Minister bei der Vorstellung der neuen digitalen Verkehrsleitung am Donnerstag im Ministerium eine Präsentation zu sehen sein, die die technischen Erläuterungen visuell unterfüttert. Aber die Wand bleibt weiß, die Verbindung zum Computer funktioniert nicht. Was technisch nicht klappt, gleicht Althusmann durch Superlative in seinem Statement wieder aus. Niedersachsen sei das erste Bundesland, das die Verkehrsteilnehmer in Echtzeit zum Ziel lenken könne. Man stehe auch mit anderen Bundesländern in Kontakt, es gebe zahlreiche Anfragen. Mit dem neuen digitalen System könne man sich sogar zum Impfzentrum leiten lassen, die dazugehörige App könne einen dabei vorher noch an den Termin erinnern.
Wer das allerdings nutzen will, braucht die dazugehörigen Navigations-App „Nunav“ des Unternehmens Graphmasters, das seine Zentrale in Hannover hat. Für das Startup ist die Pressekonferenz am Donnerstag eine willkommene Werbeveranstaltung. Die Firma hat eine intelligente Navigationssoftware entwickelt, die durch die Berechnung aller zur Verfügung stehender Bewegungsdaten dem Nutzer eine individuelle Route zur Verfügung stellt. Firmenchef Sebastian Heise spricht von „kollaborativem Routing“, mit dem beim Verkehr „30 Prozent mehr Durchflussgeschwindigkeit“ erreicht werden könne. Der Unterschied zum von vielen genutzten System „Google Maps“ ist dabei ganz einfach: Google sagt, was ist, „Nunav“ prognostiziert, was kommt. „Wenn Google einen Stau anzeigt, ist das von der Datenerfassung sehr gut, allerdings bekommen alle Nutzer die gleiche Ausweichempfehlung. Wenn sich aber alle auf Empfehlung eines US-Unternehmens auf die gleich Alternativstrecke begeben, dann haben wir da noch einen viel schlimmeren Stau“ erklärt Heise, der den Verweis auf das „US-Unternehmen“ geschickt in seine Antwort auf eine Frage einbindet, um unausgesprochen deutlich zu machen, dass man sich auf A2 oder A7 doch besser von einem Unternehmen aus Niedersachsen als aus Kalifornien leiten lassen sollte.
Das Land Niedersachsen gibt in den kommenden drei Jahren allerdings nicht 180.000 Euro dafür aus, damit die Verkehrsteilnehmer im Land eine niedersächsische Navigations-App nutzen, sondern, um das eigene Verkehrsmanagement zu digitalisieren. Eric Oehlmann, neuer Präsident der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, spricht von einem zentralen Baustein bei der Neuausrichtung der Behörde und einem „Quantensprung in den Möglichkeiten“. Die digitalen Echtzeitdaten seien die Voraussetzung dafür, um zu einer umfassenden Einschätzung der Verkehrslage zu kommen. Laut Sebastian Heise gibt es zahlreiche Sensoriken auf den Straßen, deren Daten in der neuen Plattform zusammengeführt werden. Das Ergebnis: ein einheitliches Lagebild. Bisher wurde im Wesentlichen auf Bundesstraßen und Autobahnen geschaut, der allergrößte Teil des Verkehrsnetzes bestehe aber aus kleinen Straßen.
Was heißt das für die Autofahrer, die in Niedersachsens unterwegs sind und die Navi-App von Graphmasters nicht nutzen? Sie profitieren laut Oehlmann von den schnelleren Erkenntnissen im Verkehrslagezentrum. So könnten die Verkehrsnachrichten im Radio schneller und genauer werden, auch sei es durch immer intelligentere Systeme in den Autos in der Zukunft möglich, die Verkehrsteilnehmer besser und direkter zu informieren. Und auch die Schnittstellen zu Kommunen und Polizei, die auch Informationen einfach und schnell in das System stellen können, werden sich Oehlmann zufolge auszahlen. Es hätte zum Beispiel direkte Auswirkungen auf ein Verkehrschaos vor einigen Tagen im Harz. „Durch das digitale Verkehrsmanagement bekommen wir nicht nur wesentlich eher Erkenntnisse, sondern können auch viel schneller reagieren, zum Beispiel mit Straßensperrungen“, erklärt Oehlmann. Auch für die Verkehrssicherheit sieht der neue Chef der Landesbehörde zukünftig einen Mehrwert. Durch das System ließen sich zügiger Unfallschwerpunkte identifizieren und mit Geschwindigkeitsbeschränkungen reagieren.
Dass der Bund nur die Zuständigkeit für die Autobahnen hat, sieht Oehlmann in der Verkehrsplanung nicht als Nachteil. Man arbeite weiterhin mit dem Bund zu haben, es gebe eine entsprechende Kooperation. „Man muss Verkehr ganzheitlich betrachten, es ergibt keinen Sinn, in Zuständigkeiten zu denken.“ Schließlich könne es nicht sein, dass der Bund nach einem Stau auf der Autobahn den Verkehr einfach in das Landesnetz lenkt. Aber Staus soll das neue System in Zukunft ja ohnehin vermeiden, wenn es geht.