
Die große Reform, die manche als Sündenfall bezeichnen, geschah noch auf den letzten Metern der alten Legislaturperiode des Bundestages: Mit der Mehrheit von CDU/CSU, SPD und Grünen wurde das Grundgesetz geändert und den Bundesländern wurde die Chance für die bislang verbotene Neuverschuldung eingeräumt – in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Am gestrigen Montag nun, ein Vierteljahr nach diesem Beschluss, hat die rot-grüne Landesregierung in Hannover beherzt zugegriffen: Für den Haushaltsplan 2026 wird der angekündigte neue Schulden-Spielraum der Länder voll ausgeschöpft, Niedersachsen veranschlagt neue Kredite über diesen Weg in Höhe von 1,4 Milliarden Euro. Nun kommt aber noch ein Trick hinzu: Auch für das laufende Jahr, das schon zur Hälfte vorüber ist, sollen neue Kredite von 1,4 Milliarden Euro fließen. Das Motto der Regierung Lies lautet also: Scheunentore weit auf, damit neue Schulden möglich werden.
In der Pressekonferenz zur Verkündung der Haushaltsbeschlüsse verteidigte Olaf Lies, seit 35 Tagen Regierungschef, sein Vorgehen. Es wäre doch nicht vertretbar gewesen, in dieser Situation eines allgemeinen Aufbruchs für mehr Investitionen bei der Verschuldung zu bremsen. „Hätte ich stattdessen bei den Lehrern oder bei den Polizisten kürzen sollen?“, fragte der Ministerpräsident. Trotzdem kann das Verhalten der rot-grünen Landesregierung als „kühn“ bezeichnet werden. Nach den gängigen Haushaltsregeln dürfen Einnahmen nur veranschlagt werden, wenn sie rechtlich möglich sind. Die Grundgesetzänderung von März 2025 bietet formal nur die Grundlage für ein Ausführungsgesetz, das es noch nicht gibt. Sollte dies nicht bis Jahresende den Bundestag und den Bundesrat passiert haben, dürfte Finanzminister Gerald Heere weder in den Etat 2026 noch in den eilig gezimmerten Nachtragsetat für 2025 die Neuverschuldungssummen eintragen. „Die Haushaltsbeschlüsse werden im Landtag im Dezember getroffen, bis dahin wird es eine rechtliche Grundlage geben“, erklärte Heere am Montag und verbreitete Zuversicht.
Der Kurs von Rot-Grün sieht daneben noch vor, auch in den Folgejahren das erwartete Recht zur Neuverschuldung voll auszureizen. Für die Jahre 2025 bis 2029 stehen neue Kreditaufnahmen von mehr als 9 Milliarden Euro in der Finanzplanung. Ein Teil davon ist unstrittig und betrifft die „Konjunkturkomponente“ – also die Schuldenfinanzierung bei einer Konjunkturkrise. Der andere Teil betrifft die neuen Möglichkeiten, die mit der Grundgesetzänderung in Gang geschoben wurden, aber eben formell noch nicht bestehen. Ist das der richtige Weg? Kurz vor der Haushaltsklausur der Landesregierung hatte der Landesrechnungshof noch gemahnt, bei der Kreditaufnahme zurückhaltend zu sein – „andernfalls könnte das Land erneut in die Schuldenfalle tappen“. Es hat dann nichts genützt, die Regierung entschied sich anders. In der Finanzplanung werden nun stetig steigende Zinsausgaben angegeben. Von 1,23 Milliarden Euro 2026 über 1,42 Milliarden Euro 2027 bis hin zu 1,67 Milliarden Euro im Jahr 2029.

Eine Frage ist allerdings, ob Niedersachsen am Ende überhaupt so viel Geld ausgeben wird, wie es der Haushaltsplan den Ministerien erlauben will. Denn in vielen Bereichen steigen die geplanten Ausgaben gleichzeitig so stark an, dass nur eine effektive Verwaltung das zügig realisieren könnte. Es gibt in fast allen Bereichen genügend Geld, das im Etat bereitsteht – vor allem für Investitionen. Auf dieser Basis können nun ganz viele Pläne ausgeschmückt und verkündet werden, die viele neue Projekte beinhalten und für die stets ausreichend Finanzmittel im Haushaltsplan des Landes stehen. Die Frage jedoch, wie schnell das alles fertig geplant und anschließend dann auch umgesetzt werden kann, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Vermutung liegt nah, dass es hier in manchen Bereichen mangels ausreichender Kapazitäten der Planer und der Bauwirtschaft bei den groben Konzeptionen bleiben wird und die Realisierung in die Zukunft vertagt werden muss. Vielleicht auch deshalb, weil der komplizierte Verwaltungsaufbau des Landes ein Hemmschuh für Investitionen sein wird.
Zunächst einmal lobt sich die Landesregierung für „das größte Investitions- und Kommunalverstärkungspaket in der Geschichte des Landes“. Hier ein paar Details: