Die Wahlen in den USA sind gelaufen, der Sieger steht noch nicht fest: Einer der profiliertesten deutschen Außenpolitiker, der Europaabgeordnete David McAllister (CDU), hofft auf Verbesserungen der deutsch-amerikanischen Beziehungen – aber er warnt auch vor zu hohen Erwartungen. McAllister äußerst sich beim Besuch der Redaktion des Politikjournals Rundblick.

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Rundblick: Am Morgen nach der US-Wahl wurde der von vielen erhoffte klare Sieg für Joe Biden nicht übermittelt. Wie bewerten Sie die Situation?

McAllister: Joe Biden ist seit Jahrzehnten ein Befürworter der transatlantischen Partnerschaft und der europäischen Integration.  Er will die bestehenden internationalen Institutionen reformieren – nicht etwa schwächen oder zerstören. Darauf beruhten viele Hoffnungen, die im Vorfeld der Wahl geäußert worden waren. Die Sehnsucht danach, ein neues Kapitel in den transatlantischen Beziehungen aufzuschlagen, ist sehr groß. Gegenwärtig können wir nur hoffen, dass wir schnell Klarheit über das Wahlergebnis bekommen und der Ausgang von demjenigen, der verloren hat, auch rasch akzeptiert wird. Das ist ja eben das Wesen der Demokratie, dass der Unterlegene seine Niederlage einräumt und dem Gewinner das Feld überlässt. So hat es Hillary Clinton vor vier Jahren getan, als sie Trump den Vorzug lassen musste, obwohl sie US-weit mehr Stimmen als er bekommen hatte. So hat es auch Al Gore im Jahr 2000 gemacht. Und so ist es auch gewohnte Übung bei uns in der Bundesrepublik.


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Rundblick: Kann es eine Rückkehr zur guten alten Partnerschaft mit den USA geben?

McAllister: Bestimmte gesellschaftliche und politische Entwicklungen verfestigen sich unabhängig davon, wer nun an der Spitze als amerikanischer Präsident steht. Das gilt etwa für die Ausrichtung der US-Außenpolitik. Die neue Administration wird sich, gleich wer sie führt, weiter aus internationalen Konflikten heraushalten. Sie wird sich außerdem stärker dem asiatisch-pazifischen Raum zuwenden – Europa wird weiter aus dem geopolitischen Interesse der Vereinigten Staaten rücken. Zu hoffen ist, dass der Protektionismus nicht größer und stärker wird. Einige schwierige Probleme, wie der jahrelange Streit über Staatsbeihilfen für Airbus und Boeing, werden bleiben. Außerdem ist von Biden wie von Trump zu erwarten, dass sie von uns Europäern ein stärkeres Engagement für ihre Sicherheit und Verteidigung abverlangen werden.

Früher war Europapolitik nicht selten geprägt von Hinterzimmer-Deals – häufig spätabends in inoffiziellen Runden. Das hat sich geändert und das finde ich auch gut.

Rundblick: Bei den US-Wahlen ist nicht das Ergebnis herausgekommen, das sich viele in Europa gewünscht haben. Was wird nun beim Brexit geschehen?

McAllister: Zu wünschen wäre, dass alles noch gut wird. Ich habe momentan als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses und der „UK-Coordination-Group“ im Europäischen Parlament zwei- bis dreimal die Woche Kontakt mit Michel Barnier, dem Chefunterhändler der EU. Klar ist: Ende des Jahres werden die Briten definitiv den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Ab dem 1. Januar 2021 ist das Vereinigte Königreich dann ein Drittstaat. Wie das geschieht, soll ein Abkommen regeln – und über dieses soll im Europäischen Parlament zwischen dem 14. und dem 17. Dezember abgestimmt werden. Ein ausverhandelter Text muss spätestens bis Mitte November vorliegen – denn wir brauchen Zeit nicht nur für die Begutachtung, sondern auch für die rechtslinguistische Übersetzung in alle 24 EU-Amtssprachen. Noch sind wichtige Fragen offen wie die fairen Wettbewerbsbedingungen, die Fischereipolitik oder auch die Regeln, nach denen Vertragsstreitigkeiten beigelegt werden können. Derzeit läuft alles ohne öffentliche Begleitmusik in kleinen Runden, ohne Pressekonferenzen und Twitter-Botschaften. Das ist eine Chance.

Rundblick: Bald jährt sich die Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum ersten Mal. Wie ist Ihre Bilanz?

McAllister: Sie hat eine andere Idee der politischen Führung als Ihr Vorgänger Jean-Claude Juncker. Früher war Europapolitik nicht selten geprägt von Hinterzimmer-Deals – häufig spätabends in inoffiziellen Runden. Das hat sich geändert und das finde ich auch gut. Viel von der geäußerten Kritik ist ungerecht. Man muss doch berücksichtigten, dass es im Europäischen Parlament nicht mehr die große Koalition aus Sozialdemokraten und Europäischer Volkspartei gibt. Die Mehrheiten sind in dieser Legislaturperiode komplizierter zu bilden. Häufig gibt es eine Dreierkonstellation unter Einbeziehung der Liberalen. Es gibt keine beständige Koalition der Fraktionen, sondern sachspezifische Kooperation – und die erfordert eben mehr Koordination.


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Rundblick: Verbunden mit einer Ausweitung der Verschuldung in der Corona-Krise – und mit neuen politischen Schwerpunktsetzungen. Wird der Kurs der Kommission breit getragen?

McAllister: Das Europäische Parlament tut sich schwer mit den vorgeschlagenen Kürzungen etwa bei Kultur, Digital-Investitionen und beim Grenzschutz. Hier wird wohl noch nachgelegt werden müssen. Auf der anderen Seite pochen wir auf den Rechtsstaatsmechanismus: EU-Gelder soll es nur dann geben dürfen, wenn Mitgliedstaaten auch die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gewährleisten. Hier sind derzeit vor allem Polen und Ungarn im Blick, aber sie sind nicht die einzigen, die sich auf einem kritischen Weg befinden.

Rundblick: Wo liegen die Probleme bei der Umsetzung dieser Forderung?

McAllister: Der EU-Haushalt, der Recovery-Fund und der Rechtsstaatsmechanismus sind für das Europäische Parlament miteinander verknüpft. Im Rat, dem Gremium der EU-Mitgliedstaaten, stehen aber Polen und Ungarn auf dem Standpunkt, eine Verständigung bei Finanzfragen gelinge nur, wenn die Rechtsstaatsfrage ausgeklammert bleibt. Das Ziel ist, dass unter der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, also bis Jahresende, ein Durchbruch gelingt. Aber wie soll das geschehen? Ein Anfang wäre, die Beurteilung der Rechtsstaatssituation in den einzelnen Ländern zu entpolitisieren, also von Fachleuten objektiv bewerten zu lassen und nicht parteipolitisch gefärbt zu diskutieren. Diese Aufrechnung muss aufhören – zugunsten einer sachlichen Behandlung des Themas.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban sollte endlich aufhören, sich als angeblich „wahren Erbe Helmut Kohls“ zu bezeichnen. Er ist es nicht!

Rundblick: Wenn Viktor Orban von einer „illiberalen Demokratie“ redet, also einer Volksherrschaft ohne Rechtsstaat, in dem jeder einzelne seine Rechte gegen den Staat einklagen kann, gehört er dann noch zur christdemokratischen Parteienfamilien in Europa?

McAllister: Wir haben die Mitgliedschaft von Orbans Partei „Fidesz“ in der EVP suspendiert. Die Abstimmung über den endgültigen Ausschluss aus der Partei konnte formal bislang nicht geschehen, weil physische Treffen wegen den Corona-Beschränkungen unmöglich sind. Ja, sie sind noch in unserer Fraktion – können aber nicht mehr für Leitungsfunktionen kandidieren. „Fidesz“ nimmt an der Willensbildung der EVP nicht mehr teil. Viele in der EVP würden den Trennungsstrich gern noch deutlicher ziehen, andere aber warnen davor. Für mich ist klar, dass ein Politikmodell wie das von Herrn Orban nicht zu uns passt. Außerdem sollte der ungarische Ministerpräsident endlich aufhören, sich als angeblich „wahren Erbe Helmut Kohls“ zu bezeichnen. Er ist es nicht!