Es ist noch nicht lange her, da ruhten auf der Vier-Tage-Woche große Hoffnungen. Arbeitnehmer könnten auf diese Weise endlich Erwerbs- und Sorgearbeit miteinander vereinbaren, glaubten viele. Inzwischen wirkt das aus der Zeit gefallen. Die IG Metall-Vorsitzende Christiane Benner ist in einem Interview mit der Bild-Zeitung von der Forderung abgerückt. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte der Idee bereits in seiner ersten Regierungserklärung eine Absage erteilt. „Mit Vier-Tage-Woche und Work-Life-Balance werden wir den Wohlstand dieses Landes nicht erhalten können“, sagte er. Aber in Niedersachsen gibt es auch Unternehmen, die an der Vier-Tage-Woche festhalten. Die Sozialstation des DRK in Seelze hatte dieses Arbeitszeitmodell seit 2023 in der ambulanten Pflege getestet (der Rundblick berichtete) und den Modellversuch 2024 verlängert. Ausgeweitet auf andere Sozialstationen hat der Träger ihn bisher allerdings nicht.

„Wir arbeiten daran“, sagt Berthold Klein-Schmeink, Geschäftsführer der gemeinnützigen DRK Pflegedienste Hannover gGmbH. „Es funktioniert aber nur, wenn es finanzierbar ist.“ Im Rahmen der „Konzertierten Aktion Pflege Niedersachsen“ (KAP.NI 2) fördern die Pflegekassen das Experiment, indem sie die erhöhten Personalkosten übernehmen. Denn für die DRK-Beschäftigten bedeutet das Modell eine faktische Lohnerhöhung von 7,5 Prozent. „2023 war die Hoffnung, dass man das durch eine Reduzierung der Krankentage refinanzieren könnte“, berichtet Klein-Schmeink. In der Pflege ist der Krankenstand außerordentlich hoch: Im Schnitt fehlten Pflegekräfte im Jahr 2024 fast 30 Tage bei der Arbeit, ergab gerade eine Auswertung der Techniker-Krankenkasse. Zwar sei der Krankenstand in Seelze zurückgegangen, doch zeige sich dieser Effekt auch in anderen Stationen. Ein Zusammenhang mit der Vier-Tage-Woche ist unklar. Überwiegend, ergab eine Befragung des Teams, finden die Pflegekräfte das Modell „super“. Doch für diejenigen, die mehr als 30 Wochenstunden arbeiten und nun Neun-Stunden-Tage bewältigen müssen, wird es schwierig, das mit den Betreuungszeiten ihrer Kinder zu vereinbaren. Das Fazit des Geschäftsführers: „Wir müssen stärker die Lebensphasen in den Blick nehmen.“ Gemeinsam mit dem Betriebsrat hat er dazu eine Strategie entwickelt, in der die Vier-Tage-Woche ein Baustein unter mehreren ist. Dazu gehört auch eine Betriebsvereinbarung, nach der Pflegekräfte, die spontan einspringen und einen Vertretungsdienst übernehmen, eine Prämie erhalten. Durch diese Flexibilität sorgen sie dafür, dass der Dienstplan für die Mehrheit ihrer Kollegen verlässlich bleibt. Außerdem gehört zu der Strategie, dass Kinderbetreuung in „Randzeiten“ bezuschusst wird und Mitarbeiter, die auch privat Angehörige pflegen, eine Beratung in Anspruch nehmen können. Ein Erfolg der Strategie zeige sich bereits, sagt Klein-Schmeink: „Es gibt einen Aufwuchs an Bewerbungen.“ Anstelle des Reizwortes „Work-Life-Balance“ spricht er lieber von „Zeit-Souveränität“: Planbarkeit von Job und Privatleben sei für sein Team das Wichtigste. „Dafür müssen wir individuelle Modelle finden.“
Aus der Wissenschaft erhält er Rückendeckung. Auch Ute Klammer, Professorin für Sozialpolitik an der Universität Duisburg-Essen und Mitglied im Sozialbeirat der Bundesregierung, meint: „Auf individuelle Wünsche und Lebensphasen einzugehen ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Sie stellte ihre Erkenntnisse zur Vier-Tage-Woche auf einer Online-Veranstaltung der Industrie- und Handelskammern in Niedersachsen vor. Der spärliche Besuch der Veranstaltung – 16 Teilnehmer, Mitwirkende schon eingeschlossen – ließ ahnen, wie sehr das Thema an Akzeptanz verloren hat. Klammer zeigte auch Nachteile der Vier-Tage-Woche auf: Die „verordnete Produktivitätssteigerung“ wolle nicht jeder. Es gebe Hinweise, dass die Arbeitsverdichtung zu mehr Unfällen führt. Individualisierte Arbeitszeitmodelle müssen laut der Expertin auch möglich machen, dass jemand in einer bestimmten Lebensphase viel arbeitet, um zum Beispiel ein Haus zu finanzieren. Der Unternehmer Patrick Beier, Sachverständiger für Immobilienbewertung in Stade, ist hingegen überzeugt von dem Modell Vier-Tage-Woche: „Die 25-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich einzuführen war in 23 Jahren meine beste unternehmerische Entscheidung“, sagte er. Seine Mitarbeiter seien seltener krank, motivierter zu Fortbildungen und entspannter. Es habe eine Produktivitätssteigerung von rund 15 bis 20 Prozent gegeben. „Man braucht Menschen, die den Mut haben, etwas auszuprobieren und eventuell zu scheitern“, schlussfolgert er. „Am Ende des Tages hat man trotzdem etwas gelernt.“