Die Verwirrung der vergangenen Tage in der Corona-Politik lässt sich kaum steigern, und auch Staatskanzleichef Jörg Mielke, der am Donnerstag im Sozialausschuss des Landtags über die aktuelle Lage informierte, räumte unumwunden ein: „Die Ereignisse dieser Woche sind extrem schädlich für das Vertrauen in die Politik“. Mit den besten Absichten, den Menschen einen Osterurlaub im eigenen Land zu gestatten, war Ministerpräsident Stephan Weil am Montag in die Ministerpräsidentenkonferenz gegangen. In der Nacht zu Dienstag kam er um 3 Uhr heraus mit der Überzeugung, genau der gegenteilige Weg sei richtig – nämlich eine massive Kontaktbeschränkung, sogar eine allgemeine Arbeitspause am Gründonnerstag. Einen Tag später dann, am Mittwoch, leitete Kanzlerin Angela Merkel die Kehrtwende ein und stoppte den Plan, aus rechtlichen Gründen. Am gestrigen Donnerstag arbeitete die Landesregierung den ganzen Tag an einer neuen Corona-Verordnung. Auch sie hat jetzt zum Ziel, die Corona-Auflagen noch zu verschärfen statt zu lockern.

Nächtliche Ruhe: Ausgangssperre von 21 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. – Foto: nkw

Über allem kreist nun seit Tagen eine wichtige Frage: Wird es häufiger als bisher in Niedersachsen eine „Ausgangssperre“ geben – also eine Regel, wonach die Menschen ihre Wohnungen nur aus triftigem Grund (Weg zur Arbeit, zum Einkaufen des täglichen Bedarfs oder zum Arzt) verlassen dürfen? Das gab es bisher hierzulande nicht. Vereinzelt wurde in Kreisen zwar eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, also etwa zwischen 21 Uhr abends und 5 Uhr früh. Das waren aber Einzelfälle, und die Linie von Ministerpräsident Weil war auch immer, einer solchen radikalen Freiheitsbeschränkung sehr skeptisch gegenüber zu stehen. Inzwischen aber setzt offenbar ein Wandel ein.

Man muss schon wichtige Gründe haben, wenn man nach der Abwägung diesen Weg nicht einschlägt.

Mielke sagte zwar, man werde die Vorgabe vorsichtig formulieren und darauf hinweisen, dass die Kommunen die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs prüfen müssten. Das geschehe mit Rücksicht darauf, dass die Verordnung vor Gericht angegriffen werden könne. Im Grunde sei die Absicht aber klar: Wenn die Inzidenz in einem Kreis über 100 steigt, kann die Kommune künftig über Ausgangssperren dagegen agieren. Steigt sie über 150, soll der Kreis das tun – womöglich aber auch nur begrenzt auf einen Teil der Kreisfläche. „Unter Juristen ist aber klar, was ,soll‘ in diesem Zusammenhang heißt“, erklärte Mielke: „Man muss schon wichtige Gründe haben, wenn man nach der Abwägung diesen Weg nicht einschlägt.“

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Klar sei nämlich, so der Staatskanzleichef Mielke, dass sowohl die Bundesregierung wie auch die Bundesländer sich einig seien: Bei hohen Inzidenzen, also über 100, müssen die Kommunen weitere Schritte einleiten, die Kontakte zu verringern. Das Verbot, mehr als fünf Personen aus einem weiteren Haushalt zu treffen, gilt ohnehin, es ist bei einer Inzidenz über 100 sogar auf mehr als eine Person begrenzt. Ansammlungsverbote gelten auch. Die nächtliche Ausgangssperre, die abendliche Treffen in geselligen Kreisen unterbinden soll, wäre jetzt insofern ein neues Mittel, als sie vermutlich häufiger und großflächiger eingesetzt werden dürfte als bislang.

In der Ministerpräsidentenkonferenz, berichtete Mielke, hätten einige Experten sogar zu einer bundesweiten, bis zu drei Wochen andauernden Ausgangssperre den ganzen Tag über geraten – so wie in Spanien, Frankreich oder in den Niederlanden. Als Kompromiss sei dann die „Osterruhe“ herausgekommen, die dann aber nach näherer Prüfung rechtlich fragwürdig erschien. Tatsächlich, so betonte Mielke, sähen Mobilitätsforscher in der Ausgangssperre deutliche Effekte zur Eindämmung des Virus. Kritiker wie Stefan Birkner (FDP) bestreiten das.

Modellkommunen: In 25 ausgewählten Städten soll vom 6. April an das Tübinger Modell erprobt werden: Menschen lassen sich testen, bei negativem Ergebnis bekommen sie einen Pass und dürfen in bestimmten Arealen einer Stadt Gaststätten, Einzelhandelsgeschäfte und Kultureinrichtungen besuchen. Dabei müssen sie aber ihr Testergebnis per App an die Gesundheitsämter übermitteln, das Land will hier die Basis schaffen und bei der Luca-App mitwirken, die schon in einigen Ländern angewandt wird. Erst war davon die Rede, je Gesundheitsamt eine Stadt auszuwählen – dann hätten die Landkreise die Auswahl treffen müssen. Jetzt ist von 25 Städten unterschiedlicher Größenordnung und Inzidenz-Zahl die Rede. „Wir wollen testen, ob eine solche Öffnung ohne Einfluss auf das Infektionsgeschehen bleibt“, berichtete Mielke. Tatsächlich gibt es viel mehr Wünsche für die Teilnahme als die zur Verfügung stehenden 25 Modell-Orte.

Ministerpräsidentenkonferenz: Mielke kritisierte, dass sich in den Ministerpräsidentenkonferenzen der Trend zu mehr offenen und spontanen Diskussionen und Beschlüssen zeige. Das führe dazu, dass neue Vorschläge nicht zuvor gründlich juristisch geprüft würden. „Die Ergebnisse leiden unter mangelhafter Vorbereitung, bei der Osterruhe ist das deutlich geworden.“ Stefan Birkner (FDP) beklagte, dass die Ministerpräsidentenkonferenzen intern tagen, ebenso der Koalitionsausschuss in Niedersachsen und die Sitzungen der Landesregierung. Da der Landtag nicht über die Rechtsetzungen abstimme, müssten die Regierungsfraktionen nicht Farbe bekennen zu den Inhalten der Corona-Verordnungen. Im Ergebnis entstehe ein merkwürdiges Nebeneinander, wenn etwa der Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann für ein Abweichen von den Inzidenzwerten als Maßstab werbe, der Ministerpräsident Weil widerspreche und der Streit nicht produktiv und offen ausgetragen werde. „Bisher hat sich Althusmann offensichtlich nicht durchsetzen können“, betonte Birkner.

Pflicht-Tests für Schüler jeden Tag? Die FDP schlägt vor, dass jeder Schüler täglich zuhause vor Schulbeginn einen Corona-Test machen soll – und das Ergebnis tagesaktuell (neben einer täglich neuen Code-Nummer) der Schule übermittelt. Einen absoluten Schutz vor Manipulation gebe es nicht, aber dieser Weg sei sinnvoll, damit alle Schüler wieder die Schule besuchen könnten. Außerdem empfiehlt die FDP für den Klassenlehrer zwei Verfügungsstunden wöchentlich, die dazu dienen könnten, versäumten Stoff nachzuholen. „Manche Schüler sind jetzt schon sechs Monate lang nicht in der Schule gewesen. Sie bekommen über den Distanzunterricht nur einen Bruchteil dessen mit, was sie eigentlich wissen müssen“, sagt der FDP-Bildungsexperte Björn Försterling. Wenn man die Schüler eine Klasse wiederholen lasse, überfordere dies das Bildungssystem – da gar nicht genügend Lehrer vorhanden seien, dies für eine größere Anzahl von Schülern zu leisten.

Unternehmen haben Tests geordert: Was das Ziel angeht, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter regelmäßig auf Corona testen lassen sollen, berichtete Claudia Schröder vom Krisenstab über erste Zahlen: Die Hälfte Firmen, die in Verbänden organisiert sind, hätten schon Tests für ihre Belegschaft organisiert, 25 Prozent arbeiteten an entsprechenden Konzeptionen. (kw)