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Mit etwas Zeitverzögerung zeigte der Shutdown Wirkung. Am 27. März erreichten die Corona-Neuinfektionen in Niedersachsen ihren Höhepunkt, 449 neue Fälle wurden an dem Tag gemeldet. Danach änderte sich der Trend, die Zahlen gingen nach und nach zurück. Ab Anfang April hat man deshalb langsam darüber nachgedacht, wie man die Lockerungen angehen könnte. Die Landesregierung entwickelte einen Stufenplan – zurück zu einer neuen Normalität. „Niedersachsen hat den Anlauf genommen, weiter in die Zukunft zu schauen“, sagt Pulz lobend. Dabei seien die einzelnen Stufen des Lockerungsplans allerdings nicht rein medizinisch begründet, „denn wir haben ja keine Blaupause“, gesteht der NLGA-Präsident ein. Das Vorgehen sei eine Mischung gewesen aus neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und dem politischen Wunsch, das öffentliche Leben wieder möglich zu machen – ein „Sich-Rantasten“.
Es war jetzt nicht die Zeit, Studien zu machen und zum Beispiel die Länder zu vergleichen. Ich halte es ohnehin nicht für möglich, in diesem Fall Bundesländer miteinander zu vergleichen.
Ein kleinteiligeres Vorgehen hätte dem Wissenschaftler Pulz zwar besser gefallen, denn dann wäre deutlich geworden, welchen Effekt eine Maßnahme erzielt. Doch dann hätte der Prozess Monate gedauert und viel mehr Unverständnis ausgelöst, meint er. „Es war jetzt nicht die Zeit, Studien zu machen und zum Beispiel die Länder zu vergleichen. Ich halte es ohnehin nicht für möglich, in diesem Fall Bundesländer miteinander zu vergleichen.“ Sicher ließe sich feststellen, dass es in den neuen Bundesländern weniger Infektionen gebe, dass Bayern und Baden-Württemberg stärker betroffen waren. Daraus könne man dann etwa ableiten, dass der Reiseverkehr ein anderer sei, die Bevölkerungsstruktur auch. „Doch welche Konsequenzen zieht man dann aus diesen Erkenntnissen?“https://www.youtube.com/watch?v=dZMqlV7UCNsVon Mai bis Juli befand sich Niedersachsen in einer neuen Phase der Corona-Pandemie. „Ruhiges Fahrwasser“ nennt Pulz diese Zeit. Immer mehr Landkreise meldeten keine oder nur noch sehr wenige Neuinfektionen. Allerdings traten in dieser Phase die ersten Hotspots auf: in Pflege- und Altenheimen, in Schlachtbetrieben, bei einem Paketzusteller, im Umfeld einer unerlaubten Feier oder in einem Hochhaus in Göttingen. Die Ausbrüche waren heftig aber immerhin klar zu lokalisieren, durch konsequente Nachverfolgung ließ sich das Infektionsgeschehen jeweils eindämmen. Im Juli schien die Sache erledigt, hätte man meinen können.Doch dann, ab August, kam die nächste Phase der Corona-Pandemie: Während der Sommermonate sind zahlreiche Menschen in den Urlaub gefahren, teilweise in Regionen, die später wieder zu Risikogebieten erklärt werden mussten, mancherorts wurden die Corona-Regeln nicht so streng gehandhabt, wie es wohl notwendig gewesen wäre. Die täglichen Neuinfektionen stiegen in Niedersachsen wieder über 100. NLGA-Präsident Pulz merkt an, dass sich in dieser neuen Phase das Altersspektrum derjenigen gewandelt hat, die sich mit dem Virus ansteckten. Waren es in den ersten Monaten der Pandemie vor allem ältere, die krank wurden und sogar in der Klinik behandelt werden mussten, stieg nun gerade die Zahl der jüngeren Menschen mit einer Corona-Infektion.Wir wissen an vielen Stellen nicht so viel, wie wir uns das wünschen.
Und wie geht es nun weiter? Zunächst beginnt mit dem Herbst nun die Jahreshälfte, die eine größere Herausforderung werden könnte. Die Erkältungssaison steht bevor, bald wird es weniger Aktivitäten geben, mit denen man an die frische Luft ausweichen kann. „Wir gehen davon aus, dass wir bis ins neue Jahr hinein lernen müssen, mit den Abstandsregeln zu leben“, prognostiziert Pulz. Die großen Erwartungen an Antikörpertests zur Bewertung der Immunität nach durchgemachter Infektion konnten bislang nicht erfüllt werden. Eine Durchimmunisierung aufgrund des Umstands, dass Menschen nach einer Infektion eine individuelle Immunität aufgebaut haben, gibt es nicht. Im ersten Quartal des nächsten Jahres, mutmaßt der NLGA-Präsident, wird es womöglich die ersten Impfungen geben. Doch es werde keine Hauruck-Maßnahme geben, nur peu à peu wird die Impfung möglich sein.„Wir wissen an vielen Stellen nicht so viel, wie wir uns das wünschen“, bekennt Pulz nach Monaten der Beschäftigung mit dem neuen Virus. Wie lange hält eine Immunität nach einer überstandenen Infektion an? Wie wird die Impfung wirken? Muss es womöglich zwei Impfungen geben? Viele offene Fragen. Der NLGA-Präsident geht davon aus, dass bis zur Mitte des nächsten Jahres noch mit Einschränkungen gerechnet werden muss. „Wir müssen jetzt Geduld haben.“Von Niklas Kleinwächter