„Krötenschlucken“ auf beiden Seiten beendet Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie
Der Tarifstreit in der Metall- und Elektroindustrie (M+E) ist beigelegt. Im baden-württembergischen Ludwigsburg haben Arbeitgeber und Gewerkschaft in der Nacht zu Freitag eine Einigung erzielt, die als Pilotabschluss auch für Niedersachsen und die restliche Bundesrepublik wirksam werden soll. Vereinbart wurde eine Erhöhung der Entgelttabellen in zwei Stufen: um 5,2 Prozent zum 1. Juni 2023 und um 3,3 Prozent zum 1. Mai 2024. Hinzu kommt eine steuerfreie Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 3.000 Euro, die in zwei Tranchen ausgezahlt werden soll. „Wir haben sicherlich die eine oder andere Kröte geschluckt, aber auch das Gefühl gehabt, dass auch die anderen nicht ganz ohne Krötenschlucken wegkamen“, kommentiert Arbeitgeber-Verhandlungsführer Harald Marquardt von Südwest-Metall das Ergebnis. Der Hauptgeschäftsführer des bayrischen M+E-Verbands, Bertram Brossardt, lässt allerdings durchblicken, dass der „gerade noch tragfähige Kompromiss“ den Unternehmern größere Halsschmerzen bereitet als den Gewerkschaftlern. „Der Abschluss ist teuer und die Entgelterhöhung geht an die Schmerzgrenze und zum Teil auch darüber hinaus“, meint Brossardt.
„Der neue Tarifvertrag ist ein hart errungener Kompromiss in einer schweren Zeit. Für viele Unternehmen wird es eine große Herausforderung, diese Beschlüsse zu verkraften“, sagt Niedersachsen-Metall-Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt. Positiv bewertet er jedoch die lange Laufzeit von 24 Monaten, die den Unternehmen langfristige Planbarkeit gibt. Zudem hätten die Arbeitgeber eine ihrer Kernforderungen durchgesetzt: Unternehmen in schwieriger Wirtschaftslage können in Einklang mit den jeweiligen betrieblichen Vereinbarungen einzelne Teile der Lohnerhöhungen verschieben oder streichen. Differenzierungsmöglichkeiten gibt es sowohl beim Inflationsausgleich als auch bei dem seit 2018 bestehenden Transformationsgeld (T-Zug B). „Dieser Tarifabschluss enthält die Hoffnung, dass es mit unserer Wirtschaft schon ab dem nächsten Jahr wieder aufwärts geht“, sagt Schmidt. Am Freitag wird er sich mit IG-Metall-Bezirksleiter Thorsten Gröger in Hannover treffen, um die Tarifeinigung auch für Niedersachsen zu übernehmen. „In historisch schwierigen Zeiten ist es uns gelungen, eine tragfähige Tarifübereinkunft zu erzielen. Dem Ziel, die Kaufkraft und das Einkommen zu stabilisieren, wird damit Rechnung getragen“, lobt Gröger den Abschluss. Der Kompromiss alleine könne angesichts der Rekordinflation zwar keinen Reallohnverlust der Beschäftigten verhindern. „Im Zusammenspiel mit den von Politik beschlossenen Maßnahmen und Entlastungspaketen ergibt sich jetzt ein starkes Gesamtbündel, mit dem kraftvoll der Geldentwertung begegnet werden kann“, so Gröger.
IG Metall droht Volkswagen mit Streik
Die Verhandlungen für den Haustarif für die etwa 125.000 Beschäftigten an den sechs westdeutschen Standorten der Volkswagen AG (Braunschweig, Emden, Hannover, Kassel, Salzgitter, Wolfsburg) sowie bei diversen Konzerntochterfirmen geht bereits am Dienstag weiter. Erstmals soll der niedersächsische Tarifabschluss auch für die VW Sachsen GmbH mit den Werken in Chemnitz, Dresden und Zwickau übernommen werden. Mit Blick auf das gute erste Halbjahr 2022, in dem der Konzern einen Gewinn von 10,6 Milliarden Euro nach Steuern vorweisen konnte, sind die Ansprüche der VW-Beschäftigten höher als in der übrigen Branche. IG Metall-Verhandlungsführer Gröger und die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo fordern neben der Tarifentgelterhöhung auch eine Verlängerung des Tarifvertrages über die Altersteilzeit, mehr freie Tage für IG-Metall-Mitglieder (8 statt 6) und die Übernahme der Semesterbeiträge für alle Dualstudierende durch Direktzahlung an die Hochschulen. Die Friedenspflicht im VW-Haustarif läuft am 30. November 2022 aus. Ab dem 1. Dezember sind Warnstreiks bei Volkswagen möglich.
Dieser Artikel erschien am 21.11.2022 in der Ausgabe #206.
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