19. Feb. 2024 · 
Landwirtschaft

Kommt die Ausnahme für Brachflächen? Niedersachsens Bauern warten auf Berlin

Niedersachsens Landwirte warten wieder einmal mit Spannung auf eine Entscheidung aus Berlin: Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) denkt dieser Tage darüber nach, ob er die Ausnahme von der EU-Brachflächenregelung auch in Deutschland umsetzen möchte – oder doch lieber nicht. Am vergangenen Dienstag hatte die EU-Kommission nach Rücksprache mit den 27 Mitgliedstaaten eine entsprechende Verordnung angenommen. Innerhalb von 15 Tagen müssen die Nationalstaaten nun anzeigen, ob sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wollen. Die Brüsseler Behörde reagiert damit auf massive Bauernproteste in mehreren EU-Staaten. „Nur, wenn unsere Landwirte von ihrem Land leben können, werden sie in die Zukunft investieren. Und nur wenn wir unsere Klima- und Umweltziele gemeinsam erreichen, können die Landwirte auch weiterhin leben“, erklärte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU).

Konkret geht es bei dem Vorschlag um eine begrenzte Ausnahme von den Umwelt- und Klimaschutzauflagen der gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP). Möchte ein Landwirte an der europäischen Agrarförderung partizipieren, muss er von vornherein neun Vorgaben zum Schutz von Umwelt und Klima befolgen. Einer dieser sogenannten „Glöz“-Standards („guter landwirtschaftlicher und ökologischer Zustand“) soll nun vorübergehend ausgesetzt werden: die Nicht-Bewirtschaftung von vier Prozent der Agrarfläche, wozu neben Brachflächen auch Hecken und Bäume gezählt werden. Ausgenommen von dieser Regelung sind bereits jetzt solche Betriebe mit einer Fläche von weniger als zehn Hektar Ackerland. Die EU bietet den Mitgliedstaaten nun die Option an, diese Ausnahme rückwirkend für das gesamte Jahr 2024 auf alle Landwirte auszuweiten. Die Bauern sollen auf diese Weise ihren Gewinn steigern, um etwa mit den gestiegenen Energiekosten besser umgehen zu können. Gänzlich auf Auflagen verzichten will die EU-Kommission aber auch nicht. Sie besteht darauf, noch immer die Entlastung der Landwirte und den Schutz der biologischen Vielfalt sowie der Bodenqualität fein austariert zu haben. So soll der besagte Glöz-8-Standard künftig auch dann noch als erfüllt angesehen werden, wenn auf den eigentlich stillgelegten Flächen nun stickstoffbindende Pflanzen wie Linsen oder Erbsen oder aber Zwischenfrüchte ohne Pflanzenschutzmittel angebaut werden.

„Panik war noch nie ein guter Ratgeber, erst recht nicht, wo Betriebe auf längerfristige Planungssicherheit angewiesen sind.“

Der Plan der EU-Kommission rief in Deutschland unterschiedliche Reaktionen hervor. Bundesagrarminister Özdemir hatte sich zuerst zustimmend zum EU-Vorschlag positioniert, äußerte sich dann aber nach einer Überarbeitung des Kommissionvorschlags deutlich kritischer. Die Kommission sei wieder einmal über das Ziel hinausgeschossen, rügte er und monierte einen Zick-zack-Kurs der Brüsseler Behörde. „Panik war noch nie ein guter Ratgeber, erst recht nicht, wo Betriebe auf längerfristige Planungssicherheit angewiesen sind“, sagte er noch am 9. Februar, nachdem der veränderte Vorschlag der Kommission keine qualifizierte Mehrheit erhalten hatte. Der Naturschutzbund (Nabu) Niedersachsen appelliert in einer Stellungnahme an die politischen Entscheidungsträger auf Bundesebene, im Sinne des Natur- und Artenschutzes an den Stilllegungsflächen festzuhalten. Nabu-Landeschef Holger Buschmann riet dem Bundesagrarminister, standhaft zu bleiben und nicht vor Trecker-Protesten einzuknicken. Die Brachflächen seien „enorm wichtige Lebensräume für viele Tier- und Pflanzenarten und vor allem in einem landwirtschaftlich geprägten Land wie Niedersachsen dringend notwendig, um dem Artensterben im Offenland entgegenzuwirken.“

„Die Ausnahmeregelung bedeutet für die Landwirte mehr Praktikabilität und eine deutliche Vereinfachung.“

Kritisch kommentierte Albert Stegemann, CDU-Bundestagsabgeordneter aus dem Wahlkreis Mittelems, das Zögern Özdemirs: „Die Ausnahmeregelung bedeutet für die Landwirte mehr Praktikabilität und eine deutliche Vereinfachung.“ Er forderte die Bundesregierung auf, den EU-Vorschlag Eins-zu-Eins umzusetzen und sich damit hinter die Landwirte zu stellen. Der FDP-Europaabgeordnete Jan-Christoph Oetjen und seine Landes-Generalsekretärin Imke Haake sprachen sich ebenfalls für eine Umsetzung der EU-Regelung in Deutschland aus. „Angesichts der schwierigen Lage, in welcher sich die Landwirte in Europa derzeit befinden, wäre eine grüne Blockadehaltung ein Schlag ins Gesicht“, sagten die FDP-Politiker in einer gemeinsamen Presseerklärung. Sie gehen allerdings noch weiter und fordern, die Flächenstilllegung dauerhaft auszusetzen, damit die Ernährungssicherheit langfristig gewährleistet werde. Angesichts von Kriegen und Krisenszenarien käme dem „Gunststandort Niedersachsen“ eine besondere Bedeutung bei der Ernährung der Welt zu.



Der niedersächsische Landesbauernverband pocht auf die komplette Umsetzung der erleichterten Stilllegungspflicht und verweist auf den europäischen Wettbewerb, bei dem die deutschen Landwirte abgehängt würden, sollten hierzulande andere Regeln gelten als EU-weit. Zudem erinnert der Landvolk-Vorstand an die Zeit: Die Landwirte bräuchten rasch eine Entscheidung, weil die Betriebe mitten im Anbaujahr steckten. Johannes Schürbrock, beim Landesbauernverband für Strukturpolitik zuständig, formulierte allerdings auch einen Mittelweg: „Ich kann mir als Kompromiss gut vorstellen, den betrieblichen Deckel bei den Ökoregelungen für zusätzliche Stilllegungs- und Blühflächen zu lockern und die Prämien anzuheben, um Betriebe zur Teilnahme zu motivieren“, sagte er dem Landvolk-Pressedienst.

Dieser Artikel erschien am 20.2.2024 in Ausgabe #032.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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