Seit Jahresbeginn gelten in den deutschen Krankenhäusern neue Vorschriften. In der Intensivmedizin, der Geriatrie, der Kardiologie und in der Unfallchirurgie müssen mindestens zwei Pflegekräfte für fünf Patienten anwesend sein. Mit dieser Vorgabe will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sicherstellen, dass die Kranken eine angemessene Behandlung erfahren. Ist das nun ein sinnvoller Schritt oder ein weiteres bürokratisches Monster, das den Bediensteten in der Medizin ihre Arbeit noch erschwert? Die Rundblick-Redaktion bietet dazu ein Pro und Contra.

Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum – Foto: DqM

PRO: Die Quote mag populär sein. In Wirklichkeit ist sie Populismus ohne Substanz. Die großen Probleme in der Pflege lassen sich nicht mit einer Quote lösen, meint Martin Brüning.

Eine Quote impliziert immer den Wunsch nach einer bestimmten Entwicklung. So ist es auch in der Debatte um die Frauenquote in Parlamenten. So wünschenswert ein Frauenanteil von 50 Prozent in allen Parlamenten wäre, so schwierig dürfte er in der Praxis umzusetzen sein. Wenn sich in den Ortsvorstandssitzungen vieler Parteien vor allem Männer treffen, wird die Suche nach geeigneten Kandidatinnen häufig mühsam, teilweise vielleicht sogar unmöglich. Bei nicht wenigen Kommunalparlamenten suchen die Parteien inzwischen verzweifelt nach Kandidaten – egal ob weiblich, männlich oder divers. Einfach eine Quote auf ein Blatt Papier zu schreiben, ist deshalb einfach. Die Umsetzung in der Praxis ist damit noch nicht garantiert.

In vielen Kliniken gibt es inzwischen eine Pflegesituation, die einem der reichsten Länder der Welt nicht würdig ist und eine bedenkliche Respektlosigkeit gegenüber Alten und Schwachen offenbart.

Gegen die Pflege-Untergrenzen in Kliniken könnte die Umsetzung einer Frauenquote im Landtag allerdings zu einem Spaziergang werden. Während nahezu jede Frau im Land zumindest in der Theorie für den Landtag kandidieren kann, fehlt es in der Pflege schlicht und einfach an Personal. Die Lage ist dramatisch. Laut der Gewerkschaft Verdi fehlen in deutschen Krankenhäusern inzwischen rund 80.000 Pflegekräfte. Die Fachkräftelücke in Heimen und Pflegediensten kommt sogar noch hinzu. Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass bis zum Jahr 2035 in der Pflege eine halbe Million Vollzeitkräfte fehlen könnten. Schon seit Jahren sind die Pflege-Mängel in den Kliniken offensichtlich. Patienten werden in den Betten vergessen, Angehörige müssen inzwischen in der Regel mitanpacken. Wem keine Angehörigen helfen können, hat im Krankenhaus oftmals schlechte Karte. In vielen Kliniken gibt es inzwischen eine Pflegesituation, die einem der reichsten Länder der Welt nicht würdig ist und eine bedenkliche Respektlosigkeit gegenüber Alten und Schwachen offenbart.

Wer trägt die Schuld? Es ist auf jeden Fall nicht das Pflegepersonal, dass sich aufopferungsvoll um (zu) viele Menschen kümmert und dabei täglich gegen die Uhr kämpfen muss. Es sind nicht unbedingt die Kliniken, die eben nicht in einem freien Wettbewerb agieren, sondern das Geld nach politischen Kriterien zugewiesen bekommen. Schuld trägt aber auch nicht allein die Politik, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zum Teil falsche Entscheidungen getroffen hat, die zu der Situation geführt haben. Das Problem ist in der gesamten Gesellschaft verankert, die gerne die Situation in der Pflege beklagt und sich mehr Geld für das Pflegepersonal wünscht, selbst aber nach wie vor nur in eine Art Teilkasko für die Pflege einbezahlt. „Die Menschen sind gut, bloß die Leute sind schlecht“, schrieb Kästner. Die guten Leute, die im Alter oder im Krankheitsfall anständig gepflegt werden wollen, werden nicht umhinkommen, diese Versorgung auch zu bezahlen. Der Politik ist vorzuwerfen, dass sie nicht den Mut hat, das offen auszusprechen. Den Wählern ist vorzuwerfen, dass sie die Politiker vermutlich abstrafen würden, die es ihnen einmal offen sagen.

Die Politik konterkariert sich mit der Quote selbst

Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Und keine Quote für weniger Brunnen wird jetzt helfen. Sie ist die einfachste Lösung mit der Schwierigkeit, dass sie gar keine Lösung beinhaltet. Sie impliziert, dass die Kliniken einfach nur ihrer Aufgabe nachkommen und mehr Personal einstellen müssen. Aber so leicht ist es nicht, wenn das Personal auf dem Markt gar nicht existiert. Zu allem Überfluss sollen auch noch die Daumenschrauben angezogen werden. Mit den angedrohten Vergütungskürzungen für Kliniken, die die Quote nicht einhalten, konterkariert die Politik sich selbst. Auf der einen Seite versucht sie krampfhaft, unattraktivere, kleinere Klinikstandorte zu erhalten (Beispiel Clausthal-Zellerfeld). Auf der anderen Seite will sie genau diese Standorte, die – zum Teil in unattraktiven lagen – auch die größten Schwierigkeiten haben werden, Personal zu gewinnen, auch noch abstrafen. Genau diese Häuser könnten dadurch in einen Teufelskreis geraten. Das ist nicht zu Ende gedacht.

Sinnvoller wäre es gewesen, die beschlossenen Maßnahmen erst einmal wirken zu lassen. Noch weiß niemand, ob mehr Geld, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine stärkere betriebliche Gesundheitsförderung mehr junge Menschen dazu bewegen werden, als Fachkraft in die Pflege zu gehen und, falls ja, ob es dennoch genügend junge Menschen sein werden. Zu viele Jahre wurden verplempert. Wenn der Plan nicht aufgeht, hilft auch die beste Quote nichts. Im Gegenteil: Der Wettbewerb nach unten dürfte sich fortsetzen, und er wird nicht zum Vorteil der Patienten ausgehen. Bis dahin ist Quote vielleicht populäre. In Wirklichkeit ist sie aber nur Populismus ohne Substanz.

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CONTRA: Doch, die Pflegeuntergrenzen sind sinnvoll. Wer sie dauerhaft nicht einhalten kann, muss überlegen, ob sein Krankenhaus noch den modernen Qualitätsstandards entspricht, meint Klaus Wallbaum.

Der Leiter des Städtischen Klinikums in Lüneburg, Michael Moormann, hat bereits ein drastisches Krisenszenario in den düstersten Farben gezeichnet – und das nicht mal eine Woche, nachdem die neue Vorgabe des Bundesgesundheitsministeriums auch in seinem Haus gilt: Was passiert, wenn die Personaluntergrenzen in der Pflege unterschritten werden? Was, wenn nicht mindestens zwei Pflegekräfte für fünf Patienten in den besonders sensiblen Bereichen des Krankenhauses anwesend sind? Dann müssten doch schwerkranke Patienten abgewiesen werden, würden in den Rettungswagen umher fahren auf der Suche nach einem Krankenhaus, das noch eine genügende Personalausstattung hat. Mit anderen Worten: Obwohl Betten frei wären in Lüneburg, müssten die Patienten dann bis nach Hamburg ausweichen, nur wegen einer im fernen Berlin festgelegten Quote. Das sei doch nicht richtig, folglich werde er die Quote ignorieren.

Schnell ist man in diesem Streit geneigt, den Krankenhauschefs Recht zu geben. Da versucht die Bundesregierung, die Kosten im Gesundheitsbereich zu drücken, und das auf Teufel komm raus. Auf der anderen Seite aber wird die Gesellschaft älter, die Medizin anspruchsvoller, der Fachkräftemangel größer – dann kostet eben alles mehr, heißt es gern und oft, dann muss man eben tiefer dafür in die Tasche greifen. Die Politiker in Niedersachsen bestärken diesen Eindruck noch, wenn sie stolz verkünden, endlich nach Jahren der übertriebenen Sparsamkeit mehr Geld für Krankenhausinvestitionen bereit stellen zu wollen. Aber ist das schon die ganze Geschichte? Nein, es ist nur eine von mehreren Blickrichtungen auf das Problem. Auf der anderen Seite ist festzuhalten, dass Deutschland im internationalen Vergleich nicht nur besonders viele Krankenhausbetten im Vergleich zur Einwohnerzahl hat, sondern auch noch viele Einweisungen in Krankenhäuser. In Niedersachsen gibt es 182 Kliniken – und die Hälfte davon zählt weniger als 200 Betten, kann also als klein gelten. Seit Jahren raten Fachleute wie der Gemeinsame Bundesausschuss, die Krankenhäuser sollten sich spezialisieren und darin eine Chance auf dauerhaften Bestand ausloten.

Die Untergrenzen für Pflegepersonal, die von der Bundesregierung entwickelt wurden, sind ein Beitrag, den blockierten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft voranzutreiben.

Die Wirklichkeit sieht eher anders aus: Die Spezialisierung bleibt aus oder schlägt nicht durch, die Konkurrenz am Markt nimmt zu – und die Kliniken reißen sich um Patienten, um überleben zu können. Dabei wären für viele Patienten moderne ambulante Stationen sehr viel sinnvoller als überalterte, um ihr Dasein kämpfende Krankenhäuser. Denn eines muss auch berücksichtigt werden, obwohl es in den kommunalpolitischen Debatten selten Gehör findet: Kleine Kliniken haben weniger Personal, also auch weniger Chancen, bei Personalnot an wichtigen Stellen Pflegekräfte aus anderen Stationen abziehen und vorübergehend dort einsetzen zu können. Das ist nur eines von vielen Problemen. Ein anderes betrifft das ärztliche Personal, das im Zweifel in einer größeren, mit moderneren Geräten ausgestatteten Klinik bessere Arbeitsbedingungen findet. So führt der Wettkampf der – viel zu vielen – kleinen Krankenhäuser zu Personalknappheiten und Sparpolitik an allen Ecken und Enden. Der Patient zieht am Ende den Kürzeren, da sein Risiko wächst, in einem kleinen und zu schlecht ausgestatteten Krankenhaus untergebracht zu werden. Die öffentliche Debatte aber blendet das aus, denn sobald über die Schließung einer kleinen und mittelfristig unrentablen Klinik diskutiert wird, geben die Standortpolitiker den Ton an. Ohne Krankenhaus vor Ort, heißt es, verliere die Stadt die Identität und eine Schwächung der Heimat sei die Folge. Was früher bei der Kreisverwaltung, dem Kaufhaus und dem Bundeswehr-Standort eingewandt wurde, wird jetzt mit Bezug auf die Klinik vorgetragen – oft in völliger Ausblendung der Frage, ob ein schon traditionelles Krankenhaus heute noch die Leistungsfähigkeit und Versorgungsqualität bieten kann wie vor 20 oder 30 Jahren.

Die Untergrenzen für Pflegepersonal, die von der Bundesregierung entwickelt wurden, sind ein Beitrag, den blockierten Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft voranzutreiben – ohne die Schließung bestimmter Häuser von oben zu verordnen. Das ist ein sinnvoller Beitrag, eine überfällige Reform voranzubringen. Bleibt zu hoffen, dass sie Erfolg haben.

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