Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Hannover, Christian Hinsch, warnt im Ausbildungsbereich vor einer zu großen Fokussierung auf akademische Abschlüsse. „Wir überhöhen die akademische Bildung – zum Beispiel in dem wir das Bildungsniveau allein an den Studentenzahlen messen. Wir haben aber gar keinen Akademikermangel, sondern einen Fachkräftemangel“, sagte Hinsch beim Jahresauftakt der IHK Hannover im Kuppelsaal des Hannover Congress Centrums. „Die Welt beneidet uns um unsere duale Berufsausbildung und schickt Delegationen nach Deutschland. Wir aber reden viel zu oft die berufliche Bildung schlecht.“

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Auszubildende seien gefragter denn je. Die Bilanz des Ausbildungsjahres 2016 nannte Hinsch ernüchternd. Mit knapp 10.000 Ausbildungsverträgen habe es im Vergleich zum Vorjahr ein Minus von 3,3 Prozent gegeben. „Bei weitem nicht alle angebotenen Ausbildungsplätze konnten besetzt werden“, so der IHK-Präsident. Die Wirtschaft müsse sich aber auch an die eigene Nase fassen, sie können schließlich selbst etwas tun. So versuche die IHK mit Ausbildungsbotschaftern direkt in den Schulen junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen. Zudem könnten gerade Unternehmer, die selbst ausbilden,  die Vorzüge einer Ausbildung authentisch und aktiv ansprechen. „Dadurch können wir auch mit der Mär aufräumen, dass nur ein akademisches Studium Zugang zu selbstbestimmten und attraktiv bezahlten Arbeitsplätzen bietet“, sagte Hinsch. Nachwuchssicherung sei ein Kernthema der wirtschaftlichen Entwicklung, sagte auch Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. Dabei habe es in den vergangenen Jahren in einer engen Zusammenarbeit zwischen Politik und Wirtschaft erkennbare Fortschritte gegeben. So sei zum Beispiel die Zahl der Schulabbrecher wesentlich gesunken. „Wir müssen dazu beitragen, dass mehr junge Leute noch in der Schulzeit ein Gefühl dafür bekommen, wo sie persönlich am besten aufgehoben sind.“ Niemand soll meinen, er müsse deswegen studieren, weil ihm nichts besseres einfalle.

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Die IHK Hannover richtete ihren Blick beim Jahresauftakt auch nach Großbritannien und in die USA. Der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Britischen Handelskammer in London, Ulrich Hoppe, sagte in seiner Rede, der Brexit sei für die deutsche Wirtschaft kein großes Problem, höchstens für einige Unternehmen. Der deutsche Handelsbilanzüberschuss mit Großbritannien liege bei 50 Milliarden Euro; das seien gerade einmal rund 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. „Wenn wir nicht mehr ganz so viel Handel mit Großbritannien betreiben, spielt das kaum eine Rolle“, so Hoppe. Das große Problem werde dagegen sein, dass der Brexit Europa handelspolitisch schwäche und dadurch ein Machtvakuum entstehe. „Dieses Vakuum wird von Ländern gefüllt, die nicht unbedingt unsere Werte teilen. Wir müssen uns deshalb weltwirtschaftlich mittelfristig auf unruhigere Zeiten einstellen.“

„Es wird sicherlich viele Überraschungen geben“, so stimmte Mark Tomkins, Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer in Chicago, die Gäste auf die anstehende US-Präsidentschaft Donald Trumps ein. Der Markt bleibe aber für deutsche Unternehmen attraktiv. „Die USA bleiben Wachstums- und Innovationstreiber“, sagte Tomkins. Er machte den Bedeutungsunterschied der Globalisierung für die USA und Deutschland deutlich. „In den USA liegt die Exportquote bei 12,5 Prozent, in Deutschland liegt die Quote knapp unter 50 Prozent. In den USA exportieren etwa 300.000 Unternehmen ins Ausland – es gibt aber 30 Millionen Unternehmen. Es ist nur ein winzig kleine Anzahl von Unternehmen, die auf dem Weltmarkt aktiv sind“, erläuterte Tomkins. Die Vorteile der Globalisierung seien deshalb deutlich weniger spürbar als in Deutschland und deshalb in den USA auch deutlich schwerer vermittelbar.

Der Wahlausgang in den USA, der Brexit und die Skepsis gegenüber Freihandelsabkommen haben laut IHK-Präsident Hinsch in der niedersächsischen Wirtschaft zu einer Verunsicherung geführt, so dass die eigentlich positiven Erwartungen abgeschwächt wurden. „Die Stimmung hat sich im Herbst merklich abgekühlt. Die Unternehmen haben vor allem ihre Exporterwartungen nach unten angepasst“, sagte Hinsch. Dennoch bliebe die gesamtwirtschaftliche Entwicklung positiv. Auch für dieses Jahr gehe man von einem moderaten Wachstum aus, im Wesentlichen getragen von der Nachfrage aus dem Inland.