So viel Prügel hat eine Bundesregierung bei einem Jahresauftakt der IHK Hannover schon lange nicht mehr bezogen. „Wir geben aktuell kein gutes Bild ab. Es ist eher ein Bild des Jammers“, stellte IHK-Präsident Gerhard Oppermann beim traditionell wichtigsten Neujahrsempfang der niedersächsischen Wirtschaft gestern im hannoverschen Congress-Centrum fest. Der Ampel-Koalition warf Oppermann gleich mehrere schwere Versäumnisse vor: Das Abschalten der Atomkraftwerke inmitten der Energiekrise bezeichnete er als „wirtschaftspolitischen Unfug“. Das Fehlen eines „Plan B“ nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil sei völlig unverständlich gewesen.

„Positiv ist, dass die Bundesregierung nicht den bequemen Weg über die Aussetzung der Schuldenbremse gehen wird. Trotzdem ist ein Konzept weiter nicht erkennbar, die Wirtschaft wird belastet – nicht zuletzt durch steigende Energiepreise“, kritisierte Oppermann. Der deutsche Staat habe zwar kein Einnahmeproblem, auf der Ausgabenseite müsse aber dringend eine Kurskorrektur mit neuer Prioritätensetzung her. „Die Bundesregierung muss sicherstellen, dass es neue Investitionsanreize gibt, statt immer neue Subventionen und Verbote zu erfinden“, forderte der IHK-Präsident und sagte: „Es geht um Verlässlichkeit, Transparenz und Berechenbarkeit. Der ,Doppel-Wumms‘ ist zum Querschläger geworden.“
Ministerpräsident Stephan Weil zog für das Jahr 2023 eine „magere Bilanz“. „Es ist eine Mischung aus internationalen Krisen und nationalen Baustellen gewesen, die alle gleichzeitig mit großer Wucht auf die Wirtschaft eingebrochen sind“, sagte Weil. Im Vergleich mit anderen EU-Ländern habe Deutschland bei der Krisenbewältigung jedoch auffällig schlecht abgeschnitten. Als dringendste Herausforderungen nannte Weil die überbordende Bürokratie, die Energiepreiskrise und den Arbeitskräftemangel. „Der demographische Wandel prägt überall den Alltag“, sagte der SPD-Politiker. Er forderte mehr Anreize, um Arbeitnehmer länger in Beschäftigung zu halten, und sieht dabei auch die niedersächsische Landesregierung in der Pflicht. Außerdem kündigte er einen Erlass an, um die berufliche Orientierung in den Gymnasien zu verbessern. „Viele, die auf die Universitäten gehen, werden dort nicht glücklich, weil sie andere Befähigungen haben“, sagte Weil.

Um eine bessere Zuwanderungspolitik komme man ebenfalls nicht herum. „Diejenigen, die eine Bleibeperspektive haben, müssen früher integriert werden“, sagte der Ministerpräsident. Illegale Zuwanderer ohne eine solche Perspektive sollen dagegen früher abgeschoben werden. Wenn es nach Weil geht, soll der Eintritt in den Arbeitsmarkt für zugewanderte Fachkräfte künftig auch ohne Sprachzertifikate möglich sein. „Wer auf dieser Grundlage zu uns kommt, muss den Eindruck haben, dass er hier willkommen ist“, betonte Weil.
Bei der von IHK-Präsident Oppermann geforderten Entbürokratisierung sieht der Ministerpräsident durch den Bund-Länder-Pakt für Beschleunigung einen „spürbaren Schritt nach vorne“. Um die Regulierungslast in Niedersachsen zu vermindern, will Weil der Clearingstelle des Landes Niedersachsen mehr Gewicht einräumen. Die unabhängige Einrichtung, die bei den Industrie- und Handelskammern angesiedelt ist, soll künftig Vorschläge zum Bürokratieabbau aus der Wirtschaft bündeln und koordinieren.

Keine Fortschritte sieht Weil dagegen beim Thema Energie. „Es fehlt immer noch an einer konsistenten Energiepolitik“, kritisierte der Ministerpräsident. Die Senkung der Stromsteuer sei zwar ein richtiger Schritt gewesen. Dass die Bundesregierung gleichzeitig aber den Zuschuss für die Stabilisierung der Netzentgelte aufgrund der Haushaltkrise wieder gestrichen habe, bezeichnete der SPD-Politiker als falsch. Dies werde unterm Strich zu höheren Strompreisen führen und insbesondere die Lage der energieintensiven Industrie weiter verschärfen. Trotzdem schloss der Ministerpräsident seine Neujahrsrede zuversichtlich – schließlich sei Deutschland trotz aller Versäumnisse die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt und „Made in Germany“ sei immer noch ein anerkanntes Qualitätssiegel. „Ich wünsche mir eine richtige Mischung aus Problembewusstsein und Selbstbewusstsein“, sagte Weil.
Diese Einschätzung bestätigten auch die Vertreter der deutschen Außenhandelskammern (AHK) aus Saudi-Arabien, der Ukraine, den baltischen Staaten, den USA und China. „China braucht Deutschland als Partner in Europa, es ist eines der Schlüsselländer“, sagte Jens Hildebrandt, der live aus Peking zugeschaltet war. Aus Washington berichtete Christoph Schemionek vom guten Ansehen der deutschen Firmen in den Vereinigten Staaten, die dort rund 5800 Tochterunternehmen haben und vor allem für überdurchschnittliche Vergütungen und gute Ausbildung bekannt sind.