1. Nov. 2022 · 
Wirtschaft

Hannover wappnet sich für Gasmangellage und will Vorbild für andere Kommunen sein

Niedersachsen und vor allem seine Landeshauptstadt könnten bei einer leichten Gasmangellage nochmal mit einem blauen Auge davonkommen. „Wir erwarten nicht, dass Niedersachsen als erstes Bundesland davon betroffen wäre“, sagt Enercity-Chefin Susanna Zapreva bei einem Pressegespräch zur Energiekrise in Hannover. Die Vorstandsvorsitzende des größten Energieversorgers im Land, die auch von der Bundesregierung in die Expertenkommission „Gas und Wärme“ berufen wurde, rechnet bei einer Verschlimmerung der Versorgungslage zunächst mit Maßnahmen und Einschränkungen im Süden und Osten der Bundesrepublik. „Es kann eine Notfallsituation eintreten, von der Hannover nicht stark betroffen ist“, sagte Zapreva. Die Stadt sei im Gegensatz zu vielen anderen Regionen in Deutschland ein sogenanntes L-Gas-Gebiet.

Enercity-CEO Susanna Zapreva | Foto: Christian Kerber

Das vor allem niederländische L-Gas (Low calorific gas) hat einen niedrigeren Methangehalt und Brennwert als H-Gas (High calorific gas) aus Norwegen, Großbritannien oder Russland. Weil die L-Gas-Vorkommen in absehbarer Zeit erschöpft sein werden, wird zwar bis 2030 nach und nach auf H-Gas umgestellt. In der Region Hannover findet diese Umstellung aber erst ab 2024 statt und auch andere niedersächsische Gebiete, wie etwa der Bereich westlich von Oldenburg, werden mindestens im kommenden Jahr noch mit L-Gas versorgt. Der Gasfluss aus den Niederlanden nach Hannover sei auch bei einer weiteren Eskalation gewährleistet, versicherte Zapreva: „Das L-Gas kommt kontinuierlich. Wir haben die Transportkapazitäten schon sehr früh gebucht.“

Quelle: Bundesnetzagentur

Dass die bereits seit Ende Juni geltende Alarmstufe Gas in diesem Winter noch zum Notfall hochgestuft wird, wird immer unwahrscheinlicher. „Das Wetter spielt uns ziemlich gut in die Karten. Das entschärft die Lage“, sagte Zapreva. Vor drei Wochen hatte die Enercity-Chefin zwar noch berichtet, dass Hannover beim Energiesparen nicht im Plan liegt. Dank des außergewöhnlich milden Oktobers sieht es nun aber so aus, als würde die Landeshauptstadt das von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ausgegebene 20-Prozent-Einsparziel erreichen. Zapreva betonte allerdings, dass das Energiesparen jetzt nicht nachlassen dürfe. Bei Privathaushalten und bei Gewerbekunden sehe die Bereitschaft zum Sparen bislang „nicht sehr gut aus“. „Wir müssen es irgendwie schaffen, die Menschen dahin zu bewegen, möglichst viel Gas zu sparen“, warnte sie. Jede gesparte Kilowattstunde schone die Gasspeicher, die in Hannover derzeit zu 100 Prozent gefüllt. Laut der Bundesnetzagentur lag der bundesweite Gesamtspeicherstand vorgestern bei 98,52 Prozent. Nur die größte deutsche Speicherstätte hat überhaupt noch nennenswerte Speicherkapazitäten: Der Gasspeicher Rehden (Landkreis Diepholz) ist erst zu 91,4 Prozent gefüllt.

„Der Notfall ist zum aktuellen Zeitpunkt nicht besonders wahrscheinlich, dennoch ist es wichtig, dass wir die Stadt Hannover für jedes denkbare Szenario wappnen“, sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne). Der Energiekrisenstab der Landeshauptstadt und Energieversorger Enercity würden sich auch auf den „Worst Case“ vorbereiten: Die Abschaltung von Gasnetzen bei gleichzeitigen Blackouts beim Strom – etwa deswegen, weil zu viele Menschen elektrische Heizgeräte in Betrieb genommen haben. Krisenstab-Leiter ist Andreas Hamann von der Berufsfeuerwehr, der auch die Sondereinsätze zur Kampfmittelbeseitigung in Hannover plant.

Andreas Hamann leitet den Energiekrisenstab für die Stadt Hannover. | Foto: LHH

Zu seiner Unterstützung hat Feuerwehrdezernent und Hannovers erster Stadtrat, Axel von der Ohe (SPD), insgesamt sieben Mitarbeiter aus der Verwaltung abgestellt – bei Bedarf auch zeitweise mehr. „Wir messen diesem Thema eine ganz hohe Priorität ein“, betonte von der Ohe. Der Gasmangel sei zwar „ein Stück weit planbar“. Aufgabe des Krisenstabs sei es aber auch, die Landeshauptstadt auf das „Unvorhersehbare“ vorzubereiten. Neben der kritischen Infrastruktur und sensiblen Einrichtungen, darunter Kliniken und Pflegeheime, stehe dabei vor allem der Schutz derjenigen im Fokus, „die sich nicht selbst schützen können“. Auch Onay betonte: „Wir wollen die vulnerablen Gruppen besonders schützen.“ Wichtigste Herausforderung für die Experten: Die medizinische Versorgung von Patienten, die auf Beatmungsgeräte der Dialyse angewiesen sind, müsse zu jeder Zeit sichergestellt sein.

Reger Austausch zwischen Kommunen: Um für den Fall der Fälle bereit zu sein, tauschen sich Hamann & Co. auch regelmäßig mit anderen Experten aus. Einmal wöchentlich trifft sich der Stabschef mit Vertretern der anderen Berufsfeuerwehren aus Niedersachsen zum Videochat. „Es gibt einen breiten interkommunalen Austausch“, betonte auch von der Ohe. Bei der Koordination spiele vor allem der Städtetag eine wichtige Rolle. Der Landeshauptstadt schrieb der erste Stadtrat dabei zwar eine Vorbildrolle zu. Das bedeute aber nicht, dass man in Hannover alles besser wisse. „Alles, was wir machen, ist offen für Weiterentwicklung“, sagte von der Ohe.

Dieser Artikel erschien am 2.11.2022 in Ausgabe #193.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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