Handwerksbetriebe werden kreativ bei Nachwuchs-Suche auf der Ideen-Expo
Bin Zhu konnte sich gar nichts anderes vorstellen, als im Handwerk zu arbeiten. Schon als Kind hat der junge Mann mit seinem Vater geschraubt und Dinge repariert. Oft gehört Glück dazu, dass Handwerksbetriebe Kontakt zu Jugendlichen wie Bin Zhu finden, die Lust auf eine Ausbildung haben. Hermann Strathmann, Geschäftsführer der Erich Uhe GmbH in Hemmingen, hatte dieses Glück.
Über seinem Lieblingsgericht im chinesischen Restaurant, „Ente scharf mit Morcheln“, klagte er über die Schwierigkeiten, Lehrlinge zu finden. Das hörte der Restaurantbesitzer und rief gleich seinen Neffen mit den geschickten Händen an. Prompt kam Bin Zhu zu einem spontanen ersten Vorstellungsgespräch im Restaurant vorbei. Mittlerweile ist er im zweiten Lehrjahr in dem Feinmechanik-Betrieb in der Region Hannover, der unter anderem Bauteile für die Beleuchtung von Flugzeugen herstellt.
Trotz des Fachkräftemangels hat Strathmann dem jungen Mann keinen roten Teppich ausgerollt. Zuerst musste Bin Zhu seine Motivation unter Beweis stellen: Mit einem Probetag in allen Abteilungen und einem zweiwöchigen Praktikum. „Ich bilde nur noch Leute aus, die wirklich Bock haben“, sagt der Unternehmer mit Nachdruck.
Im MINT-Bereich fehlen bundesweit 300.000 Fachkräfte, rechnet Volker Schmidt vor, der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Niedersachsen-Metall. Wenn Nachwuchs im Handwerk fehlt, macht er deutlich, dann kann es mit der Energiewende nicht voran gehen. Zufallsbegegnungen im Restaurant sind ein möglicher Weg, die Fachkräfte von morgen zu gewinnen. Erfolgversprechender allerdings ist es für die Betriebe, sich auf der Ideen-Expo zu präsentieren. Europas größtes Jugendevent für Naturwissenschaften und Technik wird am 8. Juni in Hannover eröffnet.
„Hier sind wir mit den großen Playern unterwegs“, freut sich Mike Schneider, Präsident der Unternehmensverbände Handwerk Niedersachsen. Oft werde übersehen, dass die anstehenden Transformationen der Wirtschaft von den großen Konzernen allein nicht zu stemmen seien, pflichtet er Schmidt bei. „Das Handwerk ist ein wichtiger und wesentlicher Teil des Mittelstandes in Deutschland, und wir freuen uns sehr, dass es auch bei der neunten Ideen-Expo als starker Partner mit vertreten ist“, kommentiert Volker Schmidt, der zugleich Aufsichtsratsvorsitzender der Ideen-Expo ist. Er kündigt die „größte Ideen-Expo aller Zeiten“ an mit 310 Ausstellern und mehr als 800 Mitmach-Exponaten.
Hier wollen die Handwerksbetriebe kommunizieren, dass es im Handwerk viel bessere Verdienst- und Aufstiegsmöglichkeiten gibt, als viele denken: Man kann sich zum Meister oder Techniker weiterqualifizieren, einen Betrieb übernehmen oder ein Studium dranhängen. Eckhard Stein, Präsident der Landesvertretung der Handwerkskammern Niedersachsen e.V., kritisiert: „In der Schule gibt es keinen Werkunterricht mehr. Viele Jugendliche kennen das Benutzen von Werkzeug in keiner Weise.“ Deswegen wollen die Handwerkskammern die Ideen-Expio nutzen, um Jugendlichen in Mitmach-Workshops den Spaß am selbst Gebauten zu vermitteln.
Wer Lust hat, kann ein kleines Solarauto, einen „Dachgarten to go“ oder das Modell eines Klima-Hauses bauen. Bei den Schornsteinfegern können Besucher einen „Glücksbesen“ basteln und bei den Tischlern ein „Frühstücks-I-Pad“. Die Dachdecker laden dazu ein, die eigene Schwindelfreiheit zu testen und vom Kranwagen herunter das Messegelände zu fotografieren. Bei Jugendlichen komme es auf „Snackable Content“, also kurze Info-Häppchen an, ergänzt Cornelia Höltkemeier von der Landesvereinigung Bauwirtschaft. Damit die Informationen über das Handwerk etwas länger im Gedächtnis bleiben, fordert sie Jugendliche zu einem Quiz über die Gewerke heraus. Für richtige Antworten spendet die Bauwirtschaft etwas an das Projekt „Ausbildungspaten“.
Hermann Strathmann hat eine Idee, wie man Jugendliche auch in die Betriebe locken kann: Mit vier anderen Unternehmen hat er eine „Praktikums-Kreuzfahrt“ veranstaltet. Dabei besuchen Jugendliche jeden Tag einen Betrieb in einer anderen Branche. Dem traditionellen Schulpraktikum kann Strathmann wenig abgewinnen: „Da weiß die Firma nach zwei Tagen schon nichts mehr mit dem Praktikanten anzufangen.“ Auch sein Auszubildender Bin Zhu hat aus der Schule wenig Berufsorientierung mitgenommen. Die Eltern, meint er, sollten sich Zeit nehmen, ihren Kindern Einblicke in die Arbeitswelt zu geben – so wie es sein handwerklich geschickter Vater getan hat.
Dieser Artikel erschien am 06.05.2024 in der Ausgabe #083.
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