Die 20-jährige Fachabiturientin und der 30-jährige Vater, der gerade aus der Elternzeit kommt. Daneben die 50-jährige Tagesmutter, die nebenher noch ihre eigene Betreuungseinrichtung managt. Das sind nur drei typische Biographien von Menschen, die gemeinsam in den Fachschulen Sozialpädagogik lernen. Ihr Berufsziel: „Staatlich anerkannte Erzieherin“. „In den letzten Jahren hat es einen ungeheuren Aufwuchs an Fachkräften gegeben“, sagt Karsten Herrmann, Sprecher des Niedersächsischen Instituts für frühkindliche Bildung und Entwicklung (Nifbe).

Doch der Bedarf in den Kindergärten ist noch viel größer. Überall im Land fehlt es an Betreuungsplätzen. Trotz Rechtsanspruch finden Eltern keinen Krippenplatz. In Osnabrück und in der Region Hannover hat der Fachkräftemangel zu der radikalen Entscheidung geführt, um 14 Uhr bis auf Ausnahmefälle alle Kinder abholen zu lassen. Wie können die dringend benötigten Fachkräfte ausgebildet werden? Dazu hat das Nifbe im Auftrag des Kultusministeriums an unterschiedlichen Orten im Land Treffen organisiert für Einrichtungen, die Fachkräfte ausbilden, und für solche, die Personal benötigen.
Nach dem Gesetz müssen in jeder Gruppe „mindestens zwei pädagogische Fachkräfte regelmäßig tätig sein“. Ausnahmen sind hier allerdings bereits vorgesehen: „Stehen auf dem Arbeitsmarkt nicht genügend pädagogische Fachkräfte zur Verfügung, so können abweichend auch eine pädagogische Fachkraft und eine pädagogische Assistenzkraft tätig sein.“ Auf Antrag können es in den Randzeiten auch zwei Assistenzkräfte sein. Dazu muss man wissen: Die so genannten Assistenzkräfte haben bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung als Sozialassistent. Um als pädagogische Fachkraft zu gelten und eine Gruppe leiten zu dürfen, braucht man aber eine Weiterbildung zur Erzieherin. „Dieser Abschluss ist gleichwertig mit einem Bachelor“, erklärt Karsten Herrmann. Allerdings sind es zu wenige, die diese Weiterbildung auf sich nehmen. Eine Teilnehmerin des Vernetzungstreffens brachte die Stimmung bei den Trägern auf den Punkt: „Wir brauchen keine Sozialassistentinnen, wir brauchen Erzieherinnen“, forderte sie. Die Bundesagentur für Arbeit Niedersachsen/Bremen bestätigt das. Auf einhundert freie Stellen für Erzieher kommen nach ihren Zahlen 84 Bewerber. Bei den Sozialassistenten ist das Verhältnis deutlich umgekehrt: Hier kommen 512 Bewerber auf hundert freie Stellen.
Um die Weiterbildung attraktiver zu machen, hat das Land die Fördermöglichkeiten neu aufgestellt. So kann man von der N-Bank das so genannte „Aufstiegs-Bafög“ (früher als „Meister-Bafög“ bekannt) bekommen. „2023 wurden knapp 7400 angehende staatlich anerkannte Erzieher über das Aufstiegs-Bafög gefördert“, teilt das Kultusministerium mit. Diese Fachkräfte steigen allerdings erstmal aus den Kindergärten aus, um die schulische Weiterbildung zu machen. Eine andere Möglichkeit ist, weiterhin in der Kindertagesstätte als Sozialassistentin zu arbeiten und daneben die Fachschule zu besuchen: entweder an einzelnen Tagen oder nach Feierabend. Zurzeit nutzen rund 1600 Personen diese Möglichkeit, während etwa 5400 in Vollzeit zur Schule gehen. Gerade für Fachschüler, die bereits selbst Eltern sind oder als Tageseltern selbständig, ist die berufsbegleitende Ausbildung eine große Belastung. Trotzdem steigt das Interesse daran. „Wir arbeiten mit individuellen Ausbildungsplänen, um der heterogenen Schülerschaft gerecht zu werden“, erklärte Astrid Stolze, Abteilungsleiterin an den Berufsbildenden Schulen Peine, bei dem Vernetzungstreffen in Wolfsburg. Im Wettrennen um Fachkräfte sind manche Träger dazu übergegangen, nicht nur die Arbeitszeit in der Kindertagesstätte, sondern eine Vollzeitstelle inklusive der Schultage zu bezahlen. Das allerdings führt zu Frust und einem Gefühl von Ungerechtigkeit in den Klassen.
Die erste Hürde besteht darin, überhaupt einen Schulplatz für die Teilzeit-Ausbildung zu ergattern. Nicht nur muss der Stundenplan zur privaten Lebensplanung und den Arbeitszeiten im Kindergarten passen. Vertreter der Träger klagten auch darüber, dass die Schulen nur Praxisstellen im Umkreis von 15 Kilometern akzeptieren. Die Schulleitungen widersprachen zunächst: Das sei Verhandlungssache. Dann mussten sie aber einräumen, dass ihnen nur ein bestimmtes Stundenkontingent für die Betreuung der Schüler an ihren Arbeitsplätzen zu Verfügung steht. Sie baten um Verständnis dafür, dass die Lehrkräfte nur begrenzt Arbeitszeit auf der Landstraße verbringen können. Eine Nachfrage bei der Caritas Hannover zeigt, dass der Mangel an Fachschulplätzen nicht auf den ländlichen Raum begrenzt ist: Auch hier bewirbt sich eine Mitarbeiterin, die sich gerne weiterqualifizieren möchte, bereits zum zweiten Mal – bisher ohne Erfolg.
„Lasst uns diese sehr komplizierte Ausbildung vereinfachen“, fordert Marco Trips, der Präsident des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebundes (NSGB). Vor einigen Jahren haben die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene mit der Gewerkschaft Verdi über ein Modell verhandelt, um die duale Ausbildung auf den Erzieherberuf zu übertragen: „Mit einer Bewerbung vor Ort, mit Vergütung, mit dem anschließenden Renommee einer solchen dualen Ausbildung und der späteren Weiterentwicklung in einem Studium oder einer Meisterschule – wie Auszubildende in anderen Berufen auch“, erklärt Marco Mensen vom NSGB. In diesem Modell könnte man nach einer dreijährigen Ausbildung eine Gruppe leiten. „Die Ausbildung im gehobenen Verwaltungsdienst dauert auch drei Jahre“, argumentiert Trips. „Damit kann man Amtsleiter werden. Warum soll das nicht für Erzieher reichen?“ Doch in der Politik ist er mit seinem Vorschlag auf Ablehnung gestoßen. „Wir haben eine Diskrepanz zwischen der Fachebene, die mehr Qualität fordert, und der Realität in den Einrichtungen“, sagt Trips. „Entweder wir reduzieren die Betreuungszeiten oder wir brauchen anderes Personal.“ Wenn man die Betreuungszeiten halten wolle, müsse man über den Einsatz ungelernter Hilfskräfte, sogenannter „anderer bereiter Personen“, sprechen.
„Politisch steht die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund“, kommentiert Karsten Herrmann vom Nifbe: Betreuungsplätze sollen Eltern und Unternehmen entlasten. „Wir dagegen nehmen die Perspektive der Kinder und der Mitarbeiterinnen ein.“ Im Kindergarten gehe es darum, Bildungsgelegenheiten im Alltag zu schaffen. Anders als in der Schule findet kein theoretischer Unterricht statt. Erzieherinnen müssen viel Fachwissen haben, um im Alltag der Kinder Anknüpfungspunkte für Bildung zu erkennen. Diese „moderierende und begleitende“ Arbeitsweise führt aber auch dazu, dass ihr Einfluss für die Kinder selbst und für Außenstehende nicht immer auf Anhieb sichtbar ist. „Seit dem ersten Pisa-Schock sind die Anforderungen an den Beruf exponentiell gestiegen“, argumentiert Herrmann. Das Personal soll den Kindergarten zudem noch in der Nachbarschaft vernetzen und mit den Eltern zusammenarbeiten – oft über sprachliche und kulturelle Barrieren hinweg.
Ungelernte Zusatz-Kräfte oder Alltagshelferinnen im Kindergarten zu beschäftigen - das ist zwar seit einigen Jahren möglich, weiß Karsten Herrmann. Allerdings sei dabei die eigentlich vorgesehene Qualifizierung „on the job“ oftmals versäumt worden: Noch immer arbeiten viele als Ungelernte, statt Abschlüsse nachzuholen. Der Experte schlägt einen Kompromiss vor: In den Randzeiten könne man für eine Übergangsphase die Qualitätsstandards senken, um zumindest die Betreuung sicherzustellen. „Wenn die Kinder miteinander spielen, bilden sie sich in der Peergroup auch unter sich.“ Andernfalls, meint auch er, bleibe in der aktuellen Situation nur die Kürzung von Öffnungszeiten – oder die Schließung von Gruppen oder ganzen Kindertagesstätten.