„Es wurde immer wieder diskutiert, aber es kam nicht zu irgendwelchen Lösungen“
Als Elke Twesten das erste Mal öffentlich über ihren Austritt bei den Grünen sprach, in einer Pressekonferenz der CDU, da hatte sie diesen Begriff schon gewählt: „Entfremdung“. Es war der 4. August, jener Tag, der die 54-jährige Abgeordnete schlagartig von ihrem Hinterbänkler-Dasein befreite. Es war zugleich der Schicksalstag für Rot-Grün, der „schwarze Freitag“. Von diesem Moment an war ihr Leben ein anderes, jeder sprach über Elke Twesten – bundesweit, ja international. Wer ist diese Abgeordnete, die Stephan Weil zu stürzen imstande ist, was hat sie vor, was hat man ihr versprochen? Auf einmal interessierte man sich für sie. Das muss sie früher vermisst haben. Morgen beginnt ihre letzte Landtagssitzung, danach dürfte sie zunächst von der Landes- in die Regionalliga abrutschen, denn einzig verbleibt ihr ein ehrenamtliches Kreistagsmandat. Sie hat ein berufsbegleitendes Studium an der privaten Fachhochschule Buxtehude angefangen, weil sie sich über Führungskompetenz im Management kundig machen will – und wohl auch, um sich über den Verlust der Landtagsarbeit hinwegzutrösten. Die Zeit nach der Politik hat begonnen.
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Diese „Entfremdung“, von der sie Anfang August sprach, ist wohl wechselseitig geschehen. Wenn man Elke Twesten reden hört über früher, über ihr altes Leben bei den Grünen in der Landtagsfraktion, immerhin neun Jahre lang, dann sind das Geschichten von vielen Reden und wenig Zuhören. Hinter vorgehaltener Hand meinen manche, die Politikerin habe genervt, weil man nach ihren Beiträgen oft nicht gewusst habe, was sie denn nun wolle. „Ja, wir haben viel und oft miteinander gesprochen. Aber es kam nie zu irgendwelchen Lösungen“, sagt sie und zeigt sich ihrerseits angeödet von der Kommunikation bei den Grünen. Oft habe sie im Fraktionskreis vorgetragen über Dinge, die in ihrem Wahlkreis in Zeven (Kreis Rotenburg/Wümme) die Leute bewegten, die dort emotional diskutiert wurden. Aber Elke Twesten sagt auch, dass die meisten ihrer Vorstöße folgenlos geblieben seien. Dass man sie zwar angehört, aber nicht wirklich verstanden habe – weil parteitaktische Fragen immer im Vordergrund gestanden und jedes sachliche Argument verdrängt hätten. „Oft war es so, dass die Probleme dann irgendwann gar nicht mehr besprochen wurden – weil es einfach nicht angemessen erschien.“
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Zeichnet Elke Twesten ein solches Bild nun nachträglich, als Rechtfertigung eines Schrittes, der anfangs so gar nicht politisch begründet schien? Ihre Kritiker sagten sehr schnell, dass sie überrascht gewesen seien – denn die Abgrenzung von ihr sei doch bis zuletzt gar nicht spürbar gewesen, Twesten habe doch immer, noch in diesem Sommer, die Grünen öffentlich verteidigt, sie sei trotz der internen Debatten über viele Details am Ende immer mit dem Strom geschwommen. Sie selbst sieht das nicht so, wenn sie auch einräumt, immer etwas anders aufzutreten als die meisten anderen. Die deutliche, klare Ansage war ihre Sache nie, das wissen alle, die diese Frau einmal kennengelernt haben. Vermutlich hat sie mehr mit Andeutungen und versteckten Hinweisen agiert, nicht immer so, dass die Botschaft sofort erkennbar war. Immerhin: Schon vor etwa einem Jahr sei es in Gesprächen mit der Grünen-Fraktionsführung darum gegangen, welche Aufgaben ihr, Elke Twesten, wohl übertragen werden könnten. Eine Antwort, sagt sie, sei nicht gekommen. Denn schon im Sommer schien klar, dass ein aussichtsreicher Listenplatz erneut – wie 2013, als sie es auf Rang 19 immerhin noch gerade so schaffte – unwahrscheinlich war. Jetzt galt dies es umso mehr.
Hat man sich nicht genug gekümmert? Aus den Reihen der Grünen ist zu vernehmen, dass Elke Twesten ja mit Nachdruck und klaren Vorstellungen hätte kommen können. Das aber sei nicht geschehen, man sei aus ihr irgendwann nicht mehr schlau geworden. Sie selbst geht da nicht ins Detail, sondern spricht von anderen Enttäuschungen. Sie redet über vergebliche Versuche, die Grünen für Themen zu begeistern, dass in ihrem Wahlkreis eine Rolle spielten. Sie wollte, dass sich die Fraktion der Sorgen ihrer Wähler annimmt – und erlebte, wie sie sagt, allerhand Merkwürdigkeiten. Da ging es um das Fracking, die Gewinnung von Gas mit umstrittenen Methoden. Hier war Twesten, die zuweilen als eine „Realo“-Grüne beschrieben wird, eine richtige Hardlinerin. Im Kreis Rotenburg ist die Fracking-Gegnerschaft ausgeprägt, die Angst geht um – zumal es in einigen Gegenden auch gehäufte Krebsfälle gibt. Heute erwähnt sie kleine Dinge, Randerscheinungen, die das Bild für sie aber abgerundet hätten: Dass es warnende Stimmen bei den Grünen gegeben hätte, man wolle es sich doch mit der SPD nicht verscherzen und die Fracking-Gegnerschaft nicht übertreiben. Dass ihr der Ministerpräsident abweisend geantwortet habe, als sie ihn um einen Besuch vor Ort gebeten habe: „Er sagte, die Grünen für seine Terminplanung nicht zu brauchen.“ Und dass Stefan Wenzel, der Umweltminister, immer auf später vertröstet habe – dass die Grünen wieder fordern würden, die Zuständigkeit für das Landesbergamt zu bekommen, die noch beim Wirtschaftsministerium liegt. „Leere Versprechungen“, sagt Twesten. Aber auch Vertrauensbrüche?
Auf jeden Fall hat sie es, wie sie heute sagt, als tiefe Enttäuschung empfunden. Am Einsatz der sozialdemokratischen Gesundheitsministerin für ein optimales Krankenhausangebot im Kreis Rotenburg habe es gemangelt, und beim Thema Wolf („Das regt nun wirklich viele Leute bei mir in der Gegend auf“) seien die Grünen und Minister Wenzel an der Spitze geradezu abgetaucht. „Das war wieder so ein Punkt, wo die Entschiedenheit fehlte“, sagt Twesten, die allerdings auch nicht immer als Frau mit größter Entschiedenheit aufzutreten pflegte, die sich vielmehr mit vielen Anmerkungen begnügte. Irgendwann habe sie gemerkt, dass die anderen sie nicht mehr mitgenommen, ja ausgegrenzt und übergangen haben. Als Fraktionschefin Anja Piel im Sommer – nach Twestens gescheiterter Nominierung im Wahlkreis – eine „frauenpolitische Sommertour“ startete, wäre sie wohl als immerhin noch amtierende frauenpolitische Sprecherin gern gefragt worden. Es sei aber nicht geschehen, sagt sie, und das muss Elke Twesten als Kränkung empfunden haben. Am 2. Juni, also gut zwei Monate vor dem Fraktionswechsel, berichtete der Rundblick über ihre gescheiterte Wiederaufstellung. Es hieß dort: „Falls Twesten nun ihre Partei und Fraktion verlassen würde, hätte die rot-grüne Koalition im Landtag keine Mehrheit mehr.“ Dieser Hinweis wurde bei den Grünen seinerzeit durchaus aufmerksam gelesen, soviel wird intern bestätigt, aber niemand rechnete offenbar ernsthaft damit, dass die Abgeordnete den Schritt tun würde.
Heute wirkt es wie ein Akt der Rache – vielleicht dafür, zuletzt nicht mehr ernstgenommen worden zu sein. Twesten sagt, dass sie nichts überstürzt entscheide. Sie hat also lange darüber nachgedacht. Ob sie die Folgen einkalkuliert hat? „Egoismus und Karrieredenken sind nicht meine Sache“, sagt sie, „und strategisch oder taktisch habe ich auch nicht entschieden“. Ein „neues politisches Umfeld“ habe sie gesucht, als die Wiederaufstellung bei den Grünen endgültig gescheitert war, der Entfremdungsprozess also seinen Höhepunkt erreichte. Man kann wohl auch sagen: eine neue politische Heimat. Dass da nun auch nicht alle begeistert sind und viele ihr lieber die Tür vor der Nase zuschlagen wollen als sie zu fördern, scheint die Noch-Abgeordnete nicht wirklich zu irritieren. „Damit musste ich doch rechnen“, sagt sie. Landesgeschichte hat sie auf jeden Fall geschrieben, das bleibt, auch wenn sie morgen aus dem Landtag geht – wohl für immer. (kw)Dieser Artikel erschien in Ausgabe #163.