Energie- und Wärmewende nehmen in Niedersachsen an Fahrt auf. Allein die beiden größten Energieunternehmen des Landes planen Investitionen in Rekordhöhe: EWE will in den nächsten zehn Jahren bis zu 16 Milliarden Euro einsetzen, Enercity, das Unternehmen der hannoverschen Stadtwerke, rechnet bis 2030 mit Ausgaben in Höhe von 7,6 Milliarden Euro. Doch wer neue Windparks, Photovoltaikanlagen sowie Strom-, Fernwärme- und Wasserstoffleitungen bauen möchte, kann das nicht allein vom Festgeldkonto finanzieren.

Die Konzerne haben die vergangenen Jahre zwar genutzt, um das Eigenkapital kräftig aufzustocken – ohne Milliardenkredite wird es aber auch in Zukunft nicht gehen. Enercity-Finanzvorstand Prof. Marc Hansmann rechnet mit einer Fremdfinanzierung von 2,7 Milliarden Euro und bittet den Bund sowie das Land Niedersachsen um Hilfe. „Wir schaffen die Investitionen in die Energiewende aus eigener Kraft. Wenn wir diese Kredite aber etwas zinsverbilligt und mit einer niedrigen Tilgung erhielten, würde das dazu führen, dass wir sehr bezahlbare Energiepreise finanzieren könnten“, sagt Hansmann und warnt: „Wenn die Energiewende nicht zu akzeptablen Preisen möglich ist, wird sie an Akzeptanz verlieren.“
Die Überlegung dahinter ist einfach: Je niedriger die Ausbaukosten für die Energie- und Wärmewende insgesamt sind, desto weniger Kosten werden auf Privatleute und Unternehmen abgewälzt. „Wenn wir Förderung bekommen, geben wir das 1:1 an die Kunden weiter“, versichert Hansmann. Dieses Versprechen ist nicht nur deswegen glaubhaft, weil Enercity als kommunales Energieunternehmen zu 75 Prozent der Stadt und Region Hannover gehört. Nachdem die Energiekrise ihren Zenit überschritten hat, findet auf dem Energiemarkt auch wieder ein erbitterter Preiskampf statt. „Wir sind vertrieblich sehr unter Druck in unserem Heimatmarkt. Die fallenden Preise sind für uns eine Herausforderung“, sagt der Enercity-CFO. Bundesweit verzeichne das Unternehmen aber ein „sehr starkes“ Wachstum.

Hansmann plant bis 2030 mit öffentlichen Fördermitteln in Höhe von 400 Millionen Euro. Mit einem Anteil von fünf Prozent spielen diese im Enercity-Finanzierungskonzept jedoch nur eine geringfügige Rolle. „Für die Stilllegung unseres Kohlekraftwerks bekommen wir gerade mal elf Millionen Euro“, berichtet er beispielhaft. Die Fremdfinanzierung macht dagegen 35 Prozent aus, weshalb er sich Förderkredite mit einer Laufzeit von mindestens 30 Jahren wünscht – von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder von der niedersächsischen N-Bank. „Uns würde das sehr helfen, die Finanzierung der gewaltigen Investitionen zu strecken und die Kreditlinien bei den Banken nicht zu strapazieren“, sagt Hansmann. Der frühere Kämmerer der Landeshauptstadt Hannover erklärt: „Die Eigenkapitalausstattung der KfW kann der Bund jederzeit erhöhen, das wir nicht einmal auf die Schuldenbremse angerechnet.“
Bei der N-Bank ist das etwas komplizierter. Eine Eigenkapital-Aufstockung der N-Bank ist laut Verwaltungsratschef und Wirtschaftsstaatssekretär Frank Doods zwar „keine Frage mehr des Ob, sondern nur noch des Wie“. Ob die niedersächsische Förderbank jedoch überhaupt in die Finanzierung der Energiewende einsteigen wird, ist noch völlig offen. „Genau für diese Investitionen in Daseinsvorsorge gibt es doch die Förderbanken“, meint Hansmann. Der frühere SPD-Oberbürgermeisterkandidat erinnert daran, dass im Prinzip der ganze soziale Wohnungsbau über dieses Instrument aufgebaut worden sei.

In Niedersachsen wird die Rolle des Energiewende-Finanzierers vor allem von der Norddeutschen Landesbank ausgefüllt. „Die Nord/LB ist unser bevorzugter Partner, aber auch da ist irgendwann eine Grenze erreicht“, sagt Hansmann. Bei der selbsterklärten „Bank der Energiewende“ gehören zwar Nachhaltigkeit und Regionalität zum Markenkern. Seitdem der Milliardenverlust durch faule Schiffskredite beinahe zum Aus für die Nord/LB geführt hatte, werden dort aber auch Diversifikation und Risikostreuung ganz großgeschrieben. Für den Finanzierungsbedarf von Enercity sei der deutsche Kapitalmarkt im Grund zu klein, meint Hansmann. „Daher internationalisieren wir uns hinsichtlich unseres Bankenportfolios seit einiger Zeit. Wir sind mittlerweile auch für die großen ausländischen Banken interessant geworden.“ Mit zwei französischen Großbanken arbeite Enercity bereits intensiv zusammen, weitere Gespräche mit Finanzinstituten in Großbritannien und Japan laufen.
Allein für den Stromnetzausbau rechnet Hansmann bis 2030 mit Kosten von 600 Millionen Euro. Für den Kohleausstieg und den Fernwärmeausbau sind 1,1 Milliarden Euro eingeplant, für den Ausbau von Photovoltaik-Anlagen sogar 1,7 Milliarden Euro. Am teuersten wird der Bau weiterer Windparks, die mit insgesamt 3,1 Milliarden Euro veranschlagt werden. Hier will Enercity noch mehr mit Finanzinvestoren zusammenarbeiten, die sich zu 49 Prozent an den Projekten beteiligen und dem Energieunternehmen nicht reinreden, sondern sich mit der sicheren Verzinsung zufriedengeben.

„Wir entwickeln alle Windparks selbst und haben gerne die gesamte Wertschöpfungskette unter Kontrolle“, sagt der Chief Financial Officer (CFO). Einen Börsengang schließen sowohl Hansmann als auch sein Vorstandskollege Dirk Schulte kategorisch aus. Schuldverschreibungen sind dagegen nicht tabu. „Wir werden das erste Mal seit Langem wieder Genussscheine ausgeben“, kündigt der Enercity-CFO an. Dabei will das Energieunternehmen von der ersten Genussschein-Ausgabe im Jahr 1990 lernen, als man sich zur Freude der Anleger völlig verkalkuliert hatte. Laufzeit und Renditemöglichkeit sollen diesmal gedeckelt werden.
„Nicht alle Einfamilienhausbesitzer sind automatisch vermögend“, weiß Hansmann. Sein Konzern plant deswegen mehrere hundert Millionen Euro ein, um Wärmepumpenheizungen an Privatleute vermieten zu können, sodass die hohen Anschaffungs- und Installationskosten entfallen. Nach den „Irrungen und Wirrungen auf Bundesebene“ sei die Nachfrage nach Wärmepumpen derzeit zwar eher mau. „Wir könnten deutlich mehr einbauen. Die Installationskapazitäten, die wir uns gesichert haben, sind nicht ausgelastet“, verrät der CFO. Langfristig ist er sich jedoch sicher: „Die Wärmepumpe wird sich durchsetzen.“ Was die Wasserstoff-Herstellung betrifft, ist das hannoversche Unternehmen dagegen zurückhaltend. Der Bau von Elektrolyseuren, um Wasserstoff aus Windkraft zu produzieren, ist für Enercity derzeit kein Thema. „Da sehen wir absehbar kein Business-Case dahinter“, so Hansmann.