Schneller als „Leviathan“? Emdener Werft will Schiffsrecycling in Niedersachsen etablieren
Was für ein Aufwand: Im Herbst 2023 ging im Hafen von Emden das Binnenschiff „Sabine“ aus Papenburg unter. Nach einer schwierigen Bergung wurde der eigentlich 85 Meter lange Frachter mit Schneidbrennern zerlegt und auf einem sogenannten Ponton von zwei Schleppern ins 72 Kilometer entfernte Wilhelmshaven gebracht. Weil die Schwimmplattform mit der „Sabine“ aber für den Zielhafen zu groß war, kollidierte sie mit der Seeschleuse, die dabei einen leichten Betonschaden erlitt. Daraufhin wurde die Ladung mithilfe eines zufällig anwesenden Schwimmkrans auf einen kleineren Ponton umgeladen, bevor der havarierte Frachter schließlich bei einem Wilhelmshavener Schrottverwerter komplett auseinandergenommen wurde.
Dabei wäre das auch einfacher gegangen. „Wir haben unsere Werft in Emden direkt gegenüber der Bergungsstelle. Die Behörde hat aber nicht zugelassen, dass wir das Schiff zurückbauen“, sagt Sebastian Jeanvré, Co-Geschäftsführer der Schiffsrecyclingfirma „EWD Benli Recycling“, einer Tochterfirma auf Stahl- und Schiffsbau spezialisierten Benli-Unternehmensgruppe aus Bremerhaven. Das Unternehmen darf zwar Seefahrzeuge auseinandernehmen und komplett runderneuern, wobei vom ursprünglichen Schiff kaum noch etwas übrigbleibt. Wenn es aber offiziell ums Abwracken und nicht um eine Generalüberholung geht, darf das Unternehmen aufgrund bürokratischer Hürden im Abfallrecht nicht tätig werden. Beim Aufbau eines Wirtschaftssektors für Schiffsrecycling steht sich Deutschland selbst im Weg.
SPD und Grüne wollen Schiffsrecycling den Weg bereiten
Für die SPD-Landtagsabgeordnete Karin Logemann ist es völlig unverständlich, dass der Rückbau von Schiffen in Deutschland so gut wie unmöglich gemacht wird. „Der Markt ist da, wir müssen reagieren. Wir haben das Know-how hier in Niedersachsen, und das wollen wir nutzen. Wir wollen einen wettbewerbsfähigen Recycling-Sektor aufbauen“, sagt die hafenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten. Bisher werden die meisten Schiffe aus Kostengründen vor allem in Südostasien abgewrackt.
Immer wieder gehen Bilder und Berichte vom sogenannten „Beaching“ um die Welt und sorgen für Empörung und Entsetzen: Kreuzfahrtschiffe, Tanker und Frachter werden auf den Strand gefahren und anschließend von Hand zerlegt. Umwelt- und Arbeitsschutz spielen dabei überhaupt keine Rolle, entsprechend schlecht steht es um das Küstenökosystem und die Gesundheit der Arbeiter, zu denen auch Kinder gehören. Laut einer Studie der Universität von Chittagong sind 13 Prozent der „Shipbreaker“ in Bangladesch unter 18 Jahre alt, obwohl nationale Gesetze das verbieten. Doch dafür, dass das Abwracken eine echte „Drecksarbeit“ ist, sind nicht nur gewissenlose Reeder verantwortlich. In den Industrieländern gibt es kaum Abwrack-Kapazitäten, die von den Schiffseignern genutzt werden können.
„Es gibt noch keinen maritimen Recyclingsektor in Deutschland. Die Voraussetzungen dafür sind so hoch, dass es sich bisher nicht gelohnt hat, daraus ein wirtschaftliches Geschäftsmodell zu machen“, berichtete jüngst Andreas Hüther vom niedersächsischen Wirtschaftsministerium im Landtags-Unterausschuss für Häfen und Schifffahrt. Die Landesregierung würde zwar gerne den Rechtsrahmen für Unternehmen erweitern, die sich dem Schiffsrückbau zuwenden wollen, so der Experte.
Ampelkoalition muss Bundesimissionsschutzgesetz anpassen
Die dazugehörigen Vorgaben würden allerdings in Berlin gemacht. „Ein Schiff gilt nach EU-Recht als Abfall, wenn es abgewrackt werden soll. Änderungen kann man nur in dem Maße vornehmen, wie es die europäischen Richtlinien erlauben“, erläuterte Hüther. Der Spielraum, um zumindest den Praxisbezug stärker in die Gesetzgebung einfließen zu lassen, sei jedoch vorhanden. Und weil das Schiffsrecycling auch im Berliner Koalitionsvertrag als Wirtschaftsziel genannt werde, sieht er dafür grundsätzlich gute Chancen. Zudem sei die Gelegenheit günstig: Die vierte Verordnung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG), in der die Genehmigung von Recyclinganlagen geregelt wird, müsse ohnehin angepasst werden.
In Norddeutschland sitzen gleich mehrere Unternehmen in den Startlöchern. Für das meiste Aufsehen hat dabei das Bremer Startup „Leviathan“ gesorgt, welches der erste emissionsarme Schiffsrecyclingbetrieb der Welt werden will. Ein Werftgelände, um Schiffe bis zu einer Länge von 140 Metern zu recyclen, hat „Leviathan“ in Stralsund bereits angemietet. Wie der Weser-Kurier meldete, interessiert sich das Startup auch für ein Areal im niedersächsischen Brake, wo man mit offenen Armen empfangen worden sei.
Schiffsrecycling soll im März 2025 in Emden starten
Laut Hüther denkt auch das Schiffsreparaturunternehmen Turbo-Technik aus Wilhelmshaven über einen Einstieg ins Abwracken nach. „Leviathan“ hat jedoch dasselbe Problem wie „EWD Benli Recycling“: Die fürs Recycling nötigen Genehmigungen sind immer noch nicht da. „Die Zertifizierung beschäftigt bei uns drei Leute. Das große Genehmigungsverfahren für Schiffe bis zu 2000 Tonnen dauert ungefähr ein Jahr – wenn’s gut läuft“, sagt Jeanvré im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick und fügt hinzu: „Wir sind der Hoffnung, dass wir im März 2025 handlungsfähig sind.“
Der promovierte Recyclingspezialist Jeanvré leitet in Braunschweig eine Umweltkanzlei und ist Geschäftsführer der Firma „Relog“, die vor allem Industrierückbau betreibt, sich aber auch mit dem Repowering von Energieanlagen oder der Wiederverwertung von Flugzeugen auskennt. „Die Herausforderungen bei der Flugzeugverschrottung sind sehr ähnlich wie die beim Schiffsrückbau“, weiß Jeanvré. Was das Abwracken von Schiffen betrifft, hat er jedoch bisher alle Anfragen ablehnen müssen – kürzlich erst nach dem Untergang eines Flussschiffs in Süddeutschland.
Mit der Emder Werft und Dock GmbH (EWD) hat er inzwischen aber einen Partner gefunden, um als erstes deutsche Unternehmen im größeren Stil ins Schiffsrecycling einzusteigen. Bisher werde dieser Markt in Europa vor allem von den Niederlanden und Dänemark bespielt. „Das, was beim Schiffsrecycling in Dänemark gemacht wird, das übererfüllen wir“, zeigt sich der Recyclingexperte selbstbewusst. Zudem gebe es bei der EWD-Werft in Emden optimale Bedingungen fürs Abwracken. Das 550.000 Quadratmeter große Areal, das 1903 als „Nordseewerke“ gegründet wurde, verfügt über Schwimmdocks, ein Trockendock, eine gezeitenunabhängige 1,8 Kilometer lange Kaianlage und 150 Mitarbeiter. „Außer Lagerboxen für Sekundärrohstoffe, die schnell gebaut sind, ist alles vorhanden“, sagt Jeanvré.
Das Kerngeschäft von „EWD Benli Recycling“ soll der Rückbau von Binnenschiffen, Küstenmotorschiffen sowie kleineren Fahrgastschiffen und Fähren sein. „Der Bedarf ist da, denn gerade bei Hafenbetriebsgesellschaften, bei der Wasserschutzpolizei oder der Bundespolizei zur See gibt es sehr viele Schiffe mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren“, sagt EWD-Geschäftsführer Björn Sommer, der zusammen mit Jeanvré das neue Recycling-Unternehmen leitet.
Viele Schiffe in Deutschland nähern sich dem Lebensende
Auf den Geschmack des Abwrackens war Sommer schon 2020 bei der Grundsanierung des knallroten Feuerschiffes „Amrumbank/Deutsche Bucht“ gekommen, das als eines der Wahrzeichen des Emder Hafens gilt. „Seinerzeit haben wir das Schiff komplett entkernt und schon damals ist bei uns die Erkenntnis gewachsen, dass das Team der EWD sich mit Stoffen und Materialien und dem Rückbau eines Schiffes auskennt. Jetzt sind wir fest entschlossen, in dieses Geschäftsfeld einzusteigen“, erzählt Sommer und verrät: „Aktuell laufen bereits vielversprechende Gespräche für die ersten Recycling-Projekte.“
Auch das Leibniz-Zentrum für marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen sagt den Schiffsrückbauern goldene Zeiten voraus. Nachdem jahrelang nur wenig Schiffe verschrottet wurden, komme der Markt jetzt wieder in Bewegung. „Ab 2033 werden etwa fünf Prozent des weltweiten Schrottbedarfes aus dem Schiffsrecycling kommen“, prognostizierte Prof. Raimund Bleischwitz bei einem Symposium des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN) im vergangenen November.
Der ZMT-Experte für Kreislaufwirtschaft stellte eine Studie vor, wonach ab 2033 jährlich weltweit mehr als 20 Millionen Tonnen Stahlschrott aus dem Abbruch von Fracht- und Passagierschiffen auf den Markt kommen werden. Gleichzeitig wachse der Schrottbedarf der Stahlindustrie erheblich. Weil das Wiederverwerten deutlich weniger CO2-Emissionen verursacht als die Neuherstellung, setzen alle Hersteller auf Stahlrecycling: Die Salzgitter AG will den Schrottanteil bei der Stahlproduktion bis 2030 um 50 Prozent auf drei Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen. Das Bremer Stahlwerk von Arcelor Mittal hat vor, den Schrottanteil von 800.000 auf 1,8 Millionen Tonnen pro Jahr zu steigern.
Dieser Artikel erschien am 30.05.2024 in der Ausgabe #098.
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