Es ist der Albtraum eines jeden Unternehmers: Im Dezember 2018 erhebt das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ schwere Vorwürfe gegen Autobatteriehersteller „Clarios“ (damals noch „Johnson Controls“). Unter der Überschrift „Vergiftetes Dorf“ berichteten die Autoren über die katastrophalen Zustände beim Autobatterie-Recycling im Süden Nigerias, die vor Ort zu schweren Umweltschäden geführt und praktisch alle Menschen im Umfeld der örtlichen Bleifabrik eine Bleivergiftung beschert haben.

Nach der Berichterstattung wurden zwar die deutschen Geschäftsbeziehungen zu dem nigerianischen Lieferanten auf Druck der deutschen Autobauer und Zulieferer umgehend gekappt. Doch tatsächlich erreicht wurde dadurch offenbar nichts. Einige Wochen stand die Produktion still, dann ging es offenbar weiter wie zuvor. „Die Bleihütte liefert jetzt in die USA. Die Standards sind immer noch die gleichen, für die Menschen vor Ort hat sich nichts geändert“, berichtet Christian Rosenkranz, Geschäftsführer von Clarios in Deutschland, beim Arbeitgeberforum von Niedersachsen-Metall in Hannover. Für Rosenkranz ist der unrühmliche Fall ein Musterbeispiel dafür, wie es eigentlich nicht laufen sollte – und wie das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz wirkungslos verpuffen könnte.
„Wir produzieren jede dritte Batterie, die in einem Auto verbaut wird“, sagt Rosenkranz. Jährlich sind es 155 Millionen Stück, die anschließend sowohl in Verbrennern als auch Elektrofahrzeugen verbaut werden. Ohne die mehr als 1000 Lieferanten, die den Weltkonzern mit Rohstoffen beliefern, wäre das nicht möglich. Und dabei handelt es sich nur um die ersten Ansprechpartner des Unternehmens. „Irgendwann im zweiten und dritten Glied der Lieferkette kriegen wir unsere Materialien aus Afrika, Asien und Amerika“, erzählt der Clarios-Manager und weiß aus Erfahrung, dass die Einflussmöglichkeiten der Unternehmen auf dieser Ebene dahinschwinden. Auch auf die Bleihütte in Nigeria habe Clarios selbst keinen Einfluss ausüben können, weil es sich um den Zulieferer eines nigerianischen Händlers gehandelt habe, der an einen britischen Händler lieferte, der wiederum ein Blei-Recycling-Unternehmen mit Sitz in Hamburg versorgte, von dem schließlich das hannoversche Clarios-Werk einen Teil seines Metalls bezieht.

„Wenn ich durchsetzen will, dass sich bei einem Lieferanten in Asien etwas verbessern soll, dann liefern die auch ganz schnell an jemand anderen“, sagt Rosenkranz. Der Gesetzgeber dürfe deswegen auch nicht von den Unternehmen verlangen, bei internationalen Zulieferern auf europäische Standards zu pochen und diese mit aller Härte durchzusetzen. „Wichtiger sind langfristige Partnerschaften und mittelfristige Vereinbarungen, die auf ökologische und soziale Verbesserungen abzielen.“ Doch welchen Effekt das zum 1. Januar 2023 in Kraft getretene Lieferkettengesetz haben wird, ist noch unklar. Die Verunsicherung in der Wirtschaft ist groß, gerade bei den kleinen und mittelständischen Unternehmen, denn hier gilt: Haftbar im Sinne des Lieferkettengesetzes ist am Ende der Geschäftsführer. Während größere Unternehmen das durch eine Versicherung kompensieren können, wird das bei kleineren Unternehmen schwierig.
„Wir möchten als Unternehmer nicht zu Politikern gemacht werden“, sagt Rosenkranz. Der Clarios-Vizepräsident für Industrie- und Politikbeziehungen ärgert sich darüber, dass die Firmen jetzt das ausbügeln sollen, was die deutsche Außenhandelspolitik nicht geschafft hat: europäische Standards im Ausland durchsetzen. Denn während die Erfolgsaussichten ziemlich wage sind, ist der Bürokratieaufwand enorm. Selbst der große Batteriehersteller Clarios, der inzwischen ein nachhaltiges Lieferkettenmanagement aufgebaut hat, fühlt sich von den Vorgaben überfordert. „Wir haben Leute, die sehen aus wie Tropenforscher. Die reisen zu den Lieferanten und versuchen vor Ort, die Zustände zu verbessern“, erzählt der Clarios-Chef. Um dem Lieferkettengesetz Genüge zu tun, reiche das aber nicht. Der Dokumentationsaufwand werde erheblich steigen. „Wir wissen jetzt schon, dass wir die Mitarbeiterzahl in der zuständigen Abteilung deutlich erhöhen müssen“, sagt Rosenkranz.

Für kleinere Unternehmen ist die Herausforderung durch das Lieferkettengesetz noch größer. Denn dass die neue Rechtsvorschrift zunächst nur für Firmen mit mindestens 3000 Arbeitnehmern gilt (ab 1. Januar 2024 für Firmen mit mindestens 1000 Beschäftigten), ist relativ egal. Mittelbar sind auch viel kleinere Betriebe betroffen. Die Konzerne, für die das Lieferkettengesetz bereits gilt, reichen die Nachweispflicht für die Einhaltung der Menschenrechte und gesetzlichen Umweltpflichten in der Lieferkette nach unten weiter. Auch Clarios Germany fällt mit weniger als 3000 Beschäftigten eigentlich noch nicht unter das Gesetz. „Wir haben schon die ersten Kunden, die sich unsere Zulieferer und die Bleihütten anschauen wollen“, berichtet Rosenkranz.
„Wenn wir das Gesetz wirklich ernst nehmen, haben wir bald keine Medikamente mehr."
Christian Rosenkranz
Trotz aller Bemühungen, die Sorgfaltspflichten einzuhalten, könne man das natürlich nicht zu hundert Prozent garantieren. „Letzten Endes hat ein Metall eine ganz bestimmte Eigenschaft: Wenn es einmal aufgeschmolzen wurde, vergisst es, wo es herkommt“, sagt Rosenkranz. Und auch der Geschäftsführer eines niedersächsischen Chemieherstellers, der an der Expertendiskussion beim Arbeitgeber-Forum teilnimmt, macht sich große Sorgen. „Wenn wir das Gesetz wirklich ernst nehmen, haben wir bald keine Medikamente mehr, weil alle Vorprodukte in Indien hergestellt werden“, warnt er und stöhnt schon jetzt über den bürokratischen Aufwand, der auf sein Unternehmen demnächst zukommen wird. Gerade in der chemischen Industrie sei die Produktion oftmals ein „laufendes System“. „Die Chemikalien, die ich heute einsetze, sind bald schon wieder andere“, sagt er.

Eine Erfolgspflicht oder Garantiehaftung ist im Lieferkettengesetz zwar nicht enthalten, wie weit jedoch die sogenannte „Bemühenspflicht“ der Unternehmen geht, ist noch relativ unklar. „Da kommt etwas auf Sie zu“, warnt Rechtsanwalt Marc Wendt von der Wirtschaftskanzlei KSB Intax die Unternehmer und bezeichnet das Lieferkettengesetz als „bürokratisches Monster“. Die betroffenen Firmen müssen unter anderem eine Risikoanalyse ihrer Lieferketten durchführen und ein Risikomanagement einrichten, einen Menschenrechtsbeauftragten ernennen, ein Hinweisgebersystem betreiben, Präventionsmaßnahmen durchführen und jährliche Berichte beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) einreichen. Außerdem müssen die deutschen Unternehmen ihre Lieferanten bezüglich des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes schulen und von diesen auch unangekündigte Kontrollen einfordern. „Sie müssen sich das Recht auf unangekündigte Audits vorbehalten und sich das auch rechtlich zusichern lassen“, erläutert Wendt. Bestehende Verträge müssten entsprechend angepasst werden. Verstöße gegen das Gesetz könnten mit empfindlichen Geldstrafen von bis zu 400 Millionen Euro oder sogar mit einem Ausschluss von öffentlichen Aufträgen bestraft werden.
Dass die deutschen Unternehmen ihre Zulieferer im Ausland zur Kooperation bewegen müssen, könnte viele Geschäftsbeziehungen trüben. Vor allem die Forderung nach unangekündigten Audits dürfte bei manchem Zulieferer auf Unverständnis stoßen. „Interessant ist, was wir mit denen machen, die das nicht unterschreiben wollen“, sagt Rosenkranz. Rechtsanwalt Wendt stellt klar: „Auch wenn die Gesetze dort etwas lockerer sind, müssen Sie Ihren Lieferanten erklären, dass die Einhaltung der Vorgaben aus dem Lieferkettengesetz wichtig ist.“ Abgesehen von dem gewaltigen bürokratischen Aufwand sieht der Experte für Haftungs- und Gesellschaftsrecht aber zunächst keine schwerwiegenden Konsequenzen durch das Gesetz. „Müssen Sie Geschäftsbeziehungen abbrechen? Nein, denn dann haben Sie keine Einflussmöglichkeiten mehr, um die Rahmenbedingungen im Partnerland zu verändern. Das ist nicht das Ziel, es ist nur das letzte Mittel“, sagt Wendt.

Die Unternehmen müssen dennoch darauf hoffen, dass die BAFA-Prüfer das Gesetz so auslegen, wie es ursprünglich gedacht war. Clarios-Chef Rosenkranz ärgert, dass die Erfahrungen aus der Wirtschaft nicht wirklich in das Gesetz eingeflossen sind. Es habe zwar einen Branchendialog mit der Automobilindustrie gegeben, der letztlich aber unbeachtet geblieben sei. „Es wäre schlau gewesen, die Industrievertreter, die wissen was sie tun, ausreden zu lassen, bevor man das Gesetz beschließt“, kritisiert Rosenkranz. Die Hoffnung auf Nachbesserungen ist jedoch gering, zumal die EU bereits ein noch strengeres Lieferkettengesetz in der Mache hat. Vielleicht wird durch das europäische Gesetz aber ein großer Mangel aus Sicht der Industrie abgestellt: Eine Branchenlösung, wie zum Beispiel ein internationales Prüfsiegel zur Einhaltung der Menschenrechte und Umweltvorgaben, wird derzeit von der BAFA nicht anerkannt, berichtet Rosenkranz. Hier sieht er dringenden Nachbesserungsbedarf.