Einig wie selten: Pistorius und Schünemann werben kraftvoll für ein neues Polizeigesetz
Sie versuchten es in der gestrigen Landtagsdebatte immer wieder, die Abgeordneten von Grünen und FDP. Sie wollten die Große Koalition provozieren, damit die Gegensätze in diesem Bündnis sichtbar werden. Was, dachten sie, wäre wohl besser dafür geeignet als die erste Landtagsdebatte über das neue Polizeigesetz, das in einigen Monaten vom Parlament beschlossen werden soll? Immerhin ist bekannt, dass es zwischen SPD und CDU hier in den vergangenen Monaten mehr als einmal Reibereien gegeben hatte. Und es ist auch kein Geheimnis, dass die beiden führenden Repräsentanten, Innenminister Boris Pistorius (SPD) und sein Vorgänger, der jetzige CDU-Innenexperte Uwe Schünemann, einander recht ähnlich sind – beide gelten als „Alphatiere“, die es eigentlich gewohnt sind, der Chef im Ring zu sein. Aber zwei Chefs? Das ist schwierig.
So häuften sich gestern im Landtag die Sticheleien der Opposition – wobei die AfD sich diesmal, sonst zur Provokation durchaus fähig, eher zurückhielt. „Welcher Innenminister“ denn die „Anker-Zentren“ für Asylbewerber mit geringer Bleibeperspektive plane, wollte die FDP am Morgen des Tages wissen – „der aktuelle oder sein Vorgänger Schünemann“? „Weder noch“, antwortete CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer, es sei vielmehr der Bundesinnenminister von der CSU. Als dann einige Stunden später das Polizeigesetz beraten wurde, wagte Belit Onay (Grüne) den Frontalangriff auf die SPD: „Schünemann diktiert dem Innenminister den Zeitplan und den Inhalt der Pläne, am Ende verkündet er das Gesetz noch an der alten Wirkungsstätte.“
Kurz darauf trug Schünemann seine Positionen zum Gesetz in der Debatte vor, zeitlich sehr ausgedehnt und mit staatstragenden Worten, unterbrochen nur von einer Zwischenfrage des FDP-Fraktionschefs Stefan Birkner, die er mit den Worten: „Herr Minister Schünemann…“, einleitete, sich dann aber rasch korrigierte in „Herr Schünemann…“ Ein Raunen ging durch den Plenarsaal. War es ein Versprecher oder Absicht, um die SPD zu reizen? Jan-Christoph Oetjen (FDP) meinte nach der Rede vielsagend zu Schünemann: „Ich habe während ihres Vortrags die Betroffenheit in den Gesichtern der SPD gesehen.“
Schünemann diktiert dem Innenminister den Zeitplan und den Inhalt der Pläne, am Ende verkündet er das Gesetz noch an der alten Wirkungsstätte.
Belit Onay, Grünen-Abgeordneter
Doch all das wirkte nicht. Zwar schauten viele Abgeordnete der Koalition, vor allem der SPD, ernst drein. Reizen ließen sie sich indes nicht, bis auf einen knappen Satz von Pistorius: „Herr Schünemann und ich werden sich sicher nicht verständigen, in der Öffentlichkeit ein Bier miteinander zu trinken.“ Ansonsten hatten sich SPD und CDU fest vorgenommen, diesmal nicht nur in der Sache, sondern auch emotional geschlossen zu erscheinen.
Als Onay Pistorius „einen Getriebenen“ in Abhängigkeit von der CDU nannte, nahm dieser das wenig später zum Anlass für eine Retourkutsche. Die Grünen würden wohl „unter einer temporären Amnesie“ leiden, da die sie als Regierungsfraktion bis 2017 durchaus bereit gewesen seien, mehr Rechte für die Polizei, etwa die Online-Durchsuchung von Computern, mitzutragen. „Das Sein bestimmt eben das Bewusstsein, und bei manchen bleibt das Sein in der Vergangenheit stecken“, spottete Pistorius. Onay hatte zuvor geschimpft, die Große Koalition wolle „die Bürgerrechte verramschen“, wie bei der Ausforschung von Computern und Videoüberwachung deutlich werde, aber auch mit der „Präventivhaft“ für terroristische Gefährder, also Personen, die stark im Verdacht stehen, eine Straftat begehen zu wollen.
Da war FDP-Mann Oetjen in seiner Kritik maßvoller, er hegte die Befürchtung, der Gesetzentwurf könne auf Druck der CDU noch verschärft werden – indem Überwachungen, Kontakt- und Aufenthaltsverbote nicht nur für potenzielle Terroristen, sondern auch für Mitglieder organisierter Mafia-Banden angewendet werden sollen. Schünemann hatte zuvor erklärt, genau hier in der Gesetzesberatung noch ansetzen zu wollen. AfD-Sprecher Jens Ahrends scherte aus dem Nein der Opposition zum Gesetzentwurf aus und sagte: „Das alles geht in Richtung Überwachungsstaat, aber wegen der Zunahme der Gefahren sehen wir keine andere Möglichkeit, als so zu handeln.“
„Anker-Zentren“ sorgen für Unstimmigkeiten
SPD und CDU verwiesen hingegen auf „eine veränderte Situation“, die zu gesetzlichen Anpassungen zwinge – doch die seien, im Unterschied zum neuen bayerischen Polizeigesetz, maßvoll und abgewogen. Die Präventivhaft von maximal 74 Tagen gefalle sicher der CDU besser als der SPD, meinte SPD-Mann Karsten Becker, „doch die bisherigen zehn Tage reichen auch uns nicht“. Im Unterschied zu Zeiten des RAF-Terrorismus agierten islamistische Terroristen heute weniger planvoll, oft spontaner und oft auch mit Messern, die nicht von vornherein als gefährliche Waffen erkennbar sind. Wenn man ihnen die Vorbereitung schwerer Straftaten nachweisen wolle, dauere das oft länger – man brauche entsprechend mehr Zeit für Ermittlungen. Schünemann verkündete kurz darauf die frohe Botschaft „Diese Koalition ist handlungsfähig“, und Pistorius lobte fast überschwänglich „die gute Zusammenarbeit mit großen Teilen der CDU-Fraktion“.
Das klang ungewöhnlich, hing aber womöglich auch damit zusammen, dass es zum Auftakt des Plenartages zwischen den Koalitionären eine leichte Verstimmung aufkam. Bei dem zwischen Sozial- und Christdemokraten strittigen Thema „Anker-Zentren“ für Asylbewerber hatte sich CDU-Fraktionschef Dirk Toepffer am Morgen noch um eine vermittelnde Darstellung bemüht, doch die SPD schickte dann den Abgeordneten Sebastian Zinke, der scharf auf Distanz zu den „Anker-Zentren“ gegangen war. Das soll, heißt es, die CDU verstimmt haben. Vielleicht gaben sich beide Seiten deshalb zwei Stunden später beim Polizeigesetz so große Mühe, harmonisch zu erscheinen. (kw)