2. Sept. 2021 · Inneres

Ein Buch zum Jahrestag: Der braune Schatten über dem Landeskriminalamt

So manches Kapitel in der Geschichte Niedersachsens eignet sich vermutlich weniger für die Hochglanz-Veröffentlichungen, in denen die besonderen Leistungen und vorbildlichen Entwicklungen angepriesen werden. Dazu dürften dann auch die Anfangsjahre des Landeskriminalamtes (LKA) gehören. In den fünfziger Jahren stand Walter Zirpins an der Spitze dieser Behörde, war damit einer der einflussreichsten Polizisten Niedersachsens. Aber Untersuchungen, die vom LKA selbst aus Anlass des 75. Geburtstages der Behörde in Auftrag gegeben wurden, belegen die Fragwürdigkeit dieser Personalie. Wie konnte jemand, der offenbar durch seine Rolle in  der Zeit des Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg stark belastet war und als Beamter in der reinen NS-Tradition galt, in eine so einflussreiche Position gelangen?

Heutiger Sitz des Landeskriminalamtes - Foto: nkw

Die beiden beim LKA beschäftigten Historiker Karola Hagemann und Sven Kohrs haben sich schon seit Jahren mit der Geschichte der Behörde beschäftigt, der frühere LKA-Präsident Uwe Kolmey und sein Nachfolger, Amtsinhaber Friedo de Vries, haben das Projekt kräftig unterstützt. In intensiven Recherchen haben Hagemann und Kohrs nachgeforscht, was über die Anfänge in den Archiven zu finden war – vor allem über Zirpins, den umstrittenen einstigen Mann an der Spitze. Auch im Nachlass eines seiner damaligen Mitarbeiter wurden sie fündig, in den Unterlagen von Fritz Tobias. Tobias, der vor zehn Jahren im Alter von 98 verstorben war, hatte intime Kenntnisse über das Innenleben der niedersächsischen Behörden – vor allem des Innenministeriums. Die These, die Hagemann und Kohrs jetzt in ihrem Buch beleuchten und mit Dokumenten zu belegen versuchen, lautet so: Zirpins, der ein hoher SS-Mann gewesen sein und im Ghetto von Lodz an der Verfolgung von Juden und Polen mitgewirkt haben soll, konnte vermutlich nur aus einem Grund in Niedersachsen eine einflussreiche Position erreichen – er habe gewusst, welche Rolle der erste Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) in der Zeit des Zweiten Weltkriegs hatte und habe deshalb die Erpressbarkeit von Kopf für seine eigenen Ziele nutzen können. 

Dies ist zwar nicht die einzige These, die in dem 296 Seiten starken Buch erwähnt wird – aber die mit Abstand spannendste. Die Rolle von Kopf, dem ersten Ministerpräsidenten, wird schon seit Jahren viel kritischer bewertet als früher – und maßgeblich dafür sind die Forschungsergebnisse der Göttinger Historikerin Teresa Nentwig, die 2013 das Wirken Kopfs in der „Haupttreuhandstelle Ost“ während des Zweiten Weltkriegs beleuchtet und dabei festgehalten hatte, dass sich Kopf als Vermögensverwalter am Eigentum polnischer und jüdischer Bürger bereichert haben soll. Den Vorwurf gab es schon früher, Nentwig untermauerte ihn. Zirpins wirkte zur Zeit von Kopfs Mission in Lodz, war dort Leiter der Polizeidienststelle und soll intensiv mit der Haupttreuhandstelle, in der Kopf eine zentrale Rolle gehabt haben soll, zu tun gehabt haben. Hat Zirpins es in seinen Bemühungen, nach 1945 beruflich wieder Fuß zu fassen, geschickt verstanden, Kopf unter Druck zu setzen? 1947 war seine Bewerbung für die Landespolizei noch abgelehnt worden, 1951 dann hatte er jedoch Erfolg. Zuvor waren Vorwürfe gegen Kopf schon bekannt geworden, Polen verlangte seine Auslieferung – doch der SPD-Politiker hatte die Anwürfe 1948 in einer Presseerklärung zurückgewiesen, die Debatte eskalierte seinerzeit nicht.

Zirpins hätte, so lautet heute die Mutmaßung von Hagemann und Kohrs, Kopfs Einlassung schnell als falsch enttarnen können. Hatte er also ein Druckmittel in der Hand - und war dies entscheidend für seine Einstellung als Leiter des Landeskriminalpolizeiamtes 1951? Auffällig ist aus Sicht der Autoren, dass der damalige Innenminister Richard Borowski (SPD) Zirpins damals, trotz der Belastungen, Zirpins in den höchsten Tönen als Polizeiexperten angepriesen hatte. Geschah dies, spekulieren nun Hagemann und Kohrs, weil die Briten Zirpins als einen Vertrauensmann gewinnen wollten? Oder wirkte das Unter-Druck-Setzen von Kopf? Die Autoren zitieren aus einem Vermerk über ein Gespräch, das der SPD-Politiker Hellmuth Sieglerschmidt mit dem Rundfunkmann Alexander Maaß geführt hatte. Dort habe Sieglerschmidt erläutert, dass Vorbehalte gegen Zirpins nicht erwähnt werden sollten – da ja der Leiter der Haupttreuhandstelle Kopf gewesen sei.

Ist das nun schon ein Beleg für die These von der Erpressung? Hagemann und Kohrs schreiben immerhin, dass Sieglerschmidt auch erwähnte, bei Zirpins handele es sich um einen hervorragenden Kriminalisten, auf den man nicht verzichten könne. Außerdem knüpfen sie noch einen weiteren Zusammenhang: Zirpins soll in der NS-Zeit nicht nur wegen der Rolle in Lodz interessant gewesen sein – sondern auch noch aus anderen Gründen. So wird vermutet, dass er beim fingierten Überfall deutscher Soldaten – in polnischen Uniformen – auf den Sender Gleiwitz 1939 beteiligt gewesen sein soll, jenem Vorgang, den Hitler als Vorwand für den Überfall auf Polen nutzte.

Zudem war Zirpins am 27. Februar 1933, als in Berlin der Reichstag brannte und die Nazis das als Startzeichen für die massive Einschränkung der Grundrechte nutzten, einer der Ermittler. Dieser Reichstagsbrand hat über Jahrzehnte die Geschichtswissenschaft fasziniert, weil immer wieder die These vertreten wurde, die Nazis selbst hätten das Parlament angesteckt und im holländischen Kommunisten Marinus van der Lubbe nur einen Sündenbock gesucht. Wenn das so gewesen sein sollte, wäre Zirpins der Mitwisser einer Verschwörung. Doch Belege für diese These fehlen bisher, die Glaubwürdigkeit angeblicher Zeugen für die NS-Täterschaft steht stark in Zweifel. Hagemann und Kohr meinen immerhin, Zirpins habe Menschen in seinem Umfeld mit angeblichen Detail-Informationen zum Reichstagsbrand versorgt – und auch das könne ein Grund gewesen sein, warum viele Sozialdemokraten im Innenministerium 1951 ihre schützende Hand über den höchst umstrittenen Kriminalisten gehalten hätten. Vielsagend heißt es im Buch: „Die Wissenden schwiegen, und sie werden es nicht umsonst getan haben.“

Ein interessantes Detail kommt noch hinzu: Der Fraktionschef der KPD im Reichstag, Ernst Torgler, der nach dem Reichstagsbrand auch zunächst als Brandstifter angeklagt war und vom Reichsgericht freigesprochen wurde, landete 1941 ebenfalls bei der Haupttreuhandstelle Ost – auch er muss seinerzeit im Kontakt mit Kopf und auch mit Zirpins gestanden haben. Wie die beiden anderen begann Torgler nach dem Krieg einen neuen beruflichen Anfang in Hannover, er wurde Mitarbeiter der Gewerkschaft ÖTV. Auch Torgler musste demnach zu den „Wissenden“ gehört haben. (kw)

Landeskriminalamt Niedersachsen (Hrsg.): Karola Hagemann/Sven Kohrs: Walter Zirpins – ohne Reue. Der schwarze Fleck des LKA, Hannover 2021, 296 Seiten

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #152.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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