
Die individuelle Mobilität muss klimafreundlicher werden – da sind sich alle einig. Aber ist ein Verbot des Verbrennungsmotors dazu wirklich nötig und sinnvoll? Die Pläne der EU-Kommission, ab 2035 keine Neuwagen mit Otto-Motor mehr zuzulassen, stoßen nicht nur in der Autoindustrie auf Widerstand. Ein großes branchenübergreifendes Wirtschaftsnetzwerk will die Herstellung synthetischer Kraftstoffe aus erneuerbaren Energien vorantreiben. Nun hat sich auch der ADAC der E-Fuel-Allianz angeschlossen, der bereits Konzerne wie Siemens, Bosch, Stihl, Liebherr, Deutz, Mazda und fast alle deutschen Mineralölunternehmen angehören. „Das Thema brennt. Wir sind mittlerweile auf 150 Unternehmen gewachsen“, sagt die frühere niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD), die heute das Gesicht der E-Fuel-Allianz ist. Ihr zentrales Argument für die synthetischen Kraftstoffe lautet: „Weltweit sind immer noch 1,4 Milliarden Autos mit einem Verbrenner ausgestattet, die weiterhin fahren werden. Möglichst klimaneutral geht das nur mit E-Fuels.“

Was sind E-Fuels?
E-Fuels – das sind künstlich hergestellte Kraft- und Brennstoffe. Anders als der Name vermutet lässt, sind die Elektro-Fuels flüssig und unterscheiden sich kaum vom herkömmlichen Öl, Benzin oder Kerosin. Die Bezeichnung E-Fuels leitet sich vielmehr vom Herstellungsprozess ab, für den vor allem erneuerbaren Strom verwendet wird. Ansonsten benötigt man für die synthetischen Kraftstoffe nur noch CO2 aus der Atmosphäre und Wasserstoff, der wiederum mittels Elektrolyse aus Wasser gewonnen wird. E-Fuels sorgen bei der Verbrennung zwar genauso wie herkömmliche Kraftstoffe auch für Emissionen. Weil dabei aber nur genauso viele CO2 freigesetzt wird, wie in der Herstellung verbraucht wurde, gelten E-Fuels als klimaneutral.

Diese Einschätzung bestätigt auch ADAC-Technikpräsident Karsten Schulze. „2030 werden noch mindestens 30 Millionen Pkw-Bestandsfahrzeuge mit Diesel- oder Ottomotor in Deutschland unterwegs sein, die ohne E-Fuels nicht CO2-reduziert genutzt und perspektivisch klimaneutral betrieben werden können“, sagt der gelernte Kraftfahrzeugmeister. Der ADAC stehe zwar hinter dem Vorantreiben der Elektromobilität, ohne die die Klimaschutzziele im Verkehr nicht erreicht werden können. Schulze sagt aber auch: „Der ADAC ist kein Anhänger einer bestimmten Technologie. Uns geht es schlichtweg darum, den Kraftwagen klimaneutral weiterzuentwickeln. E-Autos sind nur so gut wie der Strom, den sie laden. Es ist nicht der Antrieb, der CO2-Emmissionen verursacht, sondern die Energie.“ Man dürfe deswegen nicht nur auf das schauen, was aus dem Auspuff herauskommt, sondern auf den gesamten Prozess.
Laut Schulze könnten die synthetischen Kraftstoffe ohne größere Veränderungen an der Infrastruktur sofort auf den Markt gebracht werden. „E-Fuels sind sogar reiner und qualitativ besser als herkömmliche Kraftstoffe. Man kann sie in beliebiger Menge bei allen Verbrenner beimischen oder auch zu hundert Prozent einsetzen. Es wird der identische Stoff verbrannt, nur seine Herkunft ist eine andere“, erläutert der Autoexperte. Auch das Mischen mit Biokraftstoffen sei möglich. Für die E-Fuels spricht aus Sicht des ADAC-Vertreters auch, dass Autofahrer durch sie nicht zum Kauf eines Elektroautos gezwungen werden. „Mobilität muss auch für Leute mit kleinem Geldbeutel bezahlbar bleiben“, sagt Schulze. Der Preis für ein Liter E-Fuel würde laut Griefahn derzeit bei 1 bis 2 Euro pro Liter liegen – „ohne Steuern und ohne Marge“. Sollte die Politik jedoch eine Absatzgarantie für E-Fuels nach dem Vorbild der Biokraftstoffe schaffen, würde der Literpreis drastisch sinken.
„Um die CO2 Ziele zu erreichen, müssen wir aus allen Rohren feuern, die wir haben. Das beginnt bei der reinen Elektromobilität und reicht bis hin zu synthetischen Kraftstoffen“, sagt auch Martin Berger, Vizepräsident und Entwicklungschef von Mahle. Der Stuttgarter Konzern zählt mit einem Jahresumsatz von fast 10 Milliarden Euro zu den größten Automobilzulieferern der Welt. „E-Fuels sind die beste Möglichkeit, um Energie zu speichern, die wir irgendwo auf der Welt aus erneuerbaren Energieformen gewonnen haben“, bekräftigt Berger und rechnet vor: Wenn 2030 nur 20 Prozent der Autos weltweit mit E-Fuels betrieben werden, könnte man damit 425 Metatonnen CO2 einsparen. Das entspräche genau der Menge an CO2, die durch die bis dahin weltweit 175 Millionen Elektroautos reduziert werden soll. Der Mahle-Entwicklungschef macht zudem darauf aufmerksam, dass die Elektromobilität vor allem in Europa, China und Nordamerika vorangetrieben werden. Für den Rest der Welt sei das E-Auto derzeit kein oder kaum ein Thema.

Wie Südamerika trotzdem einen Beitrag zur Klimawende beim Auto beitragen kann, zeigt derzeit ein Pilotprojekt von Porsche. Anders als sein Mutterkonzern Volkswagen, der sich bei der Elektromobilität nur immer höhere Ziele steckt, fährt der Sportwagenhersteller eine technologieoffenere Strategie. Im September brachte Porsche zusammen mit Siemens Energy eine Industrieanlage zur Herstellung von nahezu CO2-neutralen Kraftstoffen in Chile auf den Weg. Der Autobauer will unter anderem mit den hier produzierten E-Fuels bis 2030 klimaneutral werden. „Die Tests mit erneuerbaren Kraftstoffen laufen sehr erfolgreich. Mit E-Fuels lassen sich zukünftig bis zu 90 Prozent der fossilen CO2-Emissionen im Verbrenner reduzieren“, sagte Porsche-Entwicklungsvorstand Michael Steiner. Aus Sicht von Mahle-Vizepräsident Berger könnte das Projekt wegweisend sein. „Es macht Sinn, die synthetischen Kraftstoffe dort zu gewinnen, wo Wind und Sonne in einem weit, weit höheren Maße vorhanden sind als in Europa“, sagt er. Die richtige Strategie lautet aus seiner Sicht: Technologie exportieren – E-Fuels importieren.

Die Politik hat die synthetischen Kraftstoffe allerdings noch gar nicht auf dem Schirm. Bei den CO2-Flottengrenzwerten spielen die E-Fuels derzeit überhaupt keine Rolle, was die Allianz dringend ändern möchte. Der Europaabgeordnete Jens Gieseke aus dem Emsland könnte sich dabei als wichtiger Verbündeter erweisen. Der 50-jährige Niedersachse sitzt im Verkehrsausschuss und ist Berichterstatter der EVP-Fraktion für die Festlegung neuer CO2-Grenzwerte für Personenkraftwagen. „Die EVP-Fraktion ist offen für ein Anrechnungssystem von E-Fuels in der CO2-Flottenregulierung. Wenn nachgewiesen werden kann, dass auch ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor klimaneutral betrieben werden kann, dann sollte der Gesetzgeber das fördern, und nicht verhindern“, sagt Gieseke. Die Befürworter von Technologieoffenheit und Gegner des Verbrenner-Verbots hätten es in Brüssel derzeit jedoch nicht leicht. Bei der Anerkennung der synthetischen Kraftstoffe erwartet Gieseke heftigen Gegenwind von den Grünen. „Es ist schwer, im Umweltausschuss für solche schwierigen Themen Mehrheiten zu finden. Der Kampf wird schließlich im Plenum stattfinden müssen“, sagt der CDU-Politiker. Das Ziel seiner Partei laute: „Wir wollen CO2 reduzieren, aber gleichzeitig unsere Wettbewerbsfähigkeit bewahren und technologisch unabhängig sein.“