Dringende Bitte an die Justiz: Verhaftet den iranischen „Blutrichter“!
Darum geht es: Der frühere höchste Richter des Iran, Mahmud Haschemi Schahrudi, wird gegenwärtig offenbar im hannoverschen Neurochirurgie-Klinikum INI behandelt. Gegen den Mann, der früher für viele Todesurteile verantwortlich war, auch gegen Minderjährige, liegen mehrere Strafanzeigen vor. Dazu ein Kommentar von Klaus Wallbaum.
Im Fall des früheren obersten Richters des Iran, der sich zur Krankenbehandlung in Hannover aufhält, gibt es peinliche Fragen an die Behörden. Eine davon lautet: Warum durfte dieser Mann, der schlimme Todesurteile sprechen und vollstrecken ließ, überhaupt nach Deutschland? Man hätte ihm das Visum verweigern können. Nur regt sich hier verständlicher Widerspruch: Wenn jemand schwer krank ist und Hilfe in Deutschland bekommen kann, dann muss er auch hierher reisen dürfen. Das ist eine zutiefst humane Position. Die Chance, eine angemessene Behandlung zu bekommen, muss für jedermann gelten – auch für Richter und Henker eines Terrorregimes.
Allerdings darf damit die Sache nicht erledigt sein. Der Leiter des Klinikums INI, Madjid Samii, wird mit den Worten zitiert, dass die Bundesrepublik nichts gegen Schahrudi habe, da er ja ein Einreisevisum erhalten habe. Diese Position weckt den fälschlichen Eindruck, die Vita des früheren obersten Richters sei einwandfrei, die Vorwürfe gegen ihn seien also übertrieben oder falsch. Davon allerdings kann nun überhaupt keine Rede sein. So richtig es ist, einen kranken Menschen unabhängig von seinen Verdiensten oder seinen Vorbelastungen ärztlich zu behandeln, so notwendig ist es aber auch, nach Ende der Behandlung angemessen mit ihm umzugehen.
Was heißt das konkret? Wenn jemand wegen eines notwendigen ärztlichen Eingriffs ein Visum bekommt, der sonst keines erhalten hätte, dann ist die logische Konsequenz, dass er anschließend nicht einfach wieder nach Hause fahren kann. Beim Verlassen des Krankenhauses sollte Schahrudi von der Polizei festgenommen und in Untersuchungshaft genommen werden. Schließlich sind bisher keine Zweifel daran laut geworden, dass dieser Mann elementare Grundsätze der Menschlichkeit grob verletzte und mehrfach Jugendliche hat hinrichten lassen – unter anderem ein 16-jähriges Mädchen deshalb, weil es Opfer einer Vergewaltigung geworden war. Diese abscheulichen Urteile sind eine Versündigung an den Prinzipien der Humanität. Und sie sind auch Rechtsverstöße. Dafür maßgeblich ist Paragraph 7 des Völkerstrafgesetzbuches, der „einen ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung“ ahndet – und zwar weltweit, immer dann, wenn die deutsche Justiz einem Täter habhaft werden kann. Dass ein solcher „systematischer Angriff“ – von Seiten der Mächtigen – im iranischen Rechtssystem seit vielen Jahren regelmäßig geschieht, liegt nach allen Schilderungen der dortigen Verhältnisse nah.
Handeln muss jetzt also die deutsche Justiz. Den offenen Brief, den die Staatskanzlei in Hannover erhalten hatte, leitete sie an die Staatsanwaltschaft weiter. Doch die Anklagebehörde dort hat den Fall an den Generalbundesanwalt abgegeben, da dieser für das Völkerstrafrecht zuständig ist. Man kann Zweifel haben, dass man in Karlsruhe handeln wird. Warum? Es gibt eine formale Begründung, nämlich den Hinweis darauf, dass der „systematische Angriff auf die Zivilbevölkerung“ womöglich schwer nachweisbar sein wird. Das mag zwar sein, macht die Untaten des iranischen Rechtssystems damit aber nicht verträglicher. Sicher sind Belege und Beweise für das Wirken des Terrorregimes in Teheran nicht einfach zu beschaffen. Aber auf der anderen Seite ist das System, dessen oberster Vertreter Schahradi lange war, derart grausam, dass sich schon allein deshalb ein rasches und entschiedenes Handeln der deutschen Justiz aufdrängen sollte. Außerdem haben Menschenrechtler eine Fülle an belastenden Fakten zusammengetragen.
Es gibt aber noch einen zweiten, inoffiziellen Grund für die Schweigsamkeit von deutschen Politikern und die Vorsichtigkeit der deutschen Justiz in diesem Fall. Man befindet sich in einer Phase der Annäherung an den Iran, Wirtschaftsbeziehungen sollen verstärkt werden – und der Westen knüpft daran die Hoffnung, mit intensiveren Kontakten auch die Machtverhältnisse in der islamischen Republik Schritt für Schritt ändern zu können. Kurz gesagt: Mit mehr wirtschaftlichen Kontakten und Verzicht auf Kritik an den dortigen Verhältnissen sollen demokratische Kräfte gestärkt und der Einfluss von Leuten wie Schahrudi soll geschmälert werden. Ob diese Argumentation logisch ist und ihre Wirkung entfaltet, sei dahingestellt. Auf jeden Fall ist das eine wohlbekannte inoffizielle Begründung für die diplomatische Zurückhaltung gegenüber Unrechtsstaaten.
Kann das nun das letzte Wort in diesem Fall sein? Hoffentlich nicht. Wer christliche Nächstenliebe zeigt, um einen kranken Blutrichter in Deutschland behandeln zu lassen, muss auch konsequent genug sein, wenn es nach dessen Genesung darum geht, ihn für seine Untaten nach den geltenden Regeln des Völkerstrafrechts vor Gericht zu stellen. Wer aber diese Konsequenz scheut, darf Leute wie Schahrudi gar nicht erst ins Land lassen. Aber Schahrudi wurde nach Hannover gelassen. Dann gehört dieser Blutrichter anschließend auch vor einen deutschen Richter.