5. Nov. 2018 · 
Bildung

Drei runde Jahrestage am 9. November: Eine Gelegenheit, offene Fragen zu klären

Ende dieser Woche ist das Super-Datum für alle Geschichtsinteressierten: Am 9. November ballen sich die Jahrestage, runde wie krumme – und damit wird die Frage aktuell, wie sich die Landesregierung um die Pflege der Erinnerung kümmert. Die Politiker sind gefordert.
Lesen Sie auch: Wie der alte Paul von Hindenburg auf einmal zum großen Thema der Landespolitik wird CDU bekennt sich klar zur Gedenkstätte auf dem Bückeberg Angst vor der Erinnerung? Widerstand gegen NS-Gedenkstätte bei Hameln wächst
Da ist zunächst der 100. Jahrestag der Revolution von 1918. Das Kaiserreich war zusammengebrochen, die Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel hatten gemeutert, die parlamentarische Demokratie wurde auf den Weg gebracht. Vor 70 Jahren, 1938, war die Reichspogromnacht – das NS-Regime zeigte Gewaltexzesse gegen noch in Deutschland lebende Juden, ihre Wohnungen und Geschäfte und ihre Synagogen. Vor 29 Jahren dann – im nächsten Jahr gibt es hier ein rundes Jubiläum – wurde die innerdeutsche Todesgrenze geöffnet, der Fall der Mauer wurde zum entscheidenden Datum auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Nun gibt es in der aktuellen niedersächsischen Landespolitik wichtige Fragen, die im Zusammenhang mit dem Gedenken stehen. Hier ein Überblick: Ebert-Büste im Landtag: Bevor der Landtag umgebaut wurde, standen mehrere Büsten im Foyer – darunter auch die von zwei prominenten Sozialdemokraten, des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert und des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich-Wilhelm Kopf. Bisher sind diese nicht wieder aufgestellt worden. Kulturminister Björn Thümler (CDU) hat unlängst angeregt, den 100. Jahrestag des 9. November 1918 für die Wiederaufstellung der Ebert-Büste zu nutzen, als Würdigung seiner Verdienste um den Aufbau der parlamentarischen Demokratie. Damit reibt sich Thümler an Stefan Wenzel und Anja Piel von den Grünen, die lieber auf einer Gedenktafel an die meuternden Matrosen erinnern wollen. Beide Seiten markieren die Extreme beim Rückblick auf den Herbst 1918 – die einen würdigen vor allem den revolutionären Aufbruch, die anderen die Besonnenheit führender Politiker wie Ebert, die am Ende 1919 auch zur Unterdrückung des linksradikalen Aufstandes gegen den jungen Parlamentarismus führte. Kopf und Hindenburg als Straßennamen: Der 9. November 1938 belegt in aller Grausamkeit das Menschenverachtende am NS-System, die Verfolgung und Ermordung bestimmter Volksgruppen. Als vor wenigen Jahren noch einmal detailliert herausgearbeitet wurde, dass auch der erste Ministerpräsident Hinrich-Wilhelm Kopf mit der NS-Herrschaft verstrickt war, wurde der Platz vor dem Landtag nicht mehr nach ihm benannt. Sein Name wurde getilgt. Gegenwärtig plant der Stadtbezirksrat Hannover-Mitte mit Mehrheit von SPD, Grünen und Linken, die nach dem früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg benannte Straße umzubenennen. Begründet wird das damit, dass Hindenburg die Weimarer Republik im Grunde verachtete und Adolf Hitlers Aufstieg zur Macht ebnete. Gegen die Umbenennung gibt es viele Vorbehalte, zumal Hindenburg – bei aller berechtigten Kritik an seiner Rolle – eine mit Hannover eng verwobene Figur der Geschichte war. Rückblickend melden sich auch Stimmen, die bemängeln, dass mit der Umbenennung des Kopf-Platzes in Hannah-Arendt-Platz kein Anreiz dazu geliefert worden sei, sich mit den Licht- und Schattenseiten in Kopfs historischer Rolle näher auseinanderzusetzen. Könnte man das erreichen, indem die Kopf-Büste wieder im Landtag aufgestellt wird – verbunden mit einer Erläuterungstafel? Bückeberg und Grenzmuseum Eichsfeld: Die Landespolitik diskutiert seit Monaten über zwei wichtige Projekte zur Erinnerungskultur – ohne dass bisher schon große Fortschritte erkennbar wären. Zum einen geht es um den Bückeberg bei Hameln, auf dem zwischen 1933 und 1937 alljährlich „Reichserntedankfeiern“ begangen wurden. Bisher gibt es hier nicht einmal ein Hinweisschild. Von den Plänen des Landkreises, einen „Lern- und Erinnerungsort“ zu bauen, fühlten sich einige Anwohner provoziert. Sie meinten, nicht genügend eingebunden zu sein. Inzwischen hat es hinter den Kulissen Verständigungsversuche gegeben. Man bemüht sich, noch in diesem Monat mit den konstruktiven Kritikern ein gemeinsames Konzept zu entwickeln, zu dessen Finanzierung dann auch Bundeszuschüsse in Aussicht stehen. Historiker meinen, der Bückeberg sei ein exzellentes Beispiel dafür, wie es dem NS-Regime mit geschickten Propagandaveranstaltungen gelang, viele Menschen in seinen Bann zu ziehen. Über das Grenzlandmuseum im Eichsfeld (an der alten DDR-Todesgrenze) wird auch diskutiert. Die CDU hatte angeregt, eine dauerhafte finanzielle Unterstützung des Landes zu gewähren, damit dieser Ort, der an das DDR-Grenzregime erinnert, fortbestehen kann. Das könnte ein Projekt für 2019 werden, da im Herbst nächsten Jahres die friedliche Revolution in der DDR 30 Jahre vergangen sein wird. Antisemitismus-Beauftragter: Vergangenen April hat Landtagspräsidentin Gabriele Andretta im Politikjournal Rundblick gefordert, einen Antisemitismus-Beauftragten zu berufen. Die zunehmende, oft versteckt geäußerte Verunglimpfung von Juden müsse aufgearbeitet werden. Bisher ist nichts geschehen, aber der Festakt zur Erinnerung an die NS-Pogrome an diesem Freitag bietet Gelegenheit, das Thema wieder zu beleben. Möglich wäre, dass nicht die Regierung eine solche Position besetzt, sondern direkt der Landtag – die Aufgabe könnte beispielsweise ein Abgeordneter im Ehrenamt versehen. (kw)
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #196.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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