24. Aug. 2025 · 
MeldungDigitalisierung

Digitalexperten mahnen zur Eile: „Kommunen müssen jetzt zügig neue Daten sammeln“

Wie werden Städte krisenfest? Experten sagen: Ohne Künstliche Intelligenz und eine ausgefeilte Datenstrategie wird das wohl nicht zu machen sein.

Florian Bliesch und Jasmin Rein fordern mehr Digitalisierung bei den Kommunen. | Foto: Link

Wie lassen sich Städte widerstandsfähiger machen gegen Hochwasser, Dürre und andere Folgen des Klimawandels? Die Antwort beim diesjährigen Transformationsgipfel des Landes Niedersachsen fiel eindeutig aus: Durch konsequente Digitalisierung, vernetzte Sensorik, künstliche Intelligenz – und vor allem durch systematisches Datensammeln. „Ohne historische Daten wird das Anlernen komplexer Modelle nicht gelingen. Bauen Sie Datenbestände auf und fangen Sie das Datensammeln möglichst schnell an. Es wird sich dann schon ein Verwendungszweck finden“, appellierte Florian Bliesch vom börsennotierten IT-Dienstleister Adesso an die Kommunen.

Was dann möglich ist, zeigt ein Beispiel aus Goslar. Mithilfe des historischen Datenschatzes der Harzwasserwerke baute die Stadt ein KI-basiertes Hochwasserwarnsystem auf, das Leben retten kann. Das Warnsystem ermöglicht im Katastrophenfall inzwischen eine Vorwarnzeit von mindestens vier Stunden. Beim Hochwasser 2017 hatten Behörden und Einsatzkräfte nur 15 Minuten, um die Bevölkerung zu informieren und entsprechende Maßnahmen zu treffen. „Die KI trifft keine Entscheidungen. Sie hilft uns als Wasserbehörde aber dabei, die richtigen Entscheidungen zu treffen“, erklärte Maximilian Delius von der Stadt Goslar. Im Weihnachtsstresstest 2023 habe das System seine Bewährungsprobe bestanden – inklusive digitalem Alarmplan, Biberdämmen, Frühwarnpegeln und einer mitlaufenden Einsatzsimulation.

Maximilian Delius erklärt das Goslarer Hochwasserschutzkonzept. | Foto: Link

Der Weg dorthin war allerdings steinig. „Die Altstadt von Goslar ist das einzige hochwassergefährdete Weltkulturerbe. 2017 hatten wir einen Gesamtschaden von 73,3 Millionen Euro im Stadtgebiet – das gab uns genügend Motivation, um beim Land vorstellig zu werden“, berichtete Umwelt-Fachdienstleiter Dirk Sielaff. Doch erst im vierten Anlauf erhielt Goslar die nötige Förderung, um das Projekt angehen zu können. Heute profitiert die Kommune von einer systematischen Datenstrategie mit aktuell 23 Messstationen, detaillierten Wetterdaten und Echtzeitinformationen bis in den Harz. Laut Prof. Andreas Rausch (TU Clausthal), der das System mitentwickelte, könne die KI inzwischen Hochwasserereignisse vorhersagen, ohne auf klassische Pegelstände angewiesen zu sein. Aus dem Ahrtal, aus Braunschweig, Göttingen oder Bad Pyrmont habe es bereits Anfragen nach dem Warnsystem gegeben. Laut Delius kann es aber nicht einfach so auf jede Kommune angewendet werden: „Sie brauchen einen bestimmten Datenbestand, um die KI zu füttern.“ In Goslar sei rund eine Viertelmillion Datensätze verwendet worden. „Unsere Programmierer haben sich ein Dreivierteljahr mit dem Rechner eingeschlossen, kamen wieder raus und haben gesagt: Es scheint zu funktionieren.“

Entscheidend ist für alle Beteiligten: Es geht längst nicht mehr um technische Machbarkeit, sondern um politische Umsetzungsbereitschaft. Und die, so wurde mehrfach betont, hängt an Fragen wie Fördermittel, Zuständigkeiten, Akzeptanz und der kommunalen Fehlerkultur. „Wenn die Hochwasser-KI in Goslar nicht funktioniert hätte, würden Sie hier nicht sitzen“, sagte Svenja Fuhrich, Smart-City-Chefin in Hildesheim. „Fehlerkultur ist ein ganz großes Thema von Kommunen – inklusive der Politik, die es auch nicht ertragen kann, wenn die Kommune mal einen Fehler macht", berichtete die Fachbereichsleiterin für Wirtschaftsförderung. Zudem kritisierte sie, dass Kommunen zwar jede Menge Daten besitzen, diese aber in der Regel weder den Verwaltungskollegen noch der freien Wirtschaft zur Verfügung stellen. „Das kann Wirtschaft besser“, meinte Fuhrich. Sonja Rasch vom Startup-Zentrum „Smart-City House“ in Osnabrück relativierte jedoch: Die Bereitschaft der Unternehmen zum Teilen von Daten sei „mal so, mal so“.

Datenhoheit und Vertrauen waren zentrale Stichworte der Runde. Für Axel Ebers von den Unternehmerverbänden Niedersachsen (UVN) ist klar: „Die Digitalisierung funktioniert nur, wenn wir standardisieren und Daten teilen.“ Die notwendige Infrastruktur dafür existiert – etwa mit der kommunalen IT-Plattform HannIT. „Das könnte landesweit ausgerollt werden. Aus Hannovers ,Internet der Dinge' würde dann Niedersachsen.io“, sagte Ebers und forderte einen IT-Beauftragten für Niedersachsen mit „echten Durchgriffsrechten“. „Man muss zentralisiert eine Lösung für alle bereitstellen – über Rahmenverträge vorbei an den lästigen Ausschreibungen – dann kommen wir weiter.“ Derartige Pläne sind in der rot-grünen Landesregierung tatsächlich vorhanden, die zentrale Stelle soll im Innenministerium angesiedelt sein.

Svenja Fuhrich berichtet aus dem Alltag einer Verwaltungsdigitalisiererin, Axel Ebers lacht. | Foto: Link

Kommunale Vertreter wie Fuhrich betonten indes, dass viele Städte gar nicht die Ressourcen hätten, um eigene Open-Source-Lösungen zu entwickeln. In Hildesheim sei der Zukauf von Daten aus der Wirtschaft dreimal günstiger gewesen. Statt Ideallösungen brauche es praktikable Wege in die Fläche. „Die Lösungen funktionieren nur, wenn sie sich in den Alltag der Nutzer einfügen“, betonte Jasmin Rein, die bei Adesso für User Experience zuständig ist. Und Bliesch ergänzte: „Die Erwartungshaltung in der Gesamtgesellschaft bezüglich digitaler Lösungen ist über alle Bevölkerungsgruppen hinweg enorm gestiegen." Zwar gebe es auch noch vereinzelt Ratsmitglieder, die fragen: „Was ist WhatsApp?“ Doch im Fahrwasser der mobilen Revolution durch Smartphones sei auch das Konzept der Smart City nicht aufzuhalten. Dass einige ältere Menschen an der analogen Welt festhalten, dürfe nicht den Fortschritt für alle ausbremsen. „Ich bin auch fast 60 und ein alter Sack. Aber bei mir müssen Sie irgendwann das iPhone aus meinen kalten, starren Händen herausbrechen“, sagte der Adesso-Innovationschef.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #145.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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