Diesel-Gipfel: Es gibt nichts mehr zu gewinnen – für niemanden
Darum geht es: Bei einem Spitzentreffen im Kanzleramt soll heute eine Lösung in der Dieselkrise gefunden werden. Verkehrsminister Andreas Scheuer hat ein Konzept vorgelegt, mit dem Fahrverbote verhindert werden sollen. In Niedersachsen könnten im Extremfall Hannover, Hildesheim, Oldenburg und Osnabrück von Fahrverboten betroffen sein. Ein Kommentar von Martin Brüning.
Im Hamburger Stadtteil Altona-Nord gibt es bereits ein Fahrverbot auf zwei Straßenabschnitten, in Stuttgart dürfen Dieselfahrzeuge der Abgasnorm Euro-4/IV ab dem kommenden Jahr nicht mehr in die City und Frankfurt wird voraussichtlich ab Februar Euro 4-Diesel und sogar alte Benziner teilweise aussperren. Auch wenn Ministerpräsident Stephan Weil für Niedersachsen bei seiner Annahme bleibt, dass es in diesem Land wohl keine Fahrverbote geben wird, ist bereits jetzt festzustellen, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist. Autofahrer und -käufer sind zutiefst verunsichert, Kommunen ringen um Lösungen, Autohersteller sind frustriert bis genervt und in der ganzen Debatte wird der Dieselskandal, in dem es einfach um Betrug ging, mit der Grenzwert-Problematik in vielen Städten undifferenziert in einen Topf geworfen.
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In diesem Diesel-Durcheinander diskutiert die Politik nun nachgelagert auf einem sogenannten Spitzentreffen über Konzepte, die im besten Fall ein Teil der Lösung seien können und wenige Wochen vor zwei Landtagswahlen zumindest eine Lösung vorgaukeln sollen. Die Probleme sind allerdings umfassend.
Scheuers Plan: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Die Neuauflage der Umtauschprämie ist ein nett gemeintes Benefit für Unternehmen, die beim Flottentausch ein paar Euro sparen werden. Zugleich könnte es die Verkäufe der Autobauer sogar kurzfristig ankurbeln. Der Altersdurchschnitt aller Autos in Deutschland liegt allerdings bei knapp 11 Jahren. Gerade Privatwagen sind in Deutschland ein paar Jahre älter und wer sich privat ein Auto kauft, greift in meisten Fällen zum Gebrauchtwagen. Umtauschprämien greifen hier nicht. Die geforderte Hardware-Nachrüstung dürfte für die meisten Fahrzeuge wirtschaftlich absoluter Nonsens sein, völlig unabhängig davon, ob sie am Ende zum größten Teil vom Hersteller übernommen wird. Allein schon die Diskussion darüber, dass Privatleute dann eben 600 Euro hinzuzahlen müssten, um ihren alten Diesel sauberer zu machen, zeigt, wie abgehoben die Politik inzwischen agiert. Die Folgekosten und -probleme nach der Umrüstung (TÜV-Abnahme, Garantieprobleme) sind hier noch nicht einmal impliziert. Bei VW heißt es inzwischen, man werde sich an Nachrüstungen von älteren Dieselautos finanziell beteiligen. Es bleibt abzuwarten, was das konkret bedeutet. Reiner Populismus und fast schon politischer Irrsinn ist die dritte Idee, nach der deutsche (nicht ausländische) Autokonzerne Diesel-Autos der Euroklassen 4 und 5 in zehn deutschen Städten nach Schwacke-Preis zurückkaufen sollen. Dabei geht es um Fahrzeuge, die damals völlig gesetzeskonform zugelassen wurden. Das ist nicht nur wettbewerbsverzerrend, sondern ein regelrechtes Zerstörungsprogramm für die deutsche Autoindustrie. Man kann ob der Ideen dieser Koalition in Berlin nur noch den Kopf schütteln.
Fahrverbote: Nicht allein das bereits in Kraft getretene und umstrittene Verbot in Hamburg sowie die anstehenden Verbote in Frankfurt und Stuttgart verunsichern Autofahrer und Kommunen. Es ist die gesamte Debatte. Betroffen sind derweil nicht nur die Anwohner und Pendler, sondern auch Touristen aus dem In- und Ausland. Am Ende werden wieder die Schlauen und Dreisten Gewinner in Diesel-Absurdistan sein. Denn nicht einmal Autofans können unterscheiden, welcher Motor genau unter der Haube steckt. Euro 5, Euro 6, Euro irgendwas: im Zweifel werden viele einfach ohne Motor-Persilschein in die City fahren. In Hamburg gibt es lediglich Stichkontrollen der Polizei. Es ist illusorisch zu glauben, dass die diskutierten Fahrverbote flächendeckend kontrolliert werden können. Erwischt wird, wer Pech hat. Und wie soll man eigentlich Touristen aus Spanien, Frankreich oder anderen Ländern bei einer Kontrolle erklären, dass ihr Auto nur nach Euro 4-Norm zugelassen ist?
https://soundcloud.com/user-385595761/dieselskandal-volkswagen-leidet-unter-vertrauensverlust-bei-mitarbeitern
Autokonzerne: Nicht alle haben betrogen. Und dennoch geben fast alle ein schlechtes Bild ab. Die meisten Mitglieder in den Führungsetagen der Autobauer haben immer noch nicht verstanden, dass man in der Politik nicht technisch argumentieren kann. Für diese Erkenntnis hätte man einfach einmal bei Eon oder EnBW anrufen und nachfragen müssen, wie das eigentlich in der Debatte um die Kernkraft gelaufen ist. Die Attacke von VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh, die Politik möge sich bitte erst einmal „ernsthaft mit den Fakten vertraut machen“, mag gar nicht so weit entfernt von der Wahrheit sein. Dennoch trifft Osterloh damit einmal mehr den falschen Ton. Der Vorwurf des „Halbwissens“ in Bezug auf die Politik klingt nicht nur borniert. Es schmeißt dabei ausgerechnet jemand mit Steinen, der schon im Wolfsburger Glashaus sitzt. Der deutschen Automobilindustrie fehlt es an Demut. Das ist auch einer der Gründe, warum sie selbst von den vielen auto- und technikbegeisterten Deutschen wenig Mitleid bekommt.
Beim Spitzengipfel in Berlin wird es keine grundsätzliche Lösung geben. Das Beste, was man erhoffen kann, ist, dass durch minimalinvasive Teillösungen zumindest ein wenig Druck aus der verfahrenen Debatte genommen wird.