Darum geht es: Dem Handwerk gehen die Fachkräfte aus. Der Niedersächsische Handwerkstag beklagt unter anderem, dass dem Studium zu oft der Vorzug vor einer Ausbildung gegeben wird. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Der neue NHT-Präsident Mike Schneider redet Klartext. Den Betrieben fällt es immer schwerer, Auszubildende und Fachkräfte zu finden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es liegt zum Beispiel daran, dass immer weniger Schüler immer häufiger das Abitur machen wollen und auch machen. Und wer das Abi in der Tasche hat, der will zumeist lieber an die Uni als in den Ausbildungsbetrieb. Auf der anderen Seite wollten sich viele „nicht mehr die Hände schmutzig machen“, wie Schneider sagt. Und auch die hohe Zahl der Flüchtlinge hat (bisher) nicht zu einem Ausbildungsaufschwung in den Handwerksbetrieben geführt. Im schlechtesten Fall bremst das Fachkräfteproblem das boomende Handwerk in den kommenden Jahren aus.

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Was ist zu tun? Genauso vielfältig, wie die Gründe für das fehlende Personal sind, muss künftig die Suche nach passenden Auszubildenden werden. Für die Handwerksbetriebe wird das anstrengend, zu ändern ist es allerdings nicht. So wird in Zukunft noch stärker in allen allgemeinbildenden Schulen für Ausbildungen geworben werden müssen. Auch die Praxis im Beruf muss eine größere Rolle spielen. Und die Unternehmen müssen flexibler werden und jungen Menschen zum Beispiel schon von Beginn an entsprechende Angebote für Weiterbildung oder ein berufsbegleitendes Studium anbieten. Die Betriebe hätten auch gar keine andere Chance, sagt Schneider. Auch die Höhe der Gehälter wird möglicherweise künftig noch wichtiger. Wenn Handwerk wirklich goldenen Boden hat, muss das den Azubis auf dem Gehaltscheck vielleicht deutlicher gemacht werden.

Mehr Flexibilität täte möglicherweise auch der dualen Ausbildung selbst gut. In Deutschland liebt man es, wenn alles wohlgeordnet und gut organisiert ist. Der Quereinsteiger wird eher skeptisch beurteilt. Für viele Flüchtlinge wird das gerade zu einer Berufseinstiegshürde. Wer die Ausbildung partout nicht genauso wie vorgesehen absolvieren kann, der kann den Beruf auch nicht ausüben, so die Annahme. Sind wir vom weltweiten Lob für unser Ausbildungssystem vielleicht schon so geblendet, dass wir Schwächen schon gar nicht mehr erkennen? Es wird gar nicht anders gehen, als das System dem Angebot anzupassen. Dazu wird unter anderem gehören, Vorbildung in bestimmten Bereichen stärker anzuerkennen und das System für die künftigen Auszubildenden zu flexibilisieren.

Es ist allzu verständlich, dass die Handwerksbetriebe an jeder möglichen Schraube drehen wollen, um junge Menschen für sich zu gewinnen. Mit der Forderung, Daten aus der Schülerakte automatisch den Jugendberufsagenturen zur Verfügung zu stellen, schießen sie aber über das Ziel hinaus. Es ist nicht einzusehen, warum Daten ganzer Schülerjahrgänge automatisch an eine andere Behörde weitervermittelt werden sollten. Es liegt zwar im Trend, den Datenschutz, wenn es gerade passt, immer wieder einmal in Frage zu stellen. Aber auch an dieser Stelle gibt es für den Pflicht-Datentransfer keinen Grund. Es bleibt ohnehin fraglich, ob eine Behörde mit einem solchen Wust an Daten sinnvoll arbeiten kann. Die Alternative, in den Klassen für eine Vermittlung zu werben und die versteckten Azubi-Perlen der Zukunft zu suchen, ist halt anstrengend. Aber das wird es für die Betriebe nun einmal ohnehin.

 

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